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    Die Lügen der Sieger
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Die Lügen der Sieger
    Von Sascha Westphal

    In den späten 1960er und 1970er Jahren, der Blütezeit der amerikanischen wie der europäischen Protestbewegungen, die dann schließlich in die Extreme Apathie und Terror umgeschlagen sind, war auch das Kino von einem politischen, wenn nicht gar revolutionären Geist erfüllt. Es war die Blütezeit des Politthrillers. Costa-Gavras’ „Z – Anatomie eines politischen Mordes“ (1969) und Henri Verneuils „I wie Ikarus“ (1979) markieren in etwa Beginn und Ende dieser Ära, die in Hollywood vor allem mit den Filmemachern Alan J. Pakula („Zeuge einer Verschwörung“) und Sydney Pollack („Die drei Tage des Condors“) verknüpft ist. Gut 30 Jahre später, in den Zeiten des „War on Terror“ und der globalen Überwachung, haben diese Filme und ihr Genre noch einmal einen späten Boom erlebt. Allerdings sind die meisten Politthriller, die in den vergangenen 10 bis fünfzehn Jahren entstanden sind, kaum mehr als Variationen der Klassiker. Die Zeiten haben sich zwar verändert, die Filme aber nicht. Nur wenige Regisseure versuchen so konsequent wie Christoph Hochhäusler („Unter dir die Stadt“, „Falscher Bekenner“) dieses Genre neu zu denken. Natürlich spielt er auch in seinem neuen politischen Thriller „Die Lügen der Sieger“ mit den Klassikern - Pakulas „Die Unbestechlichen“ scheinen regelrecht über seiner Reflexion über Macht und Ohnmacht der Presse zu schweben. Nur sind sie Schutzheilige oder doch eher Geister, von denen es sich endlich freizumachen gilt?

    Fabian Groys (Florian David Fitz), der als Enthüllungsjournalist in der Berliner Redaktion des Magazins „Die Woche“ schon einige große Geschichten aufgedeckt hat, steckt in einer Sackgasse. Seit einiger Zeit arbeitet er nun schon an einer Story über die Bundeswehr, aber er kommt einfach nicht weiter. Sein anonymer Informant zögert und hält ihn hin. Und nun wird auch noch sein Redakteur ungeduldig und teilt ihm zur besseren Kontrolle die junge Volontärin Nadja (Lilith Stangenberg) zu, die ihn bei seinen Recherchen begleiten soll. Doch das kommt für den egozentrischen Groys nicht in Frage. Also setzt er sie auf eine Sensationsmeldung an: Im Gelsenkirchener Zoo hat sich ein Mann, ein früherer Bundeswehrsoldat, selbst den Löwen zum Fraß vorgeworfen. Was eigentlich nur eine Art von Beschäftigungstherapie für die lästige Volontärin sein sollte, entpuppt sich dann aber als Spur, die direkt ins Zentrum der Verflechtungen zwischen Bundeswehr und Industrie, Politik und Medien führt.

    So weit, so konventionell. Der einsame Reporter, der sich erst einmal damit abfinden muss, dass die junge Frau an seiner Seite ihm durchaus helfen kann, und der natürlich eine Affäre mit ihr beginnt. Das aufrechte Politmagazin, das tatsächlich noch so etwas wie eine „vierte Gewalt“ repräsentiert. Und die finsteren Strippenzieher des „militärisch-industriellen Komplexes“, die ihren Profit über alles stellen. Das sind die klassischen Figuren und Konstellationen, die schon in den Politthrillern der 1970er Jahre immer wieder bemüht wurden. Würden sich Hochhäusler und sein Co-Autor, der Schriftsteller und Romancier Ulrich Peltzer, darauf beschränken, wäre „Die Lügen der Sieger“ kaum mehr als eine Ansammlung von Klischees. Aber sie brechen diese Geschichte geschickt auf, indem sie eine zweite Erzählebene einziehen und die Fronten verschwimmen lassen. Der Firmenchef, der um jeden Preis Einfluss auf den deutschen Wirtschaftsminister und die Gesetzgebung des Bundestages nehmen will, steht mitsamt seiner Armee von Lobbyisten und Handlangern nur für die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite können die Nachforschungen des Journalistenduos ihren Auftraggeber zwar in ernsthafte Schwierigkeiten bringen, doch sie eröffnen auch die perfekte Möglichkeit, Fakten im Sinne ihres Klienten zu schaffen. Schließlich ist eine Geschichte in einem Nachrichtenmagazin niemals nur eine Geschichte. Sie ist immer auch Politik und damit offen für die unterschiedlichsten Formen der Instrumentalisierung.

    Paranoia war schon immer ein zentrales Werkzeug des Politthrillers. Verschwörungstheorien erklären eben nicht nur die Welt. Sie machen es einem auch einfach, sich auf der ‚richtigen’ Seite zu positionieren. Das gilt auch heute noch. Es sei denn, wir ändern unsere Perspektive. Und genau an einem solchen Perspektivwechsel arbeiten Hochhäusler und Peltzer. Reinhold Vorschneiders („Im Schatten“, „Orly“) eindringliche Großstadtbilder schaffen ein Klima der ständigen Verunsicherung. Immer wieder inszenieren sie Überwachungssituationen. Aber wer überwacht hier eigentlich wen? Natürlich spähen die Lobbyisten die Journalisten mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln aus. Aber auch die Szenen in den Büros und den Restaurants der Macht sind von diesen Überwachungsbildern geprägt. Die Verschwörung umfasst längst schon alle. Der Glaube, es gäbe die eine oder andere Seite, die jeder einzelne für sich wählen kann, ist in Hochhäuslers düsterem Panorama unserer heutigen Wirklichkeit nichts als eine Illusion. Ein Entkommen aus den Verstrickungen des modernen Lobbyismus scheint nahezu unmöglich.

    Fazit: Mit „Die Lügen der Sieger“ ist der Politthriller, dieses Vorzeigegenre des Kinos der 1970er Jahre, im 21. Jahrhundert angekommen. In Bildern von geheimnisvoller Schönheit und Tiefe erzählt Christoph Hochhäusler von der Macht und der Manipulierbarkeit der Medien: Alles ist Lüge.

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