Niederländische Folklore – und wenig dahinter
Von Lutz GranertGepflegte Vorgärten, ein blitzsauberes Haus und eine Kleinfamilie mit klassischem Rollenverständnis gehören zu der spießig-provinziellen Kleinbürgerexistenz einfach dazu, die Hollywood in den letzten Jahrzehnten immer wieder als strahlende Fassaden entlarvte, hinter der sich in Wahrheit tiefe und düstere Abgründe auftun. Aber anders als etwa David Lynch in „Blue Velvet“ (1986) oder Sam Mendes in „American Beauty“ (1999) setzt die für ihren wilden RomCom-Horror-Genremix „Fresh“ gefeierte Regisseurin Mimi Cave in „Holland“ auf eine Postkartenidylle mit Windmühle und blühenden Tulpenfeldern. Angesiedelt ist die Handlung aber trotzdem nicht in dem titelgebenden Land, sondern in der gleichnamigen Kleinstadt im US-Bundesstaat Michigan (in der teilweise auch gedreht wurde).
Aber der exklusiv für Amazon Prime Video entstandene Thriller kann sich trotz des mit reichlich niederländischem Kulturkitsch angereicherten Settings zu keiner Zeit mit diesen (modernen) Filmklassikern messen – im Gegenteil: Bei ihrer Weltpremiere auf dem SXSW-Festival Anfang März 2025 wurde der Film von den US-Kritiker*innen überwiegend abgewatscht. Und das durchaus zu Recht: Auch wenn die gerade vielbeschäftigte Oscar-Preisträgerin Nicole Kidman (zuletzt in „Babygirl“ im Kino zu sehen) eine starke Performance als eifersüchtige „Frau Antje“-Hausfrau hinlegt, kommt sie gegen das nur phasenweise spannendes Skript einfach nicht an – zumal sich dieses gerade im letzten Drittel auch noch als ziemlicher Käse entpuppt.
Die Hauswirtschaftslehrerin Nancy Vandergroot (Nicole Kidman) führt zusammen mit ihrem Ehemann Fred (Matthew Macfadyen) und ihrem Sohn Harry (Jude Hill) in der Kleinstadt Holland, Michigan ein glückliches Leben. Als sich bei Augenarzt Fred vermeintliche Dienstreisen und auswärtige Termine häufen, wird Nancy misstrauisch: Hat ihr Gatte etwa eine geheime Affäre? Zusammen mit ihrem Kollegen Dave Delgado (Gael García Bernal) stellt sie heimlich Nachforschungen an. Dabei kommen sich die beiden näher – ahnen aber in diesem Moment noch nicht, wie weit sie mit ihren Vermutungen zu Freds Doppelleben wirklich daneben liegen...
Schon im Jahr 2013 war Andrew Sodroskis Skript zu „Holland“ auf dem Spitzenplatz der sogenannten Black List mit den vermeintlich besten, noch unverfilmten Drehbüchern Hollywoods zu finden. Warum das Werk des Autors, der später auch noch die Netflix-Serie „Manhunt“ schreiben sollte, damals so heiß gehandelt wurde, bis für die Verfilmung im Mai 2023 (also satte zehn Jahre später) die erste Klappe fiel, bleibt allerdings rätselhaft. Einerseits bietet es zwar durchaus gelungenen Suspense, wenn es Nancy und Dave etwa bei einem nächtlichen Einbruch in Freds Praxis nur mit Mühe und Not gelingt, unerkannt zu entkommen. Andererseits stellen sich nach der spannenden ersten Hälfte im mit bedeutungsschwanger eingebauten, aber trotzdem weitgehend ungenutzt bleibenden Motiven angereicherten Plot zunehmend Ermüdungserscheinungen ein.
So gehen Fred und Sohn Harry im Keller exzessiv Modellbau als Hobby nach – was zwar für ein paar hübsche Aufnahmen von der fahrenden Modelleisenbahn gut ist, aber den Plot mit Ausnahme eines Mini-Schilds, das sich in der künstlichen Landschaft findet (und Nancy zum Recherchieren animiert), so gar nicht voranbringt. Ein angedeuteter Sub-Plot um einen wegen Trunkenheit entlassenen Ex-Busfahrer, der seinen Sohn misshandelt und Dave rassistisch beleidigt, verflüchtigt sich nach einer Handvoll Szenen wieder, ohne dass er irgendwann wieder eine Rolle spielen würde.
Auch die Situierung in einem (pseudo-)niederländischen Folklore-Kontext – inklusive Trachten-Parade – steht in keinem konkreten inhaltlichen Zusammenhang rund um Freds Geheimnis. Dieses wird im letzten Drittel unvermittelt, ohne Kontextualisierung, ohne Hintergründe oder weitere Erklärungen pflichtschuldig gelüftet – und zieht noch mehrere, ebenfalls arg konstruierte Wendungen nach sich. Auch Mimi Caves Entscheidung, die Handlung ins Jahr 2000 zu verlegen, wirkt wenig durchdacht: Langsame Internetverbindungen bei Online-Suchen und piepsende Nokia-Handys tragen nämlich trotz gelegentlicher Nostalgie-Ausschläge allein auch nur recht wenig zur (intendierten) Spannungssteigerung bei.
Immerhin atmet der Schnitt von Martin Pensa (oscarnominiert für „Dallas Buyers Club“) mit vielen auffällig weiche Überblendungen und Match-Cuts ein Stück weit die raffiniert-stilistische Eleganz klassischer Hollywood-Film-noirs. Während Matthew Macfadyen („Deadpool & Wolverine“) dafür aber einfach zu harmlos-blasiert wirkt und Gael García Bernal („Station Eleven“) als Dialog-Sparringspartner und unbedarfter „Komplize“ von Nancy schauspielerisch ohnehin recht wenig zu tun bekommt, liefert Nicole Kidman einmal mehr eine engagierte Performance ab. Selbst mit kleinen Gesten – etwa, wenn sie ihren Hackbraten gedankenverloren mit einer Ketchup-Soße „ertränkt“ oder vorm ersten Kuss mit Dave zurückweicht – gelingt ihr ein starkes und realistisches Portrait einer eigentlich selbstbewussten Frau, die mit der Sicherheit ihrer kleinbürgerlich-langweiligen Existenz hadert.
Fazit: In der ersten Filmhälfte baut „Holland“ u. a. durch das prominente Modellbahn-Motiv und eine sich steigernde Spannungskurve Erwartungen auf, die der halbgare Thriller danach aber nicht mal ansatzweise einlösen kann. Viel verschwendetes Potenzial – auch und gerade wegen einer gewohnt starken Nicole Kidman.