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    Captain Fantastic - Einmal Wildnis und zurück
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Captain Fantastic - Einmal Wildnis und zurück
    Von Christoph Petersen

    Matt Ross' Tragikomödie „Captain Fantastic - Einmal Wildnis und zurück“ erinnert ein wenig an den Indie-Hit „Little Miss Sunshine“ - ein Road-Movie mit schrägen Figuren und einem großen Herzen: Die Kinder des Titelhelden lernen Hirsche zu jagen, sie wissen, dass Cola vergiftetes Wasser ist, und die Familie begeht im Dezember nicht Weihnachten, sondern den Noam-Chomsky-Tag - denn warum sollte man lieber einen erfundenen Wunderelfen als einen tatsächlich für die Menschenrechte eintretenden Humanisten feiern? Ben (Viggo Mortensen) lebt als überzeugter Aussteiger im Wald, wo er jeden Tag mit seinen sechs Kindern ein rigoroses körperliches, geistiges und philosophisches Trainingsprogramm durchzieht. Als Bens manisch-depressive Frau Leslie (Trin Miller) Selbstmord begeht, reist der ganze Clan im alten Bus zur Beerdigung, um der Verstorbenen ihren letzten Wunsch zu erfüllen: Statt christlich begraben zu werden wollte die überzeugte Buddhistin nämlich, dass man ihre Überreste eine öffentliche Toilette herunterspült ...

    Vor allem in der ersten Hälfte ist „Captain Fantastic“ eine klassische Fisch-auf-dem-Trockenen-Komödie – so etwas wie die maoistisch-antikapitalistische Version von „Flodder - Eine Familie zum Knutschen“. Ben mag seine Kinder körperlich und intellektuell auf ein Top-Level gebracht haben, aber ihr Aufeinanderprallen mit der „echten“ Welt ist trotzdem oft saukomisch. Wenn sich die agnostische Familie („Man darf sich über niemanden lustig machen, außer über Christen“) gegenüber einem Cop als Homeschooling-Hardcore-Christen ausgibt und ihn mit Jesusliedern in die Flucht schlägt, ist das ebenso amüsant wie vielsagend: Kommunistische Spinner kommen in den Knast, aber christliche Spinner lässt man lieber in Ruhe. Für eine gute Pointe übertreibt es Ross dabei allerdings hier und da mit der Weltfremdheit der Kids - dass etwa der älteste Sohn Bodevan (George MacKay) einem Mädchen direkt nach dem ersten Kuss einen hochtrabenden Heiratsantrag macht, ist in dem Moment zwar extrem lustig, aber nur wenig glaubhaft.

    Träfe man Ben und seine Kinder auf der Straße, könnte man sie leicht für verrückt halten. Aber Regisseur Ross nutzt die schrägen Spleens der Familie nicht nur für Gags, ihm gelingt es auch, sein Publikum tatsächlich für die Lebens- und Lernphilosophie der Aussteiger zu faszinieren: Bodevan wurde von Yale bis Harvard an allen Eliteuniversitäten des Landes angenommen, der Teenager Vespyr (Annalise Basso) liefert eine perfekte Interpretation von Vladimir Nabokovs „Lolita“ und schon die achtjährige Zaja (Szenendiebin Shree Crooks) kann aus dem Stegreif einen Vortrag über die US-Verfassung halten (und zwar mit eigenen Worten).

    Zugleich macht es sich Ross aber auch etwas zu leicht, wenn er die „normal“ erzogenen Kinder von Leslies Schwester Harper (Kathryn Hahn) als grenzdebile Xbox-Junkies bloß- und ihren Vater Jack (Frank Langella) als gutsituiertes Arschloch hinstellt. Die Sympathien sind in „Captain Fantastic“ selbst dann noch so eindeutig verteilt, als Ben eine seiner Töchter in echte Lebensgefahr bringt: Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Vor- und Nachteilen der alternativen Lebensart scheint gar nicht erwünscht zu sein. Selbst einem Wohlfühlfilm wie „Captain Fantastic“ hätte in dieser Hinsicht ein wenig mehr Ambivalenz sicher nicht geschadet.

    Fazit: Sehr unterhaltsame, schön schräge, aber mitunter auch unnötig manipulative Tragikomödie mit einem tollen Viggo Mortensen.

    Wir haben „Captain Fantastic“ im Rahmen der 69. Filmfestspiele von Cannes gesehen, wo der Film in der Reihe Un Certain Regard gezeigt wurde.

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