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    Pride
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Pride
    Von Thomas Vorwerk

    Die Atmosphäre im England der 1980er war geprägt durch die Regierung Margaret Thatcher, die von den totalitären Visionen George Orwells („1984“) nicht allzuweit entfernt war. Vor allem die britische Kunst-/Pop-Szene rieb sich an Thatcher, die von Songs bis Comics immer wieder mal mehr oder weniger offen angegangen wurde. Man denke zum Beispiel an Alan Moore, der 1982 begann, seinen inzwischen verfilmten Comic „V wie Vendetta“ zu veröffentlichen, eine Art modernisierte Fassung des Kampfes gegen den „Big Brother“. Von einem ähnlichen, aber nicht so düsteren, zwei sehr unterschiedliche Gruppen von Aktivisten zusammenbringenden Engagement gegen die Unterdrückung erzählt Matthew Warchus in seiner starken, weil sehr unterhaltsamen, auf wahren Begebenheiten basierenden Ensemble-Komödie „Pride“.

    Beim Londoner Demonstrationsmarsch „Gay Pride“ 1984 gerät der 20jährige provinziell-naive Joe (George McKay) in eine Gruppe rund um die Aktivisten Mike (Joseph Gilgun) und Mark (Ben Schnetzer). Diese wollen den landesweiten Kampf der streikenden Minenarbeiter mit ihrer Initiative „Lesbians and Gays Support the Miners“ (LGSM) unterstützen, geraten aber auf beiden Seiten auf Gegenwehr. Kurzentschlossen fährt man in die kleine Ortschaft Onllwyn in Südwales, bringt das gesammelte Geld direkt dorthin, wo es gebraucht wird und sorgt dafür, dass einige unrechtmäßig inhaftierte Arbeiter entlassen werden. In der Provinz begegnet man dabei – abgesehen von einigen unbelehrbaren und unerbittlichen Gegnern - größtenteils skeptischer aber wohlwollender Gastfreundlichkeit. Der lokale Anführer der „Miners“, Dai (Paddy Considine), ist der größte Unterstützer der seltsamen Verbrüderung, aber auch der schüchterne alte Cliff (Bill Nighy) und die resolute großherzige Hefina (Imelda Staunton) sehen die Chance, hier eine echte Veränderung voranzutreiben.

    Es ist eine glückliche Fügung, dass trotz mehrerer Schicksalsschläge in der Handlung für „Pride“ die wahre historische Geschichte um die Verbrüderung von Minenarbeitern und Gay-Aktivisten nicht als Drama, sondern als lockere Komödie realisiert wurde. Dabei konnte man zudem ein sehr komplexes Drehbuch mit einem guten Dutzend unterschiedlichster Figuren, die spannende Begegnung und förderliche Entwicklungen erleben, umsetzen. Während die bodenständigen älteren Waliser von gewohnt solide agierenden Größen des britischen Kinos wie Bill Nighy („Alles eine Frage der Zeit“) und Imelda Staunton („Vera Drake“) verkörpert werden, sind es vor allem die teilweise noch unbekannteren Darsteller der Aktivisten, die sich nachdrücklich in den Vordergrund spielen. Ihre Figuren ergeben gemeinsam eine vielfältige, aber sehr heterogene Gruppe, wobei der aus strengem Elternhaus stammende scheue Joe als Identifikationsfigur für den Zuschauer fungiert. Seine zwei Geburtstage dienen auch als Klammer für die eigentliche Filmhandlung.

    Der politisch wie vermutlich auch sexuell sehr aktive, nordirische Lederjackenträger Mark und der sich hinter seiner hippen Mütze und intellektuellen Romanen versteckende Mike bilden trotz ihrer Gegensätzlichkeit das Rückgrat der bunten Aktivistengruppe. Besonders zeigt sich die hervorragende Figurenzeichnung aber an Steph (Faye Marsay), die nur anfangs wie die Alibi-Lesbe der Gruppe wirkt. Es sind besonders gelungene Szenen, wenn sie im fernen Wales, die älteren Hausfrauen und Witwen der Gemeinde für den Kampf aktiviert, man gemeinsam die Nacht in einer Schwulenbar durchfeiert und sich über die Geheimnisse der veganen Küche austauscht. „The Wire“-Star Dominic West spielt auf köstliche Weise Jonathan, den mit seinem flamboyanten Gehabe und langem Schal auffälligsten Vertreter der LGSM. Er öffnet die Minenarbeiter, in dem er ihnen zeigt, dass der unerschrockene Tanz auch heterosexuellen Männern gut zu Gesicht steht (Stichwort: „Frauenmagnet“). „Sherlock“-Widersacher Andrew Scott bleibt als Gethin, einziges lokales Mitglied der Gruppe, zunächst im Hintergrund, aber auch ihm gehören im Fortlauf berührende Szenen, als er endlich den Mut aufbringt, sich nach langer Funkstille seinem Elternhaus zu nähern.

    Der Humor des Films ist vielschichtig und lebensbejahend. Auch, wenn es eigentlich um frustrierende Lebenslügen geht, scheint hier die Sonne und es muss nicht immer ein Regenbogen entstehen. Ein Beispiel: Joe, der seinen Eltern erzählt, er besuche eine Konditoreischule (die Ersatzeltern aus der Gruppe denken immer daran, dass er auch lukullische Beweisstücke mit nach Hause bringt), offenbart an einer Stelle euphorisch der Mutter gegenüber, dass seine Ausflüge die wichtigste Erfahrung seines Lebens darstellen, woraufhin sie zunächst nicht recht nachvollziehen kann, inwiefern „Pasteten backen“ so eine Offenbarung darstellen kann. Auch die politische Orientierung innerhalb der Gewerkschaft spielt im Film eine Rolle, wenn bei einem Treffen der walisischen „Union“, bei dem mittlerweile auch die LGSM mehr als nur toleriert wird, eine einzelne junge Frau (Bronwe Lewis) aufsteht und mit glasklarer Stimme den nicht nur aus einem Ken-Loach-Film bekannten Protestsong „Bread and Roses“ anstimmt, was in der langsam anwachsenden Gesangskulisse sehr schön die vorherrschende Entwicklung des Films symbolisiert. „There is power in a union!“

    Trotz der vielen kleinen Einzelgeschichten funktioniert aber auch die übergeordnete Dramaturgie und „Pride“ bleibt bis zum Schluss spannend. Dies ist vor allem ein Verdienst der herausragenden Arbeit des früheren TV-Nebendarstellers Stephen Beresford, der hier sein Drehbuchdebüt abliefert und dem wohl einige wundervolle Ideen zu verdanken sind. Einer der genialsten Momente ist allerdings historisch verbürgt. Nachdem die erzkonservative britische Boulevardpresse in Form von Rupert Murdochs The Sun die eigentümliche Verbindung zwischen Minen-Arbeitern und Gay-Aktivisten mit der Schlagzeile „Perverts support the pits“ (etwa: „Perverse unterstützen die Grubenarbeiter“) der Lächerlichkeit preisgeben will, wird kurzerhand beschlossen, dass man sich die Beschimpfungen einfach selbst aneignen muss: „When someone calls you a name, you take it and you own it!“ Und so initiiert man das Benefizkonzert „Pits and Perverts“. Dort tritt übrigens auch die kultige Synthie-Pop-Gruppe Bronski Beat auf und liefert einen Beitrag zum großartigen, facettenreichen, zeitgenössischen Soundtrack.

    Fazit: Für einen historisch akkuraten Spielfilm mit politischer Botschaft kommt „Pride“ unerwartet leichtfüßig und mitreißend daher. Ob man in seiner Jackentasche eine AIDS-Broschüre, eine Mao-Bibel oder eine Smiths-CD mitführt: bei dieser irgendwie realistischen Feelgood-Komödie wippen alle Füße fröhlich im Takt.

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