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    A Cure For Wellness
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    A Cure For Wellness
    Von Christoph Petersen

    Wenn im Trailer zum zweieinhalbstündigen Gothic-Horrorfilm „A Cure For Wellness“ die Einblendung „Vom visionären Regisseur Gore Verbinski“ auftaucht, denkt man sich zunächst: Wirklich? Der Handwerker hinter Blockbuster-Kost wie „Fluch der Karibik 1 – 3“ und „Lone Ranger“ ein visionärer Regisseur? Aber wer sich die Filmografie des ehemaligen Punkrock-Gitarristen etwas genauer anschaut, muss den Trailer-Textern doch zustimmen – nur hat Verbinski eben nie wie andere herausragende Filmemacher einen eigenen konsistenten Stil etabliert, sondern erfindet sich in fast jedem seiner Filme vollkommen neu: in der für Familienunterhaltung VIEL zu schwarzen und gerade deshalb so brillanten Komödie „Mäusejagd“ ebenso wie im vor allem visuell herausragenden „Ring“-Remake oder im oscarprämierten Experimental-Animationswestern „Rango“. Selbst in seinen Big-Big-Budgetfilmen hat sich Verbinski immer etwas weiter aus dem Fenster gelehnt als andere, man erinnere sich nur an die abstrakt-surreale Sequenz in „Pirates Of The Caribbean - Am Ende der Welt“, in der Johnny Depp vor einem gleißend-weißen Hintergrund plötzlich eine Vielzahl von Jack Sparrows verkörpert. Und es ist genau dieser unbedingte Wille zum Leinwandexperiment, diese zügellose Lust an der schieren visuellen und erzählerischen Dekadenz, die nun auch „A Cure For Wellness“ zu etwas ganz Besonderem macht.

    Als die Vorstandsmitglieder eines New Yorker Finanzunternehmens den mysteriösen Brief eines Kollegen erhalten, in dem er ihnen mitteilt, dass er nach seinem zweiwöchigen Aufenthalt in einem luxuriösen Wellness-Resort nicht mehr nach Manhattan zurückkehren wird, entsenden die Wallstreet-Lenker den aufstrebenden Nachwuchs-Broker Lockhart (Dane DeHaan) in die Schweizer Alpen, damit er seinen Chef doch noch umstimmt – immerhin steht eine große Firmenfusion kurz bevor. Der schwer gestresste und genervte Lockhart geht eigentlich davon aus, dass der Job an einem Nachmittag zu erledigen ist – aber als er im Volmer Institute eintrifft, ist die Besuchszeit für den Tag schon vorüber, und auf der Fahrt zurück ins tiefergelegene Dorf kommt es zu einem spektakulären Unfall mit einem Hirsch, in dessen Folge sich Lockhart nach mehreren bewusstlosen Tagen mit gebrochenem Bein selbst als Patient des autoritären Dr. Volmer (Jason Isaacs) in dessen Institut wiederfindet. Dort ist sich der unfreiwillige Gast nach kurzer Zeit sicher, dass mit der speziellen Wasserkur des Hauses etwas ganz und gar nicht stimmt – immerhin hat noch nie einer der wohlhabenden Patienten das Resort wieder verlassen, stattdessen entscheiden sich alle dafür, für immer dort zu bleiben…

    Horrorkino hat traditionell bei den Oscars eher schlechte Karten – aber wenn es nur ein bisschen gerecht zugehen würde in Hollywood, wäre „A Cure For Wellness“ der Goldjunge für das Beste Produktionsdesign bei der Verleihung 2018 eigentlich schon sicher: Was die vierfach oscarnominierte Eve Stewart („Les Misérables“) und ihr Ausstattungsteam alles in die imposanten Hallen, die abgelegenen Flügel und die versteckten Gänge der altehrwürdigen Burg Hohenzollern in Baden-Württemberg hineingestellt haben, wo die Institutsszenen gedreht wurden, raubt einem schlicht den Atem: riesige (Steampunk-)Tanks, in die Spa-Gäste hineinsteigen und die dann mit Wasser vollgepumpt werden; reihenweise kupferne Schwitzkästen, in denen Patienten wie Legehennen stecken und „ausgepresst“ werden; eine geheime Gruft irgendwo zwischen Bond-Bösewicht-Versteck und den gruseligen Gewölben der Hammer-Horrorfilme der 1950er und 60er Jahre; schließlich eine Reihe von Urinproben mit nicht zu identifizierenden Stückchen drin (unser heimlicher Favorit). Dazu passt, dass die prachtvollen Bilder von Kameramann Bojan Bazelli („King Of New York“) neben ihrer herausgestellten Schönheit zugleich auch immer eine gewisse verstörende Note haben: Wes Anderson trifft David Lynch trifft Terence Fisher – und das mit erfreulich wenig CGI-Einsatz.

    Aber nicht nur visuell, auch erzählerisch geht Gore Verbinski mit Unterstützung seines Drehbuchautors Justin Haythe („Zeiten des Aufruhrs“) hier so richtig in die Vollen! Was als Kritik am Wallstreet-Turbokapitalismus beginnt, wandelt sich mit der Ankunft im Schweizer Spa zunächst zu einem lynchesken Mystery-Puzzle: Sind die zunehmend selbstgebastelten Kreuzworträtsel einer Patientin der Schlüssel zur Lösung? Oder doch eher die 200 Jahre alten Legenden um einen Burgherrn, der zur Reinhaltung seiner Blutlinie seine eigene Schwester geschwängert hat? Was hat es mit der speziellen Wasserkur auf sich? War der Mini-Wurm in Lockharts Glas nur ein Zufall? Und die punkige Dorfjugend? Und der geheimnisvolle Oberarzt? Während man Verbinskis streng-komponierte Inszenierung genießt, ist es eine wahre Freude, nebenbei auch noch ordentlich mitzurätseln - subtile Hinweise, Anspielungen und Metaphern gibt es schließlich mehr als genug. Nur sollte man keinen fein säuberlich aufgedröselten Schlusstwist erwarten, denn „A Cure For Wellness“ bleibt trotz seiner vielen modernen Elemente im Kern ein klassischer Gothic-Horrorfilm, dessen opulent-feuriges Finale zugleich die halbe Filmgeschichte zitiert und einen würdigen Abschluss für einen zweieinhalbstündigen Leinwandexzess bildet.

    Fazit: „Fluch der Karibik“-Regisseur Gore Verbinski gelingt mit seinem konsequent großgedachten (und nur einen Tick zu langen) Arthouse-Horror „A Cure For Wellness“ ein atmosphärisch wie visuell berauschendes Gothic-Gruselfest.

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