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    La Mélodie - Der Klang von Paris
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    La Mélodie - Der Klang von Paris
    Von Thomas Vorwerk

    Lehrer-Schüler-Geschichten folgen häufig ähnlichen Erzählmustern wie Sportfilme. Der Pädagoge will seiner Klasse zum Erfolg verhelfen wie der Trainer seiner Mannschaft, dabei kämpfen immer wieder die Underdogs gegen schier unüberwindbare Hindernisse, einige Etappen auf dem Weg zum Finale werden gern in Montagesequenzen zusammengefasst - und zum Schluss gibt es meist zumindest einen „moralischen“ Sieg. In „La Mélodie - Der Klang von Paris“ will ein engagierter Musiklehrer diesen Sieg nun mit seiner jugendlichen Geigenklasse aus einer Pariser Banlieue erringen. Allerdings macht der als Schauspieler zum Filmgeschäft gekommene Rachid Hami („L'esquive“) dieses Schul- und Musikdrama zu einem allzu glatten Großstadtmärchen, in dem die erwähnten Hindernisse sich meist unerklärlich gleichsam in Luft auflösen.

    In einer Zeit ohne Konzertengagements übernimmt der Violinist Simon Daoud (Kad Merad) eine Gruppe etwa 13 bis 15 Jahre alter Schüler unterschiedlichster Herkunft, die sich offenbar fürs Geigenspiel entschieden haben, weil es als Alternative zum Sportunterricht angeboten wurde. In einem Probenraum mit schadhafter Elektrik versucht sich Simon, unterstützt vom Lehrer Farid Brahimi (Samir Guesmi, „Der Effekt des Wassers“), mit den teilweise sehr rebellischen, respektlosen und störenden Kids zusammenzuraufen. In dem Außenseiter Arnold (Rénely Alfred), der spät zur Gruppe hinzustößt, entdeckt Simon schließlich sogar ein veritables Talent. Der bei seiner alleinerziehenden Mutter lebende Junge wirkt wie eine zweite Chance für Simon, der einst mit seinen auf sie übertragenen musikalischen Ambitionen seine Tochter entfremdete. Ein Probespiel zeigt jedoch, dass der große Traum der Klasse von einem Auftritt in der Pariser Philharmonie kaum zu verwirklichen scheint.

    Der aus Algerien stammende Hauptdarsteller Kad Merad, bekannt aus quirlig-aufgedrehten Komödien wie „Willkommen bei den Sch'tis“ oder „Der kleine Nick“, überrascht hier mit einer zurückgenommenen, fast introvertierten Darbietung, für die er sogar seinen charakteristischen Bart abgenommen hat. Dazu agiert auch der Neuling Rénely Alfred sehr einfühlsam, und Regisseur Rachid Hami, der zu seinen Vorbildern Abdellatif Kechiche („Blau ist eine warme Farbe“) und Ken Loach („Ich, Daniel Blake“) zählt, ging das Projekt sehr ambitioniert an. Ihm war etwa sehr wichtig, dass man das das zunehmende Zusammengehörigkeitsgefühl der Klasse und die durch viel Proben entstehende Fingerfertigkeit (keines der Kids hatte zuvor Geigenerfahrung) als Zuschauer authentisch miterleben kann. In diesen Punkten war er durchaus erfolgreich, dennoch ist „La Mélodie“ insgesamt nur ein durchschnittlicher Film.

    Um nachvollziehbar machen zu können, woran es bei diesem letztlich ziemlich undramatischen Drama hapert, muss man ein wenig ins erzählerische Detail gehen. Damit eine Geschichte wie diese eine emotionale Wirkung entfaltet, bedarf es einer gewissen Fallhöhe. Die Hindernisse, die von den Figuren überwunden werden müssen, sollten auch vom Publikum wirklich als solche erkannt und (mit)empfunden werden. In „La Mélodie“ ist dieses nun nur sehr unzureichend der Fall, immer wieder werden die zu lösenden Probleme und andere spannende Aspekte jeweils nur kurz angerissen oder fast augenblicklich handstreichartig einfach wieder in Luft aufgelöst: Arnold beginnt als Außenseiter, der gemobbt wird; Simon „schubst“ einen Schüler und wird deshalb von dessen Vater (Slimane Dazi) angegriffen; später bekommt Simon kurz vor dem Philharmonieauftritt ein lukratives Angebot für eine Tournee; durch einen Kurzschluss brennt der Probenraum aus - und jeder dieser Rückschläge wird allzu gefällig und fix glattgebügelt, noch ehe man sich als Betrachter wirklich in der jeweiligen Situation zurechtgefunden hat – zum Einfühlen bleibt da gar kaum eine Möglichkeit.

    Fast noch frustrierender sind aber die Handlungsansätze, die man ganz ohne Weiterentwicklung oder Lösung fallen lässt, so dass man sich fragt, wozu sie überhaupt ins Spiel gebracht wurden: die Parallele zwischen Arnolds rebellischer älterer Schwester und Simons Tochter, die aufblühende Freundschaft (oder mehr?) zwischen Arnold und seiner Mitschülerin Yaël (Shirel Nataf), ein Tanz von Simon mit Arnolds Mutter in durchaus intimem Ambiente. Doch statt großer zu erklimmender Felsen gibt es auf dem Weg zum Filmende nur ein paar irritierende Steinchen im Schuh des Betrachters.

    Zu den losen Fäden gesellt sich schließlich dann auch noch eine kaum plausible entscheidende Wendung, die dem Film als emotionales Drama endgültig das Wasser abgräbt. Nachdem man im Laufe des Films eine katastrophale Probe der Klasse mit dem nicht sehr kinderaffinen Dirigenten erlebt hat, ist beim großen Auftritt in der neuen Pariser Philharmonie plötzlich alles ganz anders. Wie durch ein Wunder klappt mit einem Mal alles, was zuvor schiefging und der Orchesterleiter ist plötzlich ein ganz neuer Mensch. Märchenhaftigkeit ist eine Sache und man soll den Realitätsanspruch in solch einem Film auch nicht zu wichtig nehmen, aber eine solche Wendung sollte man sich erzählerisch erarbeiten und sie nicht einfach willkürlich aus dem Hut zaubern. Wenn der Weg zum (emotionalen) Ziel so vernachlässigt wird, dann bleibt selbst dem wohlwollenden Zuschauer kaum mehr als ein Schulterzucken.

    Fazit: „La Mélodie“ steckt voller spannender Ansätze und Ambitionen, aber die glattgebügelt-willkürliche Dramaturgie beraubt den Film nahezu jeder auch emotionaler Spannung.

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