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    Mia und der weiße Löwe
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Mia und der weiße Löwe

    Echte Löwen statt täuschend echter CGI-Tiere

    Von Markus Tschiedert

    Wenn im Sommer 2019 mit Jon Favreaus „Der König der Löwen“ die heißerwartete Live-Action-Verfilmung des Disney-Zeichentrickklassikers von 1994 in den Kinos startet, werden wir alle wieder darüber staunen, wie gut es mit der heutigen Animationstechnik schon gelingt, wilde Tiere auf der Leinwand täuschend echt zum Leben zu erwecken. Aber bevor es soweit ist, kommt nun erst mal ein Film ins Kino, in dem die Tiere noch realistischer aussehen – und zwar aus gutem Grund: In „Mia und der weiße Löwe“ agieren nämlich ECHTE Löwen vor der Kamera!

    Dabei wird es die bald gar nicht mehr geben, wenn die Menschheit so weitermacht wie bisher: In ganz Afrika zählt man nur noch um die 23.000 Löwen - und ihre Anzahl sinkt stetig weiter. Nicht zuletzt, weil dekadente Amerikaner und Europäer bis zu 4.000 Euro zahlen, um sich ihren eigenen Mähnenträger als Trophäe zu schießen. Auf diese dramatische Entwicklung will auch der französische Dokumentarfilmer Gilles de Maistre („Der erste Schrei“) mit seinem ersten Spielfilm „Mia und der weiße Löwe“ aufmerksam machen – allerdings nicht mit erhobenem Zeigefinger. Stattdessen verpackt er seine wichtige Botschaft in einem ebenso aufregenden und wie berührenden Familiendrama.

    Die elfjährige Mia Owen (Daniah de Villiers) leidet sehr darunter, von London nach Südafrika umziehen zu müssen. Hier will ihr Vater John (Langley Kirkwood) eine Löwenzuchtfarm übernehmen. Eines Tages überrascht er Mia, seine Frau Alice (Mélanie Laurent) und seinen Sohn Mick (Ryan McLennan) mit einem weißen Löwenbaby. Ein seltenes Exemplar, mit dem John das Geschäft wieder ankurbeln will. Charlie wird der Kleine genannt, der vor allem zu Mia Vertrauen findet. Über die Jahre werden die beiden schließlich unzertrennlich. Als Charlie schließlich ein ausgewachsener Löwe ist, beschließt John jedoch, ihn zu verkaufen. Dabei verschweigt er seiner Tochter, dass die Farm kurz vor dem Ruin steht und er Charlie einem dubiosen Geschäftsmann (Brandon Auret) überlassen will. Der lebt davon, Raubtiere an reiche Touristen als Jagdtrophäe freizugeben. Als Mia davon Wind bekommt, flieht sie mit Charlie. Ihr Ziel: Ein Schutzreservat für wilde Tiere…

    Gilles de Maistre wurde zu der Geschichte durch einen wahren Vorfall inspiriert und ging daraufhin mit seiner Idee sofort zu Kevin Richardson, der seit mehr als 20 Jahren mit Raubkatzen arbeitet und mit der TV-Dokumentation „Der mit den Löwen spricht“ international bekannt wurde. Richardson meinte, dass man den Film in einem Zeitraum von drei Jahren drehen müsste, wenn man die Beziehung zwischen einem Kind und einem Löwen authentisch darstellen will. Sie müssten quasi zusammen aufwachsen. Nur dann würde ein Mensch von einer Wildkatze als Artgenosse akzeptiert werden. Die meisten Filmemacher hätten das Projekt an diesem Punkt wohl gleich wieder ad acta gelegt. Aber nicht so de Maistre, der die Verantwortlichen von STUDIOCANAL und Galatée Films davon überzeugen konnten, sich auf dieses mehrjährige Wagnis einzulassen.

    Die nächste Hürde war die Besetzung der beiden Hauptdarsteller. Das weiße Löwenbaby war schnell gefunden. Schwieriger war die Suche nach der richtigen Mia. 300 Kinder standen zur Auswahl. Doch nur die damals 12-jährige Daniah de Villiers („The Dating Game Killer“) konnte überzeugen. Denn das südafrikanische Mädchen streichelte den kleinen Löwen nicht mit den Händen, sondern schmiegte sich direkt mit dem Kopf an das Tier – das perfekte Paar war gefunden, was auch im Film deutlich zu erkennen ist. Keine Sekunde zweifelt man das innige Verhältnis der beiden an. Wie selbstverständlich liebkost das Mädchen den Löwen, und der lässt sich das bedingungslos gefallen. Allein diese unglaublichen Aufnahmen machen „Mia und der weiße Löwe“ zu einem einzigartigen generationsübergreifenden Kinoerlebnis.

    Dass Drehen solcher Szenen ist allerdings gar nicht selbstverständlich, sondern überhaupt nur durch die intensive Vorbereitung des Löwenflüsterers Kevin Richardson möglich. Vor seiner Leistung kann man einfach nur den Hut ziehen! Jedes Jahr traf sich das Team erneut zu Filmaufnahmen, und Daniah und Thor, wie Charlie in Wirklichkeit heißt, sind wieder ein Stück gewachsen und erwachsener geworden. Dass hier kein Darstellerwechsel stattgefunden hat, sondern man quasi dabei zugucken kann, wie Kind und Tier in zwei Stunden heranreifen, ist ein schöner Nebeneffekt der drei Jahre Drehzeit. Aber je älter der Löwe wurde, desto potentiell gefährlicher wurde er auch. Wahnsinn, wie diese wachsende Bedrohung auch im Film spürbar wird. Wenn Charlie brüllt, das Maul aufreißt oder angriffslustig zum Sprung ansetzt, zuckt man auch im Kinosessel zurück.

    Echte Löwen gab es in der Filmgeschichte schon öfter. 1966 wurde mit „Frei geboren – Königin der Wildnis“ die wahre Geschichte der Löwin Elsa erzählt, die von Menschenhand aufgezogen wieder in die Freiheit entlassen wurde. Damals unterschätzte man allerdings den Aufwand. Wilde Tiere halten sich nicht an Zeit- und Drehpläne. Deshalb nahmen die Dreharbeiten fast ein Jahr in Anspruch. Die Fertigstellung von „Roar – Die Löwen sind los“ dauerte 1981 sogar gleich mehrere Jahre - und die Darsteller, darunter Hitchcock-Ikone Tippi Hedren („Die Vögel“) sowie ihre damals noch unbekannte Tochter Melanie Griffith („Die Waffen der Frauen“), trugen durch Unwissenheit und Leichtfertigkeit im Umgang mit den Katzen zum Teil schwere Verletzungen davon.

    Von solchen Zwischenfällen blieb der Dreh zu „Mia und der weiße Löwe“ verschont - und das nicht nur aufgrund der Sorgsamkeit der Beteiligten, sondern auch, weil hier der ‚König der Tiere’ weder zur reißenden Sensationsbestie noch zum harmlosen Kuschelkater degradiert wird. Ihm wird Würde und Respekt entgegengebracht. Der Löwe ist ein prachtvoller Bewohner, für dessen Fortbestand sich der Mensch verantwortlich fühlen muss. Das ist eine wunderbare Botschaft dieses Films, die dem Zuschauer direkt ins Herz geht.

    Fazit: Ein Film, der sich wirklich mal für die ganze Familie eignet. Ein Tochter-Vater-Konflikt, der auf eine ungewöhnlich brisante Weise auf die Spitze getrieben wird; ein zuckersüßes Löwenkind, das seine Unschuld verliert; und nebenher kritische Seitenhiebe auf die in Südafrika immer noch geduldete Großwildjagd auf Löwen. Entertainment und Enthusiasmus in einem Film – das bekommt man eher selten.

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