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    A Ghost Story
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    A Ghost Story
    Von Christoph Petersen

    Die Gespenster im Fantasy-Drama „A Ghost Story“ sind keine computeranimierten Spukgestalten, wie man sie aus dem modernen Horrorkino gewohnt ist. Stattdessen besinnt sich David Lowery auf die unschuldige Vorstellung vergangener Kindertage: Bettlaken überschmeißen, zwei Löcher für die Augen reinschneiden, fertig. Es geht dem „Saints - Sie kannten kein Gesetz“-Regisseur schließlich auch gar nicht darum, irgendjemanden zu erschrecken – statt eines plötzlichen Jump Scares ist es hier die schiere Tragik der Situation, die den Zuschauer bis ins Mark erschüttert: Wenn ein Gespenst an einen Ort gebunden ist, dann mögen die Bewohner ab und an mit einer unerklärlicherweise heruntergefallenen Kaffeetasse klarkommen müssen. Aber die Vorstellung, wie ein Gespenst jahrein, jahraus ohne echte Ausdrucksmöglichkeit in der Ecke herumzustehen, ist doch viel grauenerregender. „A Ghost Story“ ist ein extrem reduzierter, extrem verdichteter Film, hinter dessen vermeintlicher Einfachheit sich eine todtraurige, unendlich melancholische Weisheit verbirgt.

    Der Musiker C (Casey Affleck, „Manchester By The Sea“) und seine Frau M (Rooney Mara, „Verblendung“) führen eine ganz normale liebevolle Beziehung – sie würde gerne aus dem kleinen Haus wegziehen, er möchte lieber bleiben. Als C dann bei einem Autounfall ums Leben kommt und M ihn in der Leichenhalle identifiziert, erhebt sich C kurz darauf mitsamt dem ihn bedeckenden Bettlaken und kehrt nach Hause zurück. Während M trauert, steht C als Gespenst stumm in der Ecke und beobachtet – er sieht mit an, wie es seiner Frau immer schlechter geht, wie sie einen neuen Mann kennenlernt und wie sie schließlich auszieht. Aber damit ist diese Geistergeschichte noch lange nicht zu Ende…

    Mit seinem quadratischen 1-zu-1-Filmformat mit abgerundeten Kanten erinnert „A Ghost Story“ in gewisser Weise an Diabilder, wobei der enge Bildausschnitt nur noch das beklemmende Gefühl unterstreicht, für die Ewigkeit an einen einzigen Ort gebunden zu sein. M und besonders C werden bewusst kaum charakterisiert (obwohl Rooney Mara und Casey Affleck in einer mehrminütigen Sequenz so glaubhaft miteinander kuscheln, wie wir es nur ganz selten auf der Leinwand gesehen haben). So bleibt C ein weißes Blatt beziehungsweise Betttuch, in dessen ausdruckslose schwarze Augen der Zuschauer zwangsläufig all die Tragik hineininterpretiert, die er sich nur vorstellen kann. Einmal erspäht C im Haus nebenan ein anderes Gespenst mit Blümchenbettlaken (Gespenster kommunizieren in „A Ghost Story“ per Untertitel). Es erzählt, dass es auf jemanden warte, allerdings schon lange vergessen habe auf wen. In diesem Moment möchte man auch als Zuschauer einfach nur noch vor Traurigkeit zerfließen. Gleichzeitig ist so ein ständig in der Ecke stehendes Gespenst von Natur aus auch ein wenig absurd: Obwohl es Lowery nicht gezielt auf Lacher anlegt, sind die trockenhumorigen Augenblicke höchstwillkommen und bitter nötig, um die Tragik des Films überhaupt aushalten zu können.

    Indem Lowery extrem lange starre Einstellungen - etwa wenn sich die trauernde M minutenlang heulend einen Kuchen reinstopft, während ihr C hilflos dabei zusehen muss - an kurze, mitunter Jahre oder sogar Jahrhunderte überspringende Vignetten reiht, macht er die Relativität (und ein wenig auch den Schrecken) von verstreichender Zeit für den Zuschauer nachvollziehbar. Neben dem ebenfalls großartigen „Sicilian Ghost Story“ ist „A Ghost Story“ damit 2017 schon der zweite Film, der den Geisterhintergrund nutzt, um den ganzen Horror von Verlust greifbar und zugleich durch eine gewisse zärtlich-mystische Überhöhung überhaupt erst ertragbar zu machen. Nach seinem Familienfilm-Abstecher mit „Elliot, der Drache“ meldet sich David Lowery als eigenwillige, einzigartige und experimentierfreudige Autorenfilmer-Stimme im Indie-Kino zurück – da ist es fast ein bisschen schade, dass er als nächstes mit der Live-Action-Version „Peter Pan“ erst einmal einen weiteren großen Disney-Studiofilm inszenieren wird.

    Fazit: Wenige Filme fangen das Gefühl von Trauer und Verlust so kraftvoll ein wie „A Ghost Story“ – ein zutiefst menschlicher Gespensterfilm.

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