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    Tatort: Wehrlos
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Tatort: Wehrlos
    Von Lars-Christian Daniels

    In der beliebtesten deutschen Krimireihe ermitteln die Kommissare auch gern mal in Kollegenkreisen bei der Polizei oder der Justiz: 2013 fühlten die Münchner Ermittler Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) zum Beispiel im „Tatort: Macht und Ohnmacht“ gestressten Beamten im Präsidium auf den Zahn, nachdem sich ein Polizist aus Verzweiflung das Leben genommen hatte. 2014 ermittelte ihr Stuttgarter „Tatort“-Kollege Thorsten Lannert (Richy Müller) im „Tatort: Freigang“ undercover als Justizvollzugsbeamter im Gefängnis und 2015 suchten die Bundespolizisten Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) und Katharina Lorenz (Petra Schmidt-Schaller) im „Tatort: Verbrannt“ nach dem qualvollen Tod eines Afrikaners auf einer Polizeiwache in Salzgitter nach dem Täter. Auch in Christopher Schiers „Tatort: Wehrlos“ vermuten die Wiener Ermittler einen Mörder in den eigenen Reihen: Die Spur führt in eine Polizeischule, in der offenbar einiges im Argen liegt. Eine reizvolle Ausgangslage, doch rücken die Ermittlungsarbeit und die Auflösung des Falls dank vieler privater Nebenkriegsschauplätze mit ausführlich zelebrierten Streitereien in diesem „Tatort“ bisweilen in den Hintergrund.

    Es sieht alles nach einem Ehedrama aus: Chefinspektor Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Major Bibi Fellner (Adele Neuhauser) werden in das Haus des Wiener Polizeischulleiters gerufen, der erschossen im Wohnzimmer liegt. Ein Stockwerk höher findet man seine Frau mit gebrochenem Genick. Eine Tat im Affekt und anschließender Selbstmord? Eisner und Fellner, die bei den Ermittlungen von ihrem Assistenten Manfred „Fredo“ Schimpf (Thomas Stipsits) unterstützt werden, hegen Zweifel: Es wurden zwei Schüsse abgegeben, aber im Toten steckt lediglich eine Kugel aus einer Dienstwaffe, die verschwunden ist. Die Spur führt in die Polizeischule: Ausbilder Thomas Nowak (Simon Hatzl) führt dort ein strenges Regiment und hat ein Auge auf die junge Polizeianwärterin Katja Humboldt (Julia Richter) geworfen. Fellner schleust sich nach einem fingierten Streit mit Eisner als Nowaks neue Vorgesetzte in die Schule ein und stellt fest, dass Neuzugänge dort einen schweren Stand haben. Eisner und Schimpf nehmen derweil Kontakt zur Kiezgröße Inkasso-Heinzi (Simon Schwarz) auf, der ihnen einen Insidertipp gibt: Die „depperte Bonny“ (Simone Fuith) und der „süße Clyde“ (Sebastian Wendelin) haben offenbar versucht, den Ermordeten zu erpressen...  

    Zwei Figuren, die im Wiener „Tatort“ sonst nur am Rande vorkommen, wird diesmal besonders viel Aufmerksamkeit zuteil: zum einen Bibi Fellners Busenfreund Inkasso-Heinzi (köstlich: Simon Schwarz, „Schweinskopf al dente“), der sich mal wieder in der Opferrolle sieht, obwohl er es faustdick hinter den Ohren hat, zum anderen dem tollpatschigen Assistenten „Fredo“ Schimpf (Thomas Stipsits, „Kater“), der in die Ermittlungen involviert ist wie noch nie. Während Heinzis Geschäftsgebaren („Bist du total deppert? Wieso bestellst du alkoholfreies Bier?“) und Schimpfs treudoofe Art  („Wenn’s dir hilft, kannst du ruhig Bibi zu mir sagen!“) für humorvolle Zwischentöne sorgen und den Film bis an die Grenze zur Satire bringen, kracht es an anderen Fronten gewaltig: Die erste halbe Stunde wird im „Tatort: Wehrlos“ fast pausenlos gestritten – unter den Polizisten, unter den Nachbarn der Ermordeten und sogar unter den Gerichtsmedizinern am Seziertisch. Weil das alles in brutalstem Wiener Dialekt und bei nicht ganz optimaler Tonabmischung stattfindet, dürften nicht wenige deutsche Zuschauer früh zur Fernbedienung greifen: Der 16. Einsatz von Eisner und Fellner ist selbst für geübte Ohren eine akustische Herausforderung.

    Handwerkliche Mängel sind in der ORF-Produktion ansonsten aber keine auszumachen: Regisseur Christopher Schier („Wir sind Kaiser“), der mit diesem „Tatort“ sein Langfilmdebüt gibt, setzt das Geschehen souverän und ohne größere Spielereien in Szene. Drehbuchautor Uli Brée („Der Kotzbrocken“) errichtet eine klassische Whodunit-Konstruktion, nimmt sich aber auffallend viel Zeit für private Störfeuer und zwischenmenschliche Misstöne: Während die Tochter des Chefinspektors, Claudia Eisner (Tanja Rauniger), diesmal fehlt, hat sich ihr Vater mit Samy Graf (Ruth Brauer-Kvam) eine neue Partnerin angelacht, was Fellner natürlich überhaupt nicht schmeckt. Weil der Griff zur Flasche bei der eigentlich „trockenen“ Ex-Alkoholikerin nicht ausbleibt und auch bei Schimpf der Haussegen schiefhängt, ist der 1020. „Tatort“ im Hinblick auf die Weiterentwicklung der Figuren hochinteressant – der zu lösende Kriminalfall gerät dadurch aber immer wieder aus dem Blickfeld. Erst nach der obligatorischen zweiten „Tatort“-Leiche rücken die Filmemacher die Suche nach dem Mörder in den Vordergrund – die Auflösung ist allerdings nicht sonderlich knifflig, weil der Kreis der Verdächtigen diesmal eng gesteckt ist.

    Das liegt auch daran, dass das Innenleben der Polizeischule nur sehr spärlich beleuchtet wird: Fellners von langer Hand geplanter (und zugleich ziemlich konstruiert wirkender) Undercover-Einsatz böte die Gelegenheit für spannende Ermittlungsarbeit im Auge des Sturms und das Freilegen der von Druck und Angst geprägten Zustände in der Ausbildungseinrichtung, aber es bleibt lediglich bei Scharmützeln der vorgeblichen neuen Vorgesetzten mit Nowak, der eine ganze Reihe gezielter Anfeindungen vom Stapel lässt. Und ausgerechnet über die spannendste Figur im Film, Polizeianwärterin Katja Humboldt (überzeugend: Newcomerin Julia Richter), erfahren wir unter dem Strich zu wenig, als dass ihr schwerer Stand in der Männerwelt wirklich betroffen machen würde. Gleiches gilt für Eisners alten Kollegen Stefan Pohl (Alexander Strobele, „Schindlers Liste“), der an Magenkrebs erkrankt ist und in diesem „Tatort“ eine Schlüsselrolle einnimmt. So lebt dieser solide Krimi aus Wien neben der Suche nach dem Täter am ehesten von der Frage, ob sich die beiden ungleichen Ermittler nach ihrem heftigen Auftaktstreit wohl irgendwann wieder versöhnen werden.

    Fazit: Christopher Schiers „Tatort: Wehrlos“ ist ein solider Krimi aus Wien, in dem die Gefühlswelt der Kommissare lange Zeit wichtiger zu sein scheint als die Antwort auf die Täterfrage.

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