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    Willkommen in Siegheilkirchen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Willkommen in Siegheilkirchen

    In Siegheilkirchen geht’s dreckig zu

    Von Teresa Vena

    2006 hat Marcus H. Rosenmüller mit seinem Arthouse-Superhit „Wer früher stirbt, ist länger tot“ den bayerischen Regional-Komödien-Kino-Hype, der sich bis heute etwa in den immens populären Eberhofer-Krimis wie „Kaiserschmarrndrama“ fortsetzt, überhaupt erst ins Rollen gebracht. Dabei spiegelt sich seine bayerische Herkunft quasi in allen Filmen des Regisseurs wider – und trotzdem setzt er nicht immer nur auf dieselbe Erfolgsformel, sondern beweist immer wieder auch den Mut und die Neugier, verschiedene Genres zu mischen und sich überhaupt auf neue filmische Formate einzulassen. So entstand jüngst auch der Dokumentarfilm „Dreiviertelblut – Weltraumtouristen“ über die gleichnamige bayerische Band.

    Willkommen in Siegheilkirchen“ ist nun sein erster Animationsfilm, für den Marcus H. Rosenmüller mit dem Spanier Santiago López Jover („Ein Hologramm für den König“) einen im Fach erfahrenen Partner gefunden hat. Die Bild- und Gedankenwelt des Films entstammt dem Leben und Werk von Manfred Deix. Der österreichische Karikaturist, der in seinem Land vor allem als Provokateur bekannt und geschätzt war, ist zwar bereits 2016 gestorben, war aber ab 2013 trotzdem noch einige Jahre lang persönlich an der Entwicklung des Films beteiligt. Bei Stil und Thematik schlägt „Willkommen in Siegheilkirchen“ deshalb auch viel eher Deix‘ österreichische als Rosenmüllers bayerische Identität durch.

    Lieber Herrgott, lass es Kot vom Himmel regnen!

    Der Sohn des örtlichen Wirts wird von allen nur „Rotzbub“ (Stimme: Markus Freistätter) genannt. In der Schule, geführt vom strengen Pfarrer (Juergen Maurer), langweilt er sich, viel lieber würde er zeichnen und malen. Aber Künstler gilt in diesem Umfeld nicht als seriöser Berufswunsch, stattdessen solle er besser Buchhalter werden. Ablenken lässt sich der Rotzbub von den üppigen Rundungen seiner neuen Nachbarin (Adele Neuhauser), die genauso auch in seinen Freunden ein sexuelles Erwachen hervorruft. Seine Kunstfertigkeit nutzt er für erotische Zeichnungen, die seine Freunde für ihn im Dorf für die Aufbesserung des Taschengelds verkaufen.

    Als die hübsche Mariolina (Gerti Drassl) ins Dorf kommt, verliebt sich der Rotzbub in sie. Doch das Mädchen ist die Tochter einer Familie von Fahrenden, die von den restlichen Einwohnern misstrauisch und abweisend behandelt werden. Während der Bürgermeister (Karl Fischer) dem Rathaus mit einem pompösen Wandgemälde, das der Onkel des Rotzbubs malen soll, neuen Glanz verleihen will, planen ein paar fehlgeleitete Knilche, die Fahrenden auf der Enthüllungsfeier endgültig loszuwerden. Der Rotzbub muss handeln, um seine Mariolina zu beschützen und endgültig für sich zu gewinnen…

    Sexual- und Fäkalhumor als Mittel des Tabubruchs

    Im fiktiven Siegheilkirchen sieht sich der Rotzbub, offensichtlich das Alter-Ego des Karikaturisten Manfred Deix selbst, in den Sechzigerjahren mit einer Elterngeneration konfrontiert, die sich einerseits wegen der ländlichen Perspektivlosigkeit resigniert zeigt, andererseits aber durch Mauscheleien und Korruption das Wenige, das überhaupt vorhanden ist, konsequent nur unter sich aufteilt. Zu den Resignierten gehört auch der Vater des Rotzbubs, der im Krieg einen Arm verloren hat und seitdem keine andere Arbeit findet, aber auch die üblichen Dorfschnapsdrosseln, die Stammtischpolitik machen. Zu den Intriganten zählen der speichelleckende Onkel, der machtgierige Bürgermeister sowie der bigotte, vermutlich pädophile Pfarrer. Die Fronten in der Geschichte sind von Anfang an geklärt und werden sich auch nicht mehr ändern.

    Genauso wie in den Arbeiten des Karikaturisten Deix arbeitet der Film mit Überzeichnung, Überspitzung und Übertreibungen – ätzend-satirische Beobachtungen mit knallharter Kante. Darauf muss man sich als Zuschauer aber auch einlassen können, denn der Witz soll polarisieren – und das tut er dann auch. Der Humor von „Willkommen in Siegheilkirchen“ und Manfred Deix ist ein derber, der vor allem mit sexuellen Ungehörigkeit und Fäkalien aller Art (in der Sprache und ganz buchstäblich) schockieren will: Wenn die Männer nicht über die bösen Ausländer schimpfen, denken sie an die Brüste der Nachbarinnen – und irgendwann regnet es tatsächlich Kot vom Himmel.

    So sehen Wirtschaftswunder aus - zumindest im Universum von Manfred Deix!

    Auf nicht besonders subtile Weise ist „Willkommen in Siegheilkirchen“, losgelöst von seiner lokalen Einbettung, auch als Kommentar zu einem politisierten Diskurs zu verstehen, in dem Fremdenhass und nostalgische Erinnerungen an eine vermeintlich glorreiche Zeit dominieren – ein Ideengemisch, das in den vergangenen Jahren in vielen Gesellschaften an Präsenz gewonnen hat. Die karikaturhafte Erzählweise wird auf der visuellen Ebene sogar noch weiter getrieben: Die Figuren stammen direkt aus dem Deix-Universum, weshalb – abgesehen von den Hintergründen – auch nicht sehr viel Spielraum vorhanden war. Der Stil des Karikaturisten erinnert entfernt an den Comic-Zeichner Brösel und seinen Kult-Klempner Werner – nur ist Deix beim Überzeichnen des realen Ekels noch viel gnadenloser.

    Entstanden ist ein zwiespältiges Werk, von dem das Publikum zugleich angezogen und abgestoßen wird. Einerseits ist man gewillt, die technische Fertigkeit, die dichte Inszenierung und auch eine unterhaltsame Ebene in „Willkommen in Siegheilkirchen“ anzuerkennen. Auch als Hommage an Manfred Deix sowie in Ansätzen als Geschichte eines nicht nur sexuellen, sondern auch politischen Erwachens funktioniert der Film. Andererseits bleibt der Zugang zu den Figuren durch die grelle Herangehensweise aber auch sehr sperrig. Die Distanzlosigkeit, mit der die Charaktere eingeführt und gezeichnet werden, ist ungewohnt brüskierend, selbst wenn sie einen in gewissem Sinne auch herausfordert, selbst Position zu beziehen.

    Fazit: Der Humor und die Illustrationen sind derb bis an die Schmerzgrenze. Trotzdem hat die Coming-of-Age-Geschichte ihre unterhaltsamen und anrührenden Momente – selbst wenn sie am Ende weniger als aufrüttelnde Gesellschaftssatire und mehr als Hommage an das unverwechselbare Werk von Manfred Deix funktioniert.

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