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    Destroyer
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Destroyer

    Nicole Kidman begeistert als Nahezu-Zombie!

    Von Carsten Baumgardt

    Nicole Kidman ist nicht nur eine ausgezeichnete Schauspielerin, die im Laufe ihrer Karriere einen Oscar und vier Golden Globes gewonnen hat, sondern auch ein Superstar, der trotzdem durch seine feine und vielseitige Rollenauswahl auffällt. Die amerikanisch-australische Schauspielerin pendelt erfolgreich zwischen Mainstream-Blockbustern (wie zuletzt „Aquaman“), Top-Serien („Big Little Lies“) und anspruchsvollem Kino (wie aktuell in „Der verlorene Sohn“). In einem Zombiefilm hat Kidman bislang allerdings noch nicht mitgespielt. Und auch Karyn Kusamas „Destroyer“ ist kein wirklicher Zombie-Horror, aber die von Kidman herausragend gespielte Polizistin Erin Bell wandelt durch den atmosphärisch düsteren Neo-Noir-Thriller „Destroyer“ trotzdem wie eine lebende Tote und ist damit DAS Ereignis des Films. Mit ihrem – schon in ihrer Oscar-Rolle in „The Hours“ gezeigten – Mut zur Hässlichkeit ist Kidman als abgehalfterte Ermittlerin kaum wiederzuerkennen. „The Invitation“-Regisseurin Kusama macht es ihrem Publikum nicht einfach mit ihrer Vollkatastrophen-Antiheldin, doch je länger „Destroyer“ dauert, desto stärker zieht einen das wuchtige und auf der Zielgeraden erstaunlich wendungsreiche Cop-Drama in seinen Bann.

    Eigentlich endete ihr Leben vor 17 Jahren: Damals ging ein Undercover-Einsatz der jungen FBI-Ermittlerin Erin Bell (Nicole Kidman) nach Monaten im Untergrund am Ende fürchterlich schief. Selbst wenn Erin heute noch Dienst beim Los Angeles Police Department schiebt, ist sie nur noch ein flüchtiger Schatten ihrer selbst. Die Ehe mit Ethan (Scoot McNairy) ist Geschichte, ihr Verhältnis zu ihrer Tochter Shelby (Jade Pettyjohn) ist so schwer gestört, dass die rebellische 16-Jährige lieber bei ihrem Stiefvater lebt und möglichst wenig Kontakt zu ihrer Mutter möchte. Als bei einer namenlosen Leiche ein auffällig lilagefärbter 100-Dollar-Schein gefunden wird, schlägt die störrische Erin Alarm und behauptet, der nie gefasste Bankräuber und Mörder Silas (Toby Kebbell) sei zurück. Erin war einst undercover Teil seiner Crew und hat es sich zum Lebensziel gesetzt, ihn zur Strecke zu bringen, nachdem er seit dem Vorfall von der Bildfläche verschwunden ist. Bei ihren Kollegen findet sie jedoch kaum Unterstützung, weshalb Erin lieber auf eigene Faust ermittelt und dabei schnell überall aneckt – beim LAPD genauso wie in der Unterwelt von Los Angeles…

    Aschfahle, faltige Haut; strähnige, ungepflegte Haare: Diese Erin Bell sieht einfach nur abgekämpft aus in ihrer alten Oldschool-Lederjacke. Ihre Manieren sind rau, ihr Ton ist unfreundlich. Trotzdem steht sie immer noch auf der Gehaltsliste des LAPD. Ein superkaputter Cop. Was hat das Leben dieser Frau angetan, damit sie so wurde, wie sie ist? Das ist ein Rätsel, das Karyn Kusama („Æon Flux“, „Jennifer’s Body“) langsam in Rückblenden Stück für Stück auflöst. Die Haupterzählebene bildet zwar die Gegenwartsgeschichte, in der Bell als berüchtigter Cop ihrem Nemesis Silas ohne Rücksicht auf Verluste hinterherjagt, aber für das Kennenlernen ihres Charakters ist die desaströse Undercover-Mission vor 17 Jahren ebenso wichtig, weil dort Verständnis für ihre Person geschaffen wird, die ohne dieses Vorwissen einfach nur ein Kotzbrocken wäre.

    „Destroyer“ lebt von einer unheilvollen Atmosphäre. Dabei spielt stringente Logik nicht immer eine Rolle. Warum das menschliche Wrack Erin überhaupt noch diensttauglich ist, darf zumindest in Frage gestellt werden – von diversen ungeahndeten Gesetzesverstößen ganz zu schweigen. Die episodisch von Hinweisgeber zu Hinweisgeber springende Story mag vornehmlich aus bekannten Noir-Versatzstücken bestehen, aber dank der Hauptfigur wirkt sie dennoch unverbraucht. Diese Konzentration auf die Protagonistin geht sogar so weit, dass man selbst einen Hammer-Twist am Ende nur so nebenbei mitnimmt, weil im Zentrum eben nicht der Krimi-Plot, sondern ganz eindeutig das Porträt einer ultimativ destruktiven Polizistin seht. Sicherlich ist die finale Wendung, die alles zuvor Gesehene noch einmal anständig auf den Kopf stellt, dramaturgisch geschickt eingefädelt. Aber zugleich vervollständigt sie eben auch auf absolut stimmige Art das Bild einer Frau, die sich mit einem letzten Kraftakt noch einmal aufbäumt, um doch noch so etwas ähnliches wie Frieden in ihrem verkorksten Leben zu finden.

    Kidman verwandelt sich komplett und selbst wenn man nie vergisst, dass sie als Erin eine Maske trägt, ist es faszinierend, sie beim Schlurfen durch die Straßen L.A.s zu beobachten. Die Schauspielerin nutzte sogar eine schwere Grippe während des Drehs bewusst aus, um möglichst fertig auszusehen, statt wie üblich eine Pause einzulegen und sich auszukurieren. Wie ein angeschossenes, aber immer noch gefährliches Raubtier schleppt sie sich durch die US-Metropole, doch Tiefe bekommt „Destroyer“ vor allem durch die kleinen, kaum spürbaren Brüche ihrer Figur. Berührend ist die unter der Oberfläche zarte Verbindung zwischen Erin und ihrem Ex-Partner Ethan, den Scoot McNairy („Argo“, „Monsters“) mit bodenständiger Güte spielt und für einen positiven Konterpunkt in dieser freudlosen Erzählung sorgt. Die beiden haben immer noch einen speziellen emotionalen Draht zueinander, und das nicht nur, weil Ethan Erins Tochter Shelby aufzieht. Erin ist zu kaputt, um sich anständig um sie zu kümmern. Ihre plumpen, harschen Polizeimethoden oft nicht unähnlichen Erziehungsversuche wirken wie von einem guten Kern beseelt, scheitern aber letztendlich kläglich.

    Diese Emotionen fallen in den Rückblenden über Erins Zeit in der Bankräuber-Gang von Silas sparsamer aus. Das liegt vor allem daran, dass die Gangster-Crew vorwiegend aus bekannten Stereotypen besteht. Selbst Toby Kebbell („Rock N Rolla“, „Ben Hur“) bleibt als Boss Silas erstaunlich blass. Nur in einer irren Russisch-Roulette-Sequenz darf der Brite einmal kurz den ganzen Wahnsinn rauslassen. Aber Regisseurin Kusama macht diese kleine Unwucht mit ihrer kraftvollen Inszenierung vor allem von zwei Überfall-Szenen locker wett.

    Denn je länger „Destroyer“ dauert, desto weniger kann man sich der Geschichte entziehen. Es ist wie ein Strudel, in den der Zuschauer gemeinsam mit der Hauptfigur eingesogen wird. In einer der besten und fesselndsten Sequenzen des Films versucht Erin, über einen schmierigen Gangster-Anwalt (Bradley Whitford) Informationen zu bekommen. Ohne polizeiliche Handhabe dringt sie in seine Luxusvilla ein, wird gedemütigt und schlägt ohne Rücksicht auf Recht und Ordnung brutal zurück, um ihr Ziel zu erreichen. Das ist ein Paradebeispiel für das Verhalten der Gegenwarts-Erin und zusätzlich eine gute Gelegenheit, Partei für die so schwierige Protagonistin zu ergreifen. Man hat jetzt nicht nur Angst vor ihr, sondern auch um sie.

    Fazit: Sonniges Wetter, düstere Story und starker Tobak - gegen Karyn Kusamas abgründig-mitreißenden Neo-Noir-Thriller „Destroyer“ ist Jack Nicholsons L.A.-Odyssee in „Chinatown“ ein spaßiger Kindergeburtstag.

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