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    Gundermann
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Gundermann
    Von Michael Meyns

    Fast 30 Jahre - also gut eine Generation nach dem Fall der Mauer und dem Ende der DDR - scheint nun endlich (!) die Zeit gekommen, sich auf komplexe und Ambivalenzen zulassende Weise dem anderen deutschen Staat zu nähern. Allzu oft war die Auseinandersetzung mit der DDR, ihren Zielen und ihren Missständen bislang durch einen rein westlichen Blick geprägt – wie etwa in „Das Leben der Anderen“ oder Ostalgie-Komödien im Stile von „Sonnenallee“ oder „Good Bye, Lenin!“. Nun kommen endlich auch im Osten sozialisierte Regisseure mit ihren Geschichten und mit ihrem eigenen Blick auf ihre alte Heimat zum Zug: So etwa Annekatrin Hendel, die in ihrer Dokumentation „Familie Brasch“ einen Blick auf eine der faszinierendsten Familien der DDR wirft, oder eben Andreas Dresen („Halt auf freier Strecke“), der sich in „Gundermann“ des gleichnamigen Liedermachers, Arbeiters – und ja, Stasi-Spitzels - annimmt. Das Ergebnis ist ebenso vielschichtig und ambivalent wie die Gründe, die DDR zu lieben – oder sie zu verraten.

    1992. Einige Jahre nach der Wende will Gerhard Gundermann (Alexander Scheer) eine neue Band zusammenstellen und wieder auf Tour gehen. Hauptberuflich arbeitet der Mitdreißiger noch immer im Tagebau in seiner Heimatstadt Hoyerswerda, vom Erfolg seiner Musik will er nicht vorrangig abhängig sein, selbst wenn seine Texte vielen aus der Seele sprechen. Aber dann holt ihn die Vergangenheit ein: Mit der Möglichkeit, seine Stasi-Akten einsehen zu können, kommt auch heraus, dass Gundermann Informant war. Zunächst versucht sich Gundermann noch damit zu rechtfertigen, ja nichts Wesentliches verraten zu haben. Aber dann wird immer deutlicher, wie viel er der Stasi wirklich erzählt hat – und an dieser Erkenntnis zerbricht auch sein Bild von sich selbst…

    Parallel dazu beginnt die Geschichte von „Gundermann“ noch ein zweites Mal, nämlich im Jahr 1975: Gundermann ist gerade aus dem Militär geschmissen worden, weil er zu kritisch war, ein Querdenker, der nun im Tagebau anfängt. Mit den Händen arbeiten, das ist ihm wichtig, auch wenn er mit denselben Händen auch an seiner Gitarre zupft und zunächst mit der Werkband auftritt. Deren Mitglied ist auch Conny (Anna Unterberger), seine Jugendliebe, die inzwischen mit einem anderen Mann verheiratet ist. Aber aus der ´92er-Erzählung wissen wir längst, dass sie später mal seine Frau werden wird. So entpuppt sich „Gundermann“ als eine doppelte Liebesgeschichte, die zu einer Frau und die zu einem Land.

    Dass Menschen aus Liebe heraus Dummheiten begehen, ist nichts Neues. Das Menschen aus Liebe (zu ihrem Land) ihre Freunde verraten, mag hingegen manchem unentschuldbar und kaum nachvollziehbar erscheinen. Aber nach den zwei Stunden von Andreas Dresens besonnenem, vollkommen unpathetischem Film ist man dem Verstehen zumindest einen Schritt nähergekommen: Der Regisseur fällt kein Urteil über seinen Protagonisten, der in jeder Szene des Films auftaucht, dieses Urteil überlässt er Gundermanns Mitmenschen wie auch einem Mitarbeiter der Gauck-Behörde, der in einem der ganz wenigen zu deutlichen Momente des Films sagt, man könne auch Kommunist sein, ohne ein Schwein zu sein.

    Vor allem aber überlässt Dresen das Urteilen Gundermann selbst. Wie Alexander Scheer (der in „Pirates Of The Caribbean 5: Salazars Rache“ auch schon mal den jungen Keith Richards verkörpert hat, aus dem Blockbuster dann aber doch noch herausgeschnitten wurde) diesen schmalen Mann spielt, mit seinen bizarren Brillen, gekleidet in viel zu große Hemden, Strickjacken und 90er-Jahre-T-Shirts, mit sich selbst hadernd, wenn er zunehmend begreift, wie viel er der Stasi wirklich über seine Kollegen und Freunde verraten hat, das ist ganz großes Schauspiel. Ständig schiebt er sich die Brille zurück auf die Nase, schaut linkisch, aber nie selbstgefällig, ist stets überzeugt, für das richtige System zu kämpfen und zweifelt doch zunehmend an seinen Methoden.

    Er habe auf das richtige Pferd gesetzt, doch dieses Pferd hat verloren, sagt Gundermann einmal und so mag es manchem DDR-Bürger gegangen sein. Es geht hier mal nicht um ein „Wir schlimm das doch alles war!“, nicht um die verklärte Ostalgie, in deren Rahmen allzu oft ein autokratisches System als halb so wild verharmlost wurde (und zwar meist von westdeutschen Regisseuren), sondern um das gerade in Zeiten der zunehmenden Skepsis am Kapitalismus wachsende Gefühl, im besseren, im richtigen System gelebt zu haben. Aber ob das auch rechtfertigt, sich mit einem Überwachungsapparat gemein zu machen, der Menschen willkürlich ins Gefängnis steckt und unterdrückt? Andreas Dresen gibt auf diese Frage keine letztgültige Antwort. Aber das ist in diesem Fall kein Ausweichen, sondern ein Aufzeigen der Schwierigkeit, in einem System wie dem der DDR zu leben und dennoch seinen Idealen treu zu bleiben, vor allem aber sich selbst.

    Fazit: Liedermacher, Arbeiteridol und Stasi-Spitzel. All das war Gerhard Gundermann, dem Alexander Scheer und Andreas Dresen in „Gundermann“ die Ambivalenz und Menschlichkeit verleiht, die notwendig ist, um die Dilemmas zu verstehen, denen sich Menschen gegenübersahen, die trotz ihrer Methoden weiter an die Ideale der DDR geglaubt haben.

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