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    Tatort: Die robuste Roswita
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Tatort: Die robuste Roswita
    Von Lars-Christian Daniels

    Die Drehbuchautoren der beliebtesten öffentlich-rechtlichen Krimireihe widmeten sich in den vergangenen Jahren schon häufiger dem Geschäftsgebaren der deutschen Lebensmittelindustrie: Die Ludwigshafener Kommissare Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) und Mario Kopper (Andreas Hoppe) verschlug es im „Tatort: Tödliche Häppchen“ zum Beispiel in einen Betrieb für Fleisch- und Fertiggerichte, ihren Kieler Kollegen Klaus Borowski (Axel Milberg) im „Tatort: Borowski und eine Frage von reinem Geschmack“ hinter die Kulissen einer Energydrink-Firma und die niedersächsische LKA-Kommissarin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) im „Tatort: Der sanfte Tod“ in die Produktionshallen eines einflussreichen Fleischfabrikanten. Auch die Weimarer Kommissare Lessing (Christian Ulmen) und Kira Dorn (Nora Tschirner) ermittelten bei ihrem Debüt im „Tatort: Die fette Hoppe“ 2013 in einer Großmetzgerei und fühlen bei ihrem siebten Einsatz nun der Belegschaft einer großen Kloßmanufaktur auf den Zahn: In Richard Hubers „Tatort: Die robuste Roswita“ dreht sich fast alles um Klöße, Kalauer und Kartoffeln. Unter dem Strich ergibt das eine kurzweilige Krimikomödie mit staubtrockenem Wortwitz, sympathischen Figuren und einem turbulenten Finale, was ein Stück weit für die gänzlich fehlende Spannung entschädigt.

    Christoph Hassenzahl (Matthias Paul), der Geschäftsführer einer traditionsreichen Kloßmanufaktur, ist tot: Seine zu Granulat verarbeiteten Überreste werden in einem Transporter seiner Firma gefunden. Doch wer hat diesen gefahren und Hassenzahl umgebracht? Die Weimarer Hauptkommissare Lessing (Christian Ulmen) und Kira Dorn (Nora Tschirner), die vom einfältigen Schutzpolizisten „Lupo“ (Arndt Schwering-Sohnrey) und ihrem fieberkranken Chef Kurt Stich (Thorsten Merten) unterstützt werden, besuchen den Betrieb des Ermordeten: Vorarbeiterin Cordula Remda-Teichel (Christina Große) hatte ein Verhältnis mit Hassenzahl und lag deshalb im Clinch mit seiner als vermisst gemeldeten Ehefrau Roswita (Milena Dreissig). Die taucht nach jahrelanger Abstinenz plötzlich wieder auf: Nach einem Sturz im Wald hatte sie ihr Gedächtnis verloren und war bei Pilzsammler Roland Schnecke (Nicki von Tempelhoff) untergekommen, der ihr eine Stelle als Klofrau besorgt hatte. Ausgerechnet am Tag des Mordes kehrt ihre Erinnerung zurück. Eine weitere Spur führt zu Kartoffelbauer Thomas Halupczok (Jörn Hentschel) und Supermarkt-Einkaufsleiterin Marion Kretschmar (Anne Schäfer): Hassenzahls Geschäftsbeziehung zu den beiden stand offenbar unter keinem guten Stern mehr...

    Der Besuch eines alten Familienbetriebs hat im „Tatort“ aus Thüringen ebenso Tradition wie die schrägen Filmtitel und der unbekannte Vorname des Kommissars: Zuletzt verschlug es Lessing und Kira Dorn 2017 im „Tatort: Der scheidende Schupo“ in eine große Porzellanmanufaktur, in der natürlich vieles im Argen lag. Nun dürfen sich die miteinander liierten Kommissare, deren gemeinsames Privatleben anders als bei ihren letzten Fällen diesmal mit keiner Silbe thematisiert wird, nach Herzenslust in einer Kloßmanufaktur austoben: Zu den köstlichsten Einfällen der Drehbuchautoren Murmel Clausen und Andreas Pflüger, die auch die vorherigen Fälle aus Weimar konzipierten, zählt das spontane Nachstellen der Leichenbeseitigung, bei der Dorn ihren nicht ganz vollschlanken Partner mit Mühe und Not durch die Produktionshalle schleppt und sich anschließend kaum noch auf den Beinen halten kann. Szenen wie diese haben natürlich wenig mit der Realität im deutschen Polizeialltag zu tun, aber der hat die Macher der „Tatort“-Folgen von der Ilm noch nie interessiert: In Weimar steht der Spaß im Vordergrund!

    Auch der mal mehr, mal weniger amüsante Wortwitz kommt daher nicht zu kurz: „Seit der Schule waren wir per du.“ – „Aber jetzt ist alles perdu“, zieht Lessing ein pragmatisches Fazit zum Verhältnis zwischen Kartoffelbauer Halupczok und dem Verstorbenen – und wer sich immer schon gefragt hat, wie man eigentlich möglichst spritzarm ins Pissoir einer Herrentoilette pinkelt, wird vom windigen Kloputzer und Trickbetrüger Schnecke fachkundig über die wichtigsten Regeln aufgeklärt: „Drei Dinge muss ein Mann beachten: Senkrechte statt waagerechte Oberflächen anstrullen, geringer Aufprallwinkel und nah rantreten.“ Für reichlich Gags sorgen neben den gewohnt bissig-ironischen Kommissaren auch der erkältete Kommissariatsleiter Stich und Schutzpolizist Lupo, der vor einer Wildschweinhorde auf den nächsten Baum flüchtet – die beiden Sidekicks sind im Laufe ihrer „Tatort“-Jahre aber zu reinen Karikaturen verkommen und sorgen mit ihren platten Zoten nicht immer für die erhofften Lacher. Größte Sympathieträgerin in dieser kurzweiligen Krimikomödie ist stattdessen die undurchsichtige Roswita Hasselbach (stark: Milena Dreissig, wir kennen sie noch als „Schirmchen“ aus der Kultserie „Stromberg“): Die pfiffige Amnesie-Patientin emanzipiert sich schneller von ihrer anfänglichen Dummchen-Rolle, als es vielen ihrer Mitmenschen lieb ist.

    Dass die beiden Hauptdarsteller Nora Tschirner („Keinohrhasen“) und Christian Ulmen („Jerks“) nach eher enttäuschenden Folgen wie dem „Tatort: Der treue Roy“ oder dem letzten Thüringer „Tatort: Der kalte Fritte“ wieder an den Unterhaltungswert ihrer ersten „Tatort“-Auftritte anknüpfen können, liegt aber nicht zuletzt an der komplexen und selten vorhersehbaren Whodunit-Konstruktion, bei der auch humorscheue Zuschauer nach Herzenslust bei der Täterfrage miträtseln dürfen: Trotz einiger hilfreicher Rückblenden bleibt bei der wendungsreichen Geschichte bis zum Schluss offen, wer den Kloßfabrikanten auf dem Gewissen hat und was vor acht Jahren wirklich passiert ist, als die Namensgeberin der Kartoffel „Die robuste Roswita“ ihr Gedächtnis verlor. So mündet die Geschichte in ein köstliches Finale, bei dem sich zwei Tatverdächtige ans Leder wollen und dabei ausgerechnet auf das Pflanzenschutzmittel E 605 setzen – eine auffällige Parallele zum letzten Schweizer „Tatort: Die Musik stirbt zuletzt“, der erst drei Wochen zuvor die „Tatort“-Sommerpause 2018 beendete. Echte Spannung will bis zum Showdown aber keine aufkommen.

    Fazit: Richard Hubers „Tatort: Die robuste Roswita“ ist eine sympathische Krimikomödie, bei der der Spaß und nicht die Spannung im Vordergrund steht.

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