Geschlechtertausch im Arthouse-Kino
Von Oliver KubeEs ist ja schon ein bisschen schizophren. Alle Welt schreit nach mehr frischen Ansätzen im Kino – aber wehe, jemand besetzt eine ursprünglich männliche Rolle mit einer Frau, dann läuft inzwischen immer wieder derselbe Shitstorm-Automatismus ab. Neue Perspektiven? Gerne, solange es die eigenen sind. Aber so sehr die Verselbstständigung und Verengung der Diskussion auch nervt, heißt das auf der anderen Seite natürlich genauso wenig, dass ein Geschlechtertausch automatisch zu einem positiven Ergebnis führt. So ist es zwar auf dem Papier durchaus vielversprechend, dass Bart Freundlich („Lieber verliebt“) die Hauptrollen in seinem englischsprachigen Remake von Susanne Biers „Nach der Hochzeit“ (2007 als Bester fremdsprachiger Film für den Oscar nominiert) mit Michelle Williams und seiner Ehefrau Julianne Moore in den Rollen von Mads Mikkelsen und Rolf Lassgård besetzt hat. Dieser Geschlechtertausch (hier zur Abwechslung auch mal in einem Arthouse-Film) führt auch tatsächlich zu einer ganz anderen Dynamik, die vor allem für Kenner des Originals eine Zeit lang wirklich reizvoll ist. Aber das gilt leider in „After The Wedding“ nur bis zu einem gewissen Punkt.
Die Amerikanerin Isabel (Michelle Williams) arbeitet seit Jahren voller Leidenschaft in Kalkutta, wo sie ein Waisenhaus leitet und Kinder unterrichtet. Eines Tages nimmt die erfolgreiche Werbe-Unternehmerin Theresa (Julianne Moore) Kontakt mit ihr auf. Sie wolle eine große Summe für das in Finanznöten steckende Waisenhaus spenden, verknüpft damit allerdings eine Bedingung: Isabel müsse persönlich in die USA reisen, um die Abwicklung zu besprechen. Nur widerwillig stimmt die in der Zwickmühle steckende Entwicklungshelferin zu. In New York lädt Theresa sie dann auch noch scheinbar spontan zur Hochzeitsfeier ihrer Tochter Grace (Abby Quinn) ein. Kaum auf der Party angekommen, trifft Isabel dort auch auf den Brautvater Oscar (Billy Crudup), mit dem sie eine gemeinsame Vergangenheit verbindet. Kann dieses Wiedersehen wirklich nur Zufall sein? Und was sind Theresas wahren Absichten?
Isabel kümmert sich eigentlich liebevoll um Waisenkinder.
Obwohl die Story und speziell ihre Auflösung bisweilen arg konstruiert wirken (der bloße Plot würde selbst ohne große Änderungen sehr gut in eine melodramatische Telenovela passen), hat das Ganze als emotionale Versuchsanordnung sicherlich seinen Charme. Einen empathisch veranlagten Zuschauer wird das alles nicht unberührt lassen, dafür ist es viel zu wirkungsvoll inszeniert und erzählt. Nach dem Rollen des Abspanns denkt man auch selbst noch länger darüber nach, wie man wohl selbst mit dem zwar nicht gerade wahrscheinlichen, aber bis zu einem gewissen Punkt auch nicht komplett absurden Dilemma umgehen würde, vor das speziell Isabel hier gestellt wird. Ein durchaus faszinierendes Gedankenexperiment.
Auch die effektiven Dialoge sowie die exzellent mit ihnen spielenden Darstellerinnen tragen ihren Teil bei: Michelle Williams („Manchester By The Sea“) verkörpert Isabel zunächst als reinen, warmherzigen Menschen. Doch schon bald lässt die inzwischen vierfach oscarnominierte Schauspielerin mit kleinen Blicken und vermeintlich zufälligen Gesten immer wieder unterschwellige Unsicherheiten durchschimmern, die erahnen lassen, dass da irgendetwas in ihr ganz gewaltig brodelt. Trotzdem (oder gerade deshalb?) ergreift der Zuschauer schnell Partei für sie. Theresa hingegen ist von Beginn an leicht als zwiespältige Person zu identifizieren. Julianne Moore (Oscar für „Still Alice“) mimt die wechselnden Schattierungen zwischen tougher, eiskalt kalkulierender Geschäftsfrau und fürsorglicher Mutter und Ehefrau jeweils mit viel Verve und Energie. Sie gibt sogar gewollt einen Tick zu viel Gas, sodass beim Zuschauer schnell Zweifel gesät werden, ob dieses forsche, selbstbewusste, fast schon herrische Auftreten nicht womöglich doch nur eine Fassade sein könnte.
Zusätzlich zu einem stimmungsvollen, wenn gelegentlich auch etwas dick auftragenden Score von Mychael Danna („Life Of Pi: Schiffbruch mit Tiger“) hat der Film auch visuell einiges zu bieten. Changierend zwischen indischen Slums und den Upper-Class-Behausungen beziehungsweise Luxusbüros an der US-Ostküste zeigt uns Kameramann Julio Macat („Pitch Perfect“) zum einen nah herangehende, intime Einstellungen mit satten, warmen Farben, dann wieder eher kalte, distanzierte, dennoch höchst ästhetische Bilder. Eine stimmige visuelle Gegenüberstellungen der zwei Welten von Isabel und Theresa, zwischen denen es zumindest auf den ersten Blick kaum Überschneidungspunkte zu geben scheint.
Theresa kümmert sich vor allem um Geld.
Seine entscheidenden Wendungen offenbart das Drehbuch in zwei Stufen, in denen die Sympathien des Publikums zwischen den beiden Akteurinnen immer wieder wechseln. Das ist zwar an sich spannend, wird aber von Freundlich auch recht klobig herbeigeführt. Subtil geht jedenfalls anders. Wer sich an solchen offensichtlichen Manipulationen nicht stört, der wird im Finale sicherlich die eine oder andere Träne der Rührung im Auge haben. Der Rest dürfte hingegen ähnlich unbehaglich und frustriert im Kinosessel hin und her rutschen wie Oscar bei der Hochzeit seiner Tochter, wenn er mit Isabel auf einmal einen Geist aus seiner Vergangenheit erspäht.
Denn die hier aufgetischten, schwer zu schluckenden Twists muss man dann auch erst mal verdauen. So ganz reibungslos funktioniert der Geschlechtertausch dabei – schon aufgrund rein biologischer Gegebenheiten – nämlich nicht. Isabel kann von den Geschehnissen nämlich gar nicht so überrascht sein wie damals ihr von Mads Mikkelsen gespieltes männliches Pendant im Original – und auch wenn sich Freundlich in seinem Remake-Skript eine (arg umständliche) Erklärung dafür aus den Rippen geleiert hat, ist die Geschichte so trotzdem weit weniger glaubwürdig. So fühlt sich vieles speziell in der zweiten Hälfte aufgesetzt an – und das in einem Film, dessen Plot eh schon von vorne bis hinten durchkonstruiert ist.
Also doch lieber noch mal das dänische Original gucken. Das hat übrigens in den USA an den Kinokassen ironischerweise mehr eingespielt hat als das stargespickte, englischsprachige Remake.
Fazit: Die virtuos aufspielenden Darstellerinnen und eine edle Optik können nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Konzept, die Geschlechterrollen im Vergleich zum Original auszutauschen, nur bis zu einem gewissen Punkt in der Handlung aufgeht.