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    6 Underground
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    6 Underground

    Auf Netflix dreht Michael Bay endgültig ab

    Von Janick Nolting

    Mangelndes Selbstbewusstsein kann man Netflix momentan wirklich nicht vorwerfen. Nachdem Martin Scorsese bereits für ein gigantisches Budget seinen „Irishman“ verwirklichen durfte, steht auch schon das nächste Riesenprojekt in den Startlöchern - und zwar von keinem Geringeren als Regisseur Michael Bay. Ganze 150 Millionen Dollar soll man dem Action-Experten für seinen neuen Streich „6 Underground“ zur Verfügung gestellt haben, was den Film zu einer der bisher teuersten Netflix-Produktionen überhaupt macht.

    Dass man sich dabei bestens bewusst ist, welchen oftmals eher belächelten Filmemacher man sich an Bord geholt hat, konnte man bereits im Vorfeld an den selbstironischen Werbeclips sehen, in denen unter anderem Hauptdarsteller Ryan Reynolds den Actionstreifen als „Michael Bayigsten Film in der Geschichte von Michael Bay“ anpreisen durfte. Stimmt! Diese Aussage fasst „6 Underground“ bestens zusammen.

    Sechs neue Helden braucht die Welt.

    Tot zu sein, bedeutet, dass man endlich alles tun kann, was man will, denkt sich One (Ryan Reynolds). Der Milliardär und selbst ernannte Meister-Erfinder hat seinen eigenen Tod vorgetäuscht, um aus dem Untergrund heraus das Böse auf der Welt bekämpfen zu können. Unterstützung erhält er dabei von fünf anderen Untergetauchten (u. a. Mélanie Laurent, Manuel Garcia-Rulfo), die ihre neu gewonnene Anonymität für das Gute einsetzen wollen. Ihr neues Ziel ist der böse Diktator der Nation Turgistan (Lior Raz), der nun von der Elite-Einheit gestürzt werden soll…

    Was Michael Bay in den ersten zwanzig Minuten abfeuert, ist die wohl wahnwitzigste Actionsequenz, die er jemals gedreht hat. Da wird bei einer wilden Auto-Verfolgungsjagd erst einmal halb Florenz zerlegt, während auf dem Rücksitz eine improvisierte Notfall-OP stattfindet und One auf wunderbar amüsante Weise mit seinem Fahrer (Dave Franco) aneinandergerät. „Bad Boys“ lässt grüßen! Nicht ohne Grund wird dabei während der Hatz die berühmte Marmor-Skulptur Apollo und Daphne im Museum überfahren. Hier regieren Exzess und Anarchie!

    Für Kunst interessiert sich Bay nicht, sonst würde er vielleicht auch wissen, dass besagte Statue eigentlich gar nicht in Florenz, sondern in Rom ausgestellt ist. Hier werden Autos mit besten Bay‘schen Feuerwerksexplosionen in Schutt und Asche gelegt, der von Ben Hardy gespielte Four stürzt sich todesmutig in „Assassins Creed“-Manier die florentinische Kathedrale herab, musikalisch unterlegt von den Spice Girls, The Score und Carmina Burana-Gesängen. Ein irres Schnittgewitter, das tatsächlich auf einem echten kleinen Schockmoment endet. Wäre der Film an dieser Stelle zu Ende, hätte man eine wunderbare Zeit gehabt. Leider ist jedoch anschließend der Punkt erreicht, an dem es ans Geschichtenerzählen geht. Eine Disziplin, in der Michael Bay bekanntlich eher selten glänzt.

    Die "Deadpool"-Autoren in ihrem Element

    Zugegeben, wer einen Film dieses Regisseurs schaut, weiß wahrscheinlich ohnehin, worauf man sich einstellen muss, nämlich ganz gewiss nicht auf feinfühliges Drama, sondern auf reine Grobmotorik. Dabei lässt gerade der irre Auftakt des Films erahnen, dass „6 Underground“ durchaus das Zeug zur Selbstreflexion gehabt hätte, was nicht zuletzt an den „Deadpool“-Autoren Rhett Reese und Paul Wernick liegt, die das Drehbuch geschrieben haben.

    Die beiden beweisen eine fast diebische Freude daran, das Bay-Universum mit ihren typischen Meta-Gags aufzupeppen. Da werden andere Filme und Filmzitate eingestreut und der Lächerlichkeit preisgegeben und auch mit überzogener Gewalt wird nicht gegeizt. Von Familienunterhaltung ist „6 Underground“ weit entfernt: Blutfontänen spritzen, Köpfe werden in Zeitlupe zerschossen oder gleich ganz zum Platzen gebracht, bis es mitunter fast an Slapstick-Humor grenzt.

    Ryan Reynolds ist der Star von "6 Underground".

    Nach den beiden „Deadpool“-Filmen wissen Reese und Wernick natürlich auch, wie sie Hauptdarsteller Ryan Reynolds im besten Licht erscheinen lassen können. Er ist quasi die einzige Figur, die so etwas wie eine Persönlichkeit bekommt und als Sympathieträger herhalten kann. Ansonsten macht Reynolds eigentlich nur das, was er am besten kann: Die coole Socke spielen und ab und zu ein paar witzige Sprüche klopfen.

    Das restliche Ensemble bleibt völlig blass und beliebig. Dass die Figuren anstelle ihrer echten Namen nur mit Zahlen bezeichnet werden, nimmt eigentlich schon alles vorweg, denn hier hat man es durch die Bank weg mit austauschbaren Typen ohne größere Hintergrundgeschichte zu tun, die sich einfach nur von einem Action-Setpiece zum nächsten schießen und brüllen. Dabei wäre es gerade interessant gewesen, vielleicht ein paar Minuten des über zwei Stunden langen Films mehr für das Zusammenfinden dieser schrägen Truppe zu verwenden. Wenn „6 Underground“ wirklich der Auftakt zu einer neuen Reihe werden sollte, wie es das Ende erahnen lässt, dann hat Teil 2 da noch einiges an Nachholbedarf!

    Fragwürdige & dämliche Handlung

    So sehr sich der Regisseur auch hier wieder Mühe gibt, die volle Aufmerksamkeit auf den großen Krawall zu lenken, lässt sich eben nicht darüber hinwegsehen, wie dämlich die erzählte Geschichte im Hintergrund erscheint. So geht es einmal mehr um eine Gruppe amerikanischer Macho-Heldenfiguren, die auszieht, um andere Nationen und Völker von bösen Herrschern zu befreien. Das Ziel, in dem das Volk zur Demokratie ermächtigt werden soll, das fiktive Turgistan, entpuppt sich dabei als Abziehbild gängiger Nahost-Klischees.

    Jeder Ansatz kritischen Denkens wird dann auch mit wenigen Dialogzeilen direkt wieder zunichtegemacht. Stattdessen wird das große Ganze auf ein winziges, simples Plädoyer für mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt beschränkt. Bay blickt auf den politischen Konflikt lediglich mit kindischer Faszination für abgefahrene Kriegstechnologie und überträgt das ohnehin schon platte Drehbuch in seine schwülstigen Kitschbilder, in denen Figuren im dramatischen Gegenlicht nachdenklich in die Ferne schauen, bevor auch schon der ein weiterer brachialer Song im Hintergrund losdonnert und die nächste Actionszene ankündigt.

    Natürlich kracht es bei Michael Bay gewaltig.

    Apropos Action: Zumindest in Bays Paradedisziplin hat „6 Underground“ einige große Schauwerte zu bieten, sodass sich dieser Hatz ein Unterhaltungswert nicht absprechen lässt. Zwar ist das selten mit so viel Geschick und Raffinesse inszeniert, dass man den Durchblick behält, wer hier gerade wo von wem und warum gejagt wird, aber es wird zumindest recht schnell deutlich, dass sich das hohe Budget voll ausgezahlt hat, um groß gedachte Auseinandersetzungen zu inszenieren. Vor allem muss man Bay dafür loben, dass er, ganz im Gegensatz zu seiner „Transformers“-Reihe, bei den Krawall-Momenten und Schauplätzen genügend Abwechslung beweist, um einige erinnerungswürdige Sequenzen zu kreieren.

    In „6 Underground“ hat er beispielsweise ein Faible dafür, Menschen aus schwindelerregenden Höhen herabstürzen zu lassen, sodass man einige Male instinktiv die Luft anhalten möchte. Darüber hinaus gelingt ihm mit dem Kampf in einer von Poolwasser überfluteten Hochhausetage ein echter Hingucker und wer eine gewisse Sequenz, in der Magnetismus eine Rolle spielt, schon im Trailer gefeiert hat: Sie ist im Film genauso irre, wie man sie sich vorgestellt hat. Wenn sich Bay schon austoben darf, dann tut er das auch!

    Fazit: Michael Bay-Fans bekommen routiniertes und einigermaßen unterhaltsames Spektakel geboten, über das man aber keine fünf Minuten nachdenken darf. Nach dem wirklich großartigen Auftakt wird „6 Underground“ nämlich inhaltlich vor allem eins: ziemlich blöd.

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