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    Sergio
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Sergio

    Netflix-Film mit "Narcos"-Star

    Von Oliver Kube

    2005 beschäftigte sich Polit-Doku-Spezialist Greg Barker („Manhunt - Die Jagd auf Bin Laden“) erstmals ausführlicher mit dem Leben und Wirken des 2003 bei einem Bombenanschlag getöteten Sérgio Vieira de Mello. Der UN-Diplomat war ein enger Vertrauter und Top-Mitarbeiter von Kofi Annan, dem von 1997 bis 2006 amtierenden Generalsekretär der Vereinten Nationen. Laut eigener Aussage sah der Regisseur die bewegte Biografie des Brasilianers bereits zu dieser Zeit als passendes Material für seinen ersten Spielfilm. Letztlich entschloss sich Barker dann aber erst einmal die 2009 veröffentlichte und für diverse renommierte Preise nominierte Dokumentation „Sergio“ anzufertigen.

    Elf Jahre später hat Barker nun doch seine ursprüngliche Version umgesetzt. Mit Hilfe von Drehbuchautor Craig Borten („Dallas Buyers Club“) und Streamingdienst Netflix nahm er dabei seine eigene Doku sowie die von Samantha Powers geschriebene Biografie „Chasing The Flame“ als Vorlage: Der Spielfilm „Sergio“ ist dabei ein Biopic mit Drama-, Thriller- und Romantik-Elementen, das sehr gut aussieht, aber bei dem erzählerisch gelegentlich falsche Prioritäten gesetzt wurden.

    "Narcos"-Star Wagner Moura ist Sergio.

    Sérgio Vieira de Mello (Wagner Moura) wird als Sohn eines brasilianischen Diplomaten in Rio de Janeiro geboren. Mit 21 Jahren beginnt er seine Karriere bei den Vereinten Nationen. Dank seines Charmes, Durchsetzungsvermögens und unbedingten Willens, Frieden zu schaffen, steigt er schnell innerhalb der Organisation auf. Immer wieder wird er für besonders diffizile Missionen eingeteilt – etwa die schwierigen Verhandlungen zur Unabhängigkeit Osttimors von Indonesien. Dort lernt Sérgio die deutlich jüngere, argentinische UN-Ökonomin Carolina Larriera (Ana de Armas) kennen und lieben.

    Im Jahr darauf reist das Paar in den Irak, wo Sérgio und sein Stab im Auftrag der UN die Demokratisierung infolge der Invasion durch Koalitionstruppen und der Absetzung des Regimes von Saddam Hussein vorantreiben sollen. Nach einem ersten Treffen mit dem obersten Gesandten Washingtons, Paul Bremer (Bradley Whitford), lässt Sérgio die Amerikaner wissen, dass sein Hauptquartier nicht mehr von ihren Truppen beschützt werden solle. So will er der irakischen Bevölkerung die Unabhängigkeit der Vereinten Nationen von den Besatzern verdeutlichen. Kurz darauf kommt es in Bagdad zu einem fatalen Terroranschlag auf das UN-Gebäude…

    Moura ist sein eigener Sérgio

    Der mit seiner brillanten Darstellung des Drogenbarons Pablo Escobar in „Narcos“ weltberühmt gewordene Wagner Moura legt seine Titelrolle als empathischen, engagierten und sympathischen Mann an – exakt so, wie Vieira de Mello in der 2009er-Doku und in weiterem Archivmaterial über seine Person rüberkommt. Trotzdem gibt er ihm auch Nuancen, sodass Moura nicht einfach nur eine Nachahmung der realen Person bietet, sondern uns einen sehr spezifischen „Sergio“ präsentiert

    Dies kommt zum Beispiel in einer Art Rahmenstory rund um zahlreiche Flashbacks zu tragen - in starken Momenten im Zusammenspiel mit dem von Brían F. O'Byrne („Nightflyers“) verkörperten UN-Kollegen Gil Loescher und dem einmal mehr charismatisch auftretenden „Deadwood“-Veteran Garret Dillahunt als US-Army-Sergeant William von Zehle. Schauplatz sind dabei die Trümmer des Bagdader UN-Hauptquartiers, direkt nach einem von einem ISIS-Vorläufer verübten Anschlag vom 19. August 2003.

    Sergio von seiner privaten Seite.

    In den längst nicht so reich dokumentierten privaten Momenten muss man sich ohnehin von der realen Person freimachen. Gerade in diesen Momenten gibt Moura, der hier ebenfalls als Produzent tätig ist, der Figur viel emotionale Tiefe. Dabei wird sein Vieira de Mello durchaus mit Schwächen präsentiert. So findet eine Szene zu Hause mit seiner Familie in Rio de Janeiro Platz, in der der Protagonist mit seinen Teenagersöhnen interagiert und sich zeigt, dass er nicht gerade ein Bilderbuchvater ist.

    Und dann sind da natürlich noch die romantischen Passagen mit seiner Freundin, gespielt von „Knives Out“ und „James Bond: Keine Zeit zu sterben“-Star Ana de Armas. Das Darsteller-Duo passt zusammen - sowohl in harmonischer Zweisamkeit als auch in Szenen, in denen ihre Figuren unter enormem, professionellem Druck stehen. Die amouröse Verbindung sowie das Band aus gegenseitigem Vertrauen und Respekt zwischen ihnen wirken jederzeit glaubhaft – und doch ist diese Liebesgeschichte das größte Problem des Films.

    Romantik statt Politik

    So visuell attraktiv und gefühlvoll die Beziehung von Kameramann Adrian Teijido („Marighella“) ins Bild gesetzt sein mag, so unnötig umfangreich ist sie – gerade in einem Biopic über einen Mann, der so viele spannende, weltpolitisch relevante Dinge erlebt und erreicht hat. Doch davon wird immer wieder abgewichen, um uns stattdessen innerhalb der zwei Stunden Laufdauer viel zu viel, vergleichsweise belanglosen Privatkram vorzusetzen – was besonders rund um die brenzligen Ereignisse in Osttimor deutlich zu bemerken ist, wo Sérgio Vieira de Mello im Rahmen einer UN-Mission das lange Zeit unter indonesischer Besatzung stehende Land in die Unabhängigkeit führen soll.

    Barker und sein Team setzen die Flashbacks (gedreht wurde in Thailand) zu den teilweise lebensgefährlichen Verhandlungen mit den gewaltbereiten Seiten sehr aufwändig und authentisch ins Bild. Doch anstelle tieferer Beleuchtung der Vorkommnisse serviert Barker dann oft minutenlange Liebesszenen in Dschungel-Ruinen aus dem 16. Jahrhundert oder einer abgelegenen Hütte. Die einzelnen Passagen sind zwar jeweils stimmungsvoll gefilmt, tun indes wenig dafür, die Handlung voranzutreiben beziehungsweise interessante Details bezüglich des diplomatischen Geschicks der Titelfigur preiszugeben.

    Zweisamkeit im Regen statt harte Politik.

    Spannender sind da schon Mouras Sequenzen mit Bradley Whitford („Get Out“) als Paul Bremer. Zwar ist bereits in den ersten Sekunden offensichtlich, dass Whitford den Antagonisten des Films geben wird. Trotzdem sind die verbalen Scharmützel zwischen den zwei Mimen ein Genuss. Mit Hilfe der in Jordanien gedrehten, geschickt durch Archivmaterial realer Nachrichten-Segmente ergänzten Aufnahmen spüren wir förmlich, wie die damals noch offene Situation im Irak in Richtung des Besatzungs-Desasters abrutschen konnte, das jahrelang die Schlagzeilen dominieren sollte.

    Hier wird anschaulich verdeutlicht, dass es eben nicht nur die Schuld der sich gnadenlos arrogant und als Elefant im Porzellanladen aufführenden Amerikaner war, sondern die UN, angeführt von Vieira de Mello, einiges anders hätte machen können, vielleicht sogar müssen. Das sind Erkenntnisse bezüglich einer erstaunlichen Diplomaten-Karriere, von denen das visuell und emotional gut bis exzellent gelungene Werk viel mehr hätte bringen können – und womöglich sogar sollen.

    Fazit: Ein stark bebildertes Biopic, das allerdings noch viel mitreißender und relevanter hätte ausfallen können.

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