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    Verachtung
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Verachtung

    Die Fortsetzung von "Erbarmen", "Schändung" und "Erlösung"

    Von Lars-Christian Daniels

    Das Interesse an der Sonderdezernat-Q-Reihe aus der Feder des dänischen Bestseller-Autors Jussi Adler-Olsen ist nach wie vor ungebrochen: Auf stolze sieben Romane bringt es die Erfolgsreihe mittlerweile – und noch immer gehen die ungeklärten Mordfälle aus der Vergangenheit, auf die der miesmuffelige Kommissar Carl Mørck, sein aufgeweckter Assistent Assad und die quirlige Assistentin Rose im Keller des Kopenhagener Polizeipräsidiums angesetzt werden, millionenfach über die Ladentheken. Bevor voraussichtlich noch in diesem Jahr der achte Band der Roman-Reihe erscheint, dürfen sich die Fans des Ermittlertrios aber noch auf die vierte Leinwandadaption der populären Thriller-Serie freuen: Nach „Erbarmen“ und „Schändung“ von Mikkel Norgaard sowie „Erlösung“ von Hans Petter Moland versucht sich mit Christoffer Boe („When Animals Dream“) nun ein weiterer skandinavischer Filmemacher an einer Kino-Interpretation von Adler-Olsens Romanen und drehte dabei erneut zu großen Teilen in Hamburg. Das Ergebnis kann sich durchaus sehen lassen: Das vom ZDF co-produzierte Thriller-Drama „Verachtung“ knüpft nahtlos an die spannenden Vorgänger an, selbst wenn nicht jede Entscheidung im Hinblick auf die Adaption der Buchvorlage Sinn ergibt.

    Beim Renovieren einer leerstehenden Wohnung in Kopenhagen machen Bauarbeiter eine grausame Entdeckung: In einem versteckten Raum hinter einer Trennwand sitzen an einem Tisch drei mumifizierte Leichen – offenbar absichtlich von ihrem Mörder in dieser Stellung drapiert und seit vielen Jahren unentdeckt. Der Leiter des Sonderdezernats Q, Carl Mørck (Nikolaj Lie Kaas), findet gemeinsam mit seinem Assistenten Hafez el-Assad (Fares Fares) und seiner Sekretärin Rose Knudsen (Johanne Louise Schmidt) heraus, dass die Wohnung von einer Gitte Charles gemietet wurde, die inzwischen aber in Spanien untergetaucht sein soll. Aber ist sie auch die Mörderin? Und wo liegt ihr Motiv? Die Spur führt die Ermittler zurück in die Vergangenheit: Gitte Charles (Luise Skov) war in den 60er Jahren auf der Insel Sprogø als Krankenschwester in einer Anstalt angestellt, in der geistig behinderte oder anderweitig auffällige Mädchen untergebracht und für grausame Experimente missbraucht wurden. Der Oberarzt Curt Wad (in jungen Jahren: Elliott Crosset Hove, später: Anders Hove) ließ sogar Zwangssterilisationen an den jungen Frauen durchführen. Zwei der weiblichen Insassen waren die opportunistische Rita (Clara Rosager) und die sensible Nete (Fanny Bornedal) – und die sitzen nun offenbar tot am Tisch in der leerstehenden Wohnung...

    Carl Mørck (Nikolaj Lie Kaas) und sein Assistent Hafez el-Assad (Fares Fares) rücken in ihrem 4. Kino-Fall noch näher zusammen.

    Bist du geil oder dumm?“ Mit dieser wenig schmeichelhaften Frage nimmt Zimmergenossin Rita die verdutzte Nete im Teenager-Alter auf Sprogø in Empfang – und Nete versteht zunächst nur Bahnhof. Doch Rita spielt auf etwas an, was in der Realität tatsächlich so stattgefunden hat: Wer zwischen 1923 und 1961 in der Frauenanstalt auf der Insel im Großen Belt einquartiert wurde, zählte entweder nicht zu den hellsten Kerzen auf der Torte oder hatte einen zügellosen Sexualtrieb, dem durch die Sterilisation Einhalt geboten werden musste – so zumindest das abscheuliche Credo der Ärzte, die damals im Sinne der „Rassenhygiene“ die Verbreitung von „schlechtem Erbmaterial“ verhindern wollten. Dieses menschenverachtende Prozedere erinnert stark an die Ermordung von geistig behinderten Menschen zu Zeiten des Nationalsozialismus und markiert zugleich eines der düstersten Kapitel in der Geschichte Dänemarks: Rund 11.000 Frauen, so erklärt auch der Abspann des Films, wurden in diesem Zeitraum (zwangs-)sterilisiert – und das nur wegen einer Behinderung oder weil sie aus schwierigen Milieus stammten. Bis heute haben die betroffenen Frauen vom dänischen Staat keine Entschädigung erhalten – umso wichtiger ist es, dass die Verbrechen durch Jussi Adler-Olsens Roman und die Verfilmung des Stoffes endlich ins Licht einer breiten Öffentlichkeit rücken.

    Nicht so gut wie der Roman

    Ansonsten gilt für Christoffer Boes Leinwandadaption des Skandinavien-Thrillers das, was auch schon für die drei Vorgänger galt: Wer den Roman „Verachtung“ gelesen hat, der 2012 zwei Wochen lang auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste rangierte, muss im Hinblick auf die Figurenkonstellation und die Komplexität der Handlung herbe Kürzungen in Kauf nehmen. Da dies bei Romanverfilmungen üblich ist, seien hier nur die größten Änderungen genannt: Statt dreier zeitlicher Ebenen gibt es im Film nur die Gegenwart und die frühen 60er Jahre; mit Viggo Mogensen fehlt eine Figur gleich komplett und auch dem Handlungsstrang um die Politik der noch jungen Partei „Klare Grenzen“ schenken die Filmemacher – was angesichts des jüngsten „Rechtsrucks“ in vielen europäischen Ländern etwas schade ist – keine Beachtung. Dafür dichten sie etwas hinzu, was die Geschichte für Carl Mørcks Assistenten Assad zu einer noch persönlicheren (und gefährlicheren) Angelegenheit macht, dabei aber sehr formelhaft wirkt: Mit der jungen Nour (Amanda Radeljak) gerät eine Bekannte aus Assads Umfeld in die Fänge des auch in der Gegenwart noch als Frauenarzt aktiven Curt Wad – und es ist an den Ermittlern, ihm das Handwerk zu legen und das Leben der jungen Frau zu retten.

    Der Spannungskurve ist das zwar dienlich, doch an anderer Stelle schmälert eine dramaturgische Entscheidung das Vergnügen erheblich: Während der schockierende Blick in das „Leichenzimmer“ und das späte Lüften der Identität einer Mumie im Roman den finale Clou der Geschichte bilden und die akribische Vorarbeit des Täters zu den packendsten Kapiteln des Buches zählt, startet der Film mit eben dieser Sequenz – ein später Aha-Effekt fällt damit aus, zumal die Jagd auf die abgetauchte Wohnungsbesitzerin eher beiläufig erzählt wird und nur wenig Durchschlagskraft entfaltet. Auch der tragischen Vorgeschichte in der Anstalt auf Sprogø hätten ein paar Minuten mehr gut zu Gesicht gestanden. Ein Stück weit aufgefangen wird dieser Mangel allerdings durch die bedrückend-düstere Atmosphäre und die tolle Performance von Jungschauspielerin Fanny Bornedal („Die Brücke - Transit in den Tod“), die in der Rolle des gepeinigten Opfers eine erstklassige Leistung abliefert. Und zwischen den Ermittlern stimmt die Chemie sowieso: Wenngleich Assad Abwanderungsgedanken hegt und Mørck erst spät nette Worte für seinen engagierten Assistenten übrig hat, schweißt der vierte Fall das Trio spätestens bei einer rührenden Sequenz auf der Intensivstation noch stärker zusammen als bisher. Die Verfilmung des fünften Falls aus Kopenhagen dürfte damit nur eine Frage der Zeit sein.

    Fazit: Christoffer Boes spannender Thriller „Verachtung“ erreicht nicht die Klasse der Romanvorlage – sehenswert ist die Kino-Variante der bedrückenden und historisch hochinteressanten Geschichte aber trotzdem.

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