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    Bloody Mama
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Bloody Mama
    Von Jan Görner

    „How I made a hundred movies in Hollywood and never lost a dime" - möchte man die Karriere von Roger Corman in einem Satz zusammenfassen, wählt man am besten den Titel seiner Autobiografie. Der US-amerikanische Schauspieler/Regisseur/Produzent/Autor gehört vermutlich zu den einflussreichsten und doch meistunterschätzten Kreativen Hollywoods. Seine 1970 erschienene Low-Budget-Gangsterballade „Bloody Mama" bietet einen kleinen, aber stellvertretenden Ausschnitt aus Cormans Schaffen.

    Zu Zeiten der Depression zieht die Barker-Bande in einem selbstzerstörerischen Rausch durch die ländlichen Gebiete der USA. Angeführt von ihrer Mutter Kate (Shelley Winters), schrecken Herman (Don Stroud), Arthur (Clint Kimbrough), Fred (Robert Walden) und Lloyd Barker (Robert De Niro) weder vor Raub, Entführung oder Mord zurück. Eine Kriegserklärung an das Establishment! Als die Familienbande den Neureichen Sam Pendelbury (Pat Hingle) in ihre Gewalt bringt, um Lösegeld für ihn zu erpressen, kommen ihnen die Gesetzeshüter auf die Spur. Es kommt zum blutigen Showdown...

    Filmfreunden werden einige Übereinstimmungen von „Bloody Mama" mit der Story des New-Hollywood-Klassikers „Bonnie and Clyde" (1967) sofort ins Auge fallen. Der bahnbrechende Stil von Arthur Penns Gangster-Romanze, der einen Wendepunkt der Filmgeschichte markierte, fand zahlreiche Nachahmer. Und tatsächlich bedient sich auch Roger Corman einer episodischen Erzählweise und expliziter Gewaltdarstellung, um seine Version der Antihelden-Geschichte zu paraphrasieren. „Bloody Mama" kommt dabei ohne eine soziale Botschaft aus. Ebenso wenig wird das Lebensgefühl einer Generation widergespiegelt. Der Film ist roh, brutal und direkt, ein typischer Corman eben. Hier tun schlicht böse Menschen böse Dinge. Einfach, weil sie böse sind. Das Drehbuch von Robert Thom bringt kein Verständnis für ihre Situation auf, es gibt hier keine Romantisierung von Kriminellen, diese sind weder Helden noch bemitleidenswerte Außenseiter. Identifikationsangebote an das Publikum bleiben auch aus. Und doch kann sich der Zuschauer einer gewissen Faszination für diese degenerierte Familie nicht entziehen. Die fiebrige Kompromisslosigkeit, mit der die maschinengewehrschwingende Ma Barker versucht, ihrem tristen Leben am Rande der Gesellschaft zu entkommen, trotzt einem sogar fast schon so etwas wie Respekt ab.

    Neben kriminellen Ikonen der amerikanischen Depression, den Public Enemies um John Dillinger, Bonnie Parker und Clyde Barrow, fristet Kate „Ma" Barker in der öffentlichen Rezeption eher ein Schattendasein. In den USA kannte sie zu ihrer jedes Kind, heute ist ihr zweifelhafter Ruhm auch in ihrer Heimat ziemlich verblasst. Es darf ohnehin bezweifelt werden, ob der Ruf als kriminelles Genie, den Kate Barker innehatte, wirklich der Wahrheit entsprach. Als sie 1935 zusammen mit Fred Barker in einer Scheune in Florida erschossen wurde, war ihr Sohn das eigentliche Ziel. Bis heute hält sich hartnäckig das Gerücht, dass FBI-Chef J. Edgar Hoover gezielt Gerüchte über Ma Barkers Kaltblütigkeit lanciert hat, um ihre Tötung zu rechtfertigen. Man muss also klar zwischen der historischen Persönlichkeit und der Titelfigur aus „Bloody Mama" unterscheiden. „Any similarity to Kate Barker and her sons is intentional", lässt uns der Film in der ersten Einstellung wissen, was wohl als Eingeständnis dafür zu verstehen ist, dass man sich in der Lesart der Familiengeschichte einige Freiheiten erlaubt hat, statt einer Chronistenpflicht nachzukommen.

    In „Bloody Mama" ist Ma Barker auf der einen Seite keifende Tyrannin, die ihre Kinder zu Gewaltverbrechen antreibt oder sie mit Maulschellen gefügig macht. Auf der anderen Seite aber auch liebende Mutter, die für die Familie kocht und ihre erwachsenen Söhne badet. Nicht nur Freds Liebhaber Kevin Dirkman (Bruce Dern), auch die Barker-Jungs teilen dabei regelmäßig mit ihrer Mutter das Bett. Da muss man nicht Sigmund Freud heißen, um zu kapieren, welcher Natur die Mutter-Sohn-Beziehung in diesem Film ist. Die erwähnten Stimmungsschwankungen vermag Shelley Winters leider wenig überzeugend auf die Leinwand zu bringen, viel zu arg gibt die zweifache Oscar-Gewinnerin dem Affen in manchen Szenen Zucker. Ihre unvergleichliche Präsenz ist dabei jederzeit spürbar, was dem Gesamteindruck allerdings eher abträglich ist. Ma Barker hätte eine faszinierende Figur sein können, aber leider verlegt der Film seinen Fokus statt auf die Charakterentwicklung viel lieber auf das Ausschlachten von Tabus.

    Verbrechen, Drogen, Inzest - Cormans Exploitation-Streifen stehen nicht unbedingt im Ruf besonderer Subtilität. Und so ist auch „Bloody Mama" vornehmlich ein reißerischer Low-Budget-Streifen, in dem eine dysfunktionale Sippe die Grenzen der Geschmacklosigkeit auslotet. Aufgrund seiner schnellen und kostengünstigen Produktionsweise hängt Roger Corman bis heute der zweifelhafte Ruf an, der König der B-Movies zu sein. Eine Reputation, die er stets ablehnte, waren seine Filme doch nie als nachgeschobenes Beiwerk für ein A-Movie gedacht, sondern immer als Haupt-Event. Die Bedeutung des Oscar-Preisträgers (2009 erhielt er die Auszeichnung für sein Lebenswerk) für das zeitgenössische Kino sollte man nicht unterschätzen. Es lässt sich nachweisen, dass Peter Fonda ohne Cormans 1966 erschienenen Motorrad-Streifen „Die wilden Engel" (mit Fonda selbst in der Hauptrolle) nicht die Idee zu „Easy Rider" (1969) gehabt hätte. Dass der Ruhm Robert De Niros („Es war einmal in Amerika"), der 1970 kaum mehr als ein kleiner Nebendarsteller war, dem seiner schauspielerischen Ziehmutter Shelley Winters heute in nichts nachsteht, beweist Cormans ausgezeichnetes Näschen für Talent. Er darf ruhigen Gewissens von sich behaupten, vielen Hollywood-Größen ihre ersten Jobs verschafft zu haben - neben Martin Scorsese, James Cameron wäre da auch Jonathan Demme zu nennen, in dessen Filmen Corman regelmäßig kleine Rollen inne hat.

    Obwohl durchaus gute Ansätze vorhanden sind, dient „Bloody Mama" als gutes Anschauungsmaterial, um zu verstehen, warum voreilige Kritiker Roger Cormans Gesamtwerk gern jegliche filmische Güte absprechen. Und das, obwohl sich darunter echte Perlen wie der Edgar-Allan-Poe-Zyklus (etwa „Das Pendel des Todes" von 1961) mit Vincent Price befinden. „Bloody Mama" will hingegen lediglich reißerische Unterhaltung bieten. Dies gelingt zwar, aber ein nachvollziehbarer künstlerischer Anspruch ist dabei nicht auszumachen. Dass der Film mit Corman über einen durchaus fähigen Regisseur verfügt, steht außer Frage. Allerdings vermag er aus den Versatzstücken des New Hollywood nicht allzu viel herauszuholen. Von der Selbstironie, die Corman-Filme wie zum Beispiel „Kleiner Laden voller Schrecken" auszeichnete, sind hier lediglich Spurenelemente vorhanden. Das macht „Bloody Mama" zwar zu einem „Guilty Pleasure", aber leider nicht zu einem wirklich guten Film. Daran vermögen auch die gute Kamera-Arbeit des TV-Veteranen John A. Alonzo und der vergleichsweise gute Score nichts ändern. Interessant ist das Werk vor allem als Zeit-Dokument und als Einstieg in den Corman'schen Filmkosmos.

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