Elio
Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
4,0
stark
Elio

Das beste Kino-Original von Pixar seit "Alles steht Kopf"

Von Christoph Petersen

Wenn Schiffbrüchige auf einer einsamen Insel landen, dann gehört es zu den ersten Überlebensmaßnahmen, am Strand einen möglichst großen Hilfeschrei in den Sand zu malen. So sollen vorbeikommende Flugzeuge auf die Notlage aufmerksam gemacht werden. Der siebenjährige Elio Solis (Stimme im Original: Yonas Kibreab) fühlt sich seit dem Tod seiner Eltern, als ob er ebenfalls gestrandet sei – allerdings nicht auf einer Insel, sondern auf der Erde. Also legt er sich in seinem selbstgebastelten Space-Anzug samt Nudelsieb-Helm jeden Tag an den Strand. Um sich herum zeichnet er die Aufforderung an vorbeifliegende Raumschiffe, ihn doch bitte ins Weltall zu entführen…

Schon das Szenario des neuen Pixar-Originals „Elio“ ist herzzerreißend – ein Wortspiel mit dem englischen Begriff „alienation“, der zwar „Entfremdung“ bedeutet, aber „Alien“ in sich trägt, und so den Weltall-Plot und den Coming-of-Age-Kern ganz wunderbar miteinander verbindet. Entwickelt hat das alles „Coco“-Regisseur Adrian Molina, der als Jugendlicher ebenfalls seine eigene Welt weg von zuhause gefunden hat, nur eben nicht im All, sondern an der Kunsthochschule in Kalifornien. Nach einigen Verzögerungen – durch den Autorenstreik sowie Anpassungen der Story (aus Elios Mutter wurde seine Tante) – schied Molina jedoch aus dem weit fortgeschrittenen Prozess aus, um stattdessen „Coco 2“ zu inszenieren.

Trotz Kreativwechsel wie aus einem Guss

Die verbliebene Arbeit an „Elio“ haben stattdessen „Rot“-Regisseurin Domee Shi und die Storyboard-Künstlerin Madeline Sharafian erledigt – und ganz ehrlich: Dem Ergebnis nach zu urteilen, würde man – anders als etwa bei „Merida“, wo man trotz aller Qualitäten merkt, dass es mal ein ganz anderer Film werden sollte – nie vermuten, dass hier nicht von Anfang bis Ende eine einheitliche Vision vorlag. Abstriche gibt es eigentlich nur, weil hier schon sehr, sehr viel Plot in die knappen 97 Minuten gepresst wird und „Elio“ so mitunter der Raum fehlt, um auch die menschlichen Nebenfiguren und vor allem die verschiedenen Aliens ein wenig besser kennenzulernen.

Elio wünscht sich nichts mehr, als von Aliens entführt zu werden! Disney und seine verbundenen Unternehmen
Elio wünscht sich nichts mehr, als von Aliens entführt zu werden!

Elio, der seit dem Tod seiner Eltern bei seiner überforderten, als orbitale Analystin nach Weltraumschrott suchenden Tante Olga (Zoe Saldaña) aufwächst, wird in Wahrheit gar nicht wegen seiner Strandbotschaft entführt, sondern aufgrund einer folgenschweren Verwechslung: Die Mitglieder des Communiverse (u. a. Matthias Schweighöfer), einer interplanetarischen Organisation, die sich vielleicht am besten als Alien-UN beschrieben ließe, halten Elio nämlich fälschlicherweise für den Anführer der Erde – und haben ihn nur deshalb in ihre Mitte geholt.

Allerdings muss sich Elio für die endgültige Aufnahme erst einmal beweisen – und die Chance dazu kommt, als der kriegshungrige Lord Grigon (Brad Garrett) droht, das Communiverse auszulöschen. Elio meldet sich freiwillig, um die Verhandlungen mit dem Warlord-Wurm aufzunehmen, stößt dabei aber auch irgendwann an seine Grenzen. Schließlich ist und bleibt er – Verwechslung hin oder her – ein gerade einmal sieben Jahre alter Junge…

Verdammt, ist das clever

Im Communiverse gibt es eine lebendige Bedienungsanleitung für das Universum (Stimme: Bob Peterson): Der Sinn des Lebens? Was ist auf der anderen Seite eines schwarzen Lochs? Aber Elio will lieber wissen, wer in einem Kampf zwischen einem Gorilla mit Baseballschläger und zehn Schimpansen gewinnen würde? Selbst nach einer salomonischen Antwort, dass es bei einem solchen Kampf nie echte Gewinner gäbe, und man lieber nach Frieden streben sollte, besteht Elio weiter auf einer „richtigen“ Antwort – und erhält sie dann auch, in einem wunderbar widerstrebenden Tonfall. „Elio“ steckt voller solcher cleveren Gags. Da wirkt nichts bemüht oder angestrengt …

… und abseits der Gorilla-Meme-Pointe verzichten die Macher*innen auch auf allzu forcierten Meta-Humor, wie er sich ja gerade im Sci-Fi-Genre mit allerlei Filmzitaten anbieten würde. Stattdessen besinnt sich „Elio“ ganz auf die klassischen Stärken von Pixar: Wie damals in „Toy Story“ zahlt jedes amüsante Detail, jede überraschende Wendung und jede neue Figur direkt auf die von Trauer und Verlust, aber auch von der Lust aufs Abenteuer geprägte Coming-of-Age-Erfahrung des Protagonisten ein. Da wird ständig auch laut gelacht – und zumindest in meiner Kinovorstellung gab es so gut wie niemanden, der am Ende nicht zumindest die eine oder andere Träne verdrückt hat (andere wiederum waren zu dem Zeitpunkt auch schon mit einer halben Packung Taschentüchern durch).

In dem Alien Glordon findet Elio endlich einen echten Freund! Disney und seine verbundenen Unternehmen
In dem Alien Glordon findet Elio endlich einen echten Freund!

Apropos meine Kinovorführung: Abgesehen von „Avatar 2“ war es – zumindest meiner Erinnerung nach – das erste Mal seit Jahren, dass uns Disney in der Pressevorführung einen Film in der 3D-Fassung gezeigt hat. Aber das hatte eben auch seinen Grund: Vor allem die Szenen, in denen Elio allein im Weltall herumschwebt, sind in 3D eben noch mal besonders spektakulär – und dasselbe gilt auch für die beste Horror-Szene in einem Pixar-Film seit dem ersten „Toy Story“ (sie ist auch nur ganz kurz, versprochen).

Die Pixar-Animator*innen suchen sich ja in (fast) jedem Film eine Stelle, an der sie die Technologie vorantreiben wollen. Nach den Wasser- und Feuer-Animationen in „Elemental“ betrifft das diesmal vor allem die Sequenzen im Communiverse, wo nicht nur mit vielen halbtransparenten, lumineszierenden Oberflächen gearbeitet wird. Für die zahlreichen verschiedenen Alien-Typen wirken hier sogar verschiedene Schwerkräfte, um noch einmal glaubhaft zu unterstreichen, dass jedes von ihnen aus einer eigenen, ganz verschiedenen Welt stammt.

Fazit: Eine begrüßenswerte Rückbesinnung auf klassische Pixar-Stärken. Selbst wenn es hinter den Kulissen offenbar größere Umwälzungen gegeben hat, wirkt „Elio“ wie aus einem Guss – zum Heulen schön und das Skript ist randvoll mit kleinen und großen cleveren Einfällen.

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