Horror am helllichten Tag
Von Christoph PetersenNach den jeweils ca. 200 Millionen Dollar teuren Dwayne-Johnson-Blockbustern „Jungle Cruise“ und „Black Adam“ sowie „Carry-On“, dem zweiterfolgreichsten Netflix-Originalfilm aller Zeiten, hatte Jaume Collet-Serra offenbar Lust auf eine kleinere Produktion (bevor es ihn als Nächstes für das „Cliffhanger“-Remake in die Schweizer Alpen verschlägt): Mit „The Woman In The Yard“ kehrt der Regisseur von „House Of Wax“ und „Orphan“ zu seinen Anfängen im Horror-Genre zurück und liefert ein Grusel-Kammerspiel, dessen Szenario vor allem deshalb fasziniert, weil das Grauen hier lange Zeit nicht in dunklen Ecken, sondern bei hellstem Sonnenschein und für alle sichtbar auf einem Stuhl im Garten lauert.
Ramona (Danielle Deadwyler) hat mit ihrem Ehemann David (Russell Hornsby) eine heruntergekommene Farm erstanden, um sie gemeinsam wieder in Schuss zu bringen. Auf diese Weise wollten sie ein schönes Zuhause für ihren 14-jährigen Sohn Taylor (Peyton Jackson) und ihre sechsjährige Tochter Annie (Estella Kahiha) schaffen. Doch dann kam David bei einem Autounfall ums Leben, während Ramona mit einem zerschmetterten Bein und voller Trauer kaum noch aus dem Bett kommt. Sogar der Strom ist inzwischen auf unbestimmte Zeit ausgefallen, und ohne Telefon kann man nicht mal jemanden anrufen, der sich darum kümmert. Da sitzt eines Morgens plötzlich eine Frau (Okwui Okpokwasili) in einem schwarzen Schleier ganz bewegungslos auf einem antiken Eisenstuhl im Garten – und sagt nur immer wieder: „Heute ist der Tag!“
Das Szenario, welches in der ursprünglichen Fassung übrigens einen Familienvater und einen Mann im Garten umfasste, bevor „Carry-On“-Star Danielle Deadwyler ihr Interesse an dem Projekt bekundete, erweist sich vor allem zu Beginn als extrem effektiv – gerade weil es so simpel ist: Jemand Fremdes hockt ohne ersichtlichen Grund im eigenen Garten, und selbst nachdrückliche Bitten schaffen keine Abhilfe! Das ist eine Situation, in die sich die allermeisten Menschen wohl sehr viel einfacher hineinfühlen können als in eine Konfrontation mit einer der üblichen nachtaktiven Schreckensgestalten von Werwolf bis Vampir. So wird es tatsächlich sehr schnell sehr ungemütlich – und obwohl eigentlich gar nichts passiert, kann man bestens nachvollziehen, warum der Level an Stress und Frustration der im Haus herumrätselnden Familie bald in die Höhe schießt.
Mit Ausnahme von ein bis zwei Rückblenden beschränkt sich der Schauplatz von „The Woman In The Yard“ auf das Farmhaus und den dazugehörigen Garten samt Garage – und Jaume Collet-Serra nutzt die Freiheiten, die es nun mal mit sich bringt, einen Film für einen Bruchteil seiner üblichen Budgets zu drehen, für allerlei inszenatorische Sperenzchen inklusive einiger verquerer Kamerawinkel, die man so garantiert noch nicht oft zu sehen bekommen hat. Dass sich der Großteil der Handlung zudem an einem ganz besonders sonnigen Tag abspielt, scheint für ihn fast so etwas wie eine zusätzliche Herausforderung darzustellen, um trotz dieses vermeintlichen Malus das gewohnte Maß an Grusel (und Jump-Scares) aus der Situation herauszupressen.
Aber das gelingt nur bedingt – und das liegt am Ende weniger an der sonnendurchfluteten Szenerie und schon gar nicht an den handwerklichen Fähigkeiten des Regisseurs, sondern daran, dass sich „The Woman In The Yard“ mit seiner Trauer-Thematik schlichtweg verhebt. Das Skript ist vollgestopft mit metaphorischen Motiven, die vor allem in jeder erdenklichen Form mit (im Horror-Genre ja ohnehin sehr beliebten) Spiegeln und Spiegelungen zu tun haben – von einem „Mirror“-Filmtitel auf einer Kino-Programmtafel im Hintergrund bis hin zur Tochter, die das kleine „r“ auch nach mehrmaliger Berichtigung immer noch spiegelverkehrt schreibt. Aber so richtig Spaß macht das Miträtseln trotzdem nicht, denn eigentlich ist ja von Anfang an klar, dass sich hier alles um Trauer, Traumata, sicher auch Depressionen, womöglich sogar Psychosen dreht.
Für Danielle Deadwyler (BAFTA-nominiert für „The Piano Lesson“) ist das eine Steilvorlage, die sie durchaus zu nutzen versteht: Von der ersten todtraurigen Szene an, in der Ramona noch vor dem Aufstehen ein Handyvideo ihres verstorbenen Mannes anschaut, offenbart sie eine schmerzhafte Verletzlichkeit, die man sonst eher von dramatischer Oscar-Kost als von bescheidenen Horror-Schockern gewohnt ist. Und das verstärkt sich sogar noch, wenn der Film nach der Auflösung der wahren Natur der Frau in Schwarz in psychologische Abgründe vordringt, die man zumindest in dieser Konsequenz und Dunkelheit vermutlich nicht erwartet hätte.
Aber die Genre-Freuden stehen dabei (zu) oft hinten an: Irgendwann wird offenbart, dass die ohnehin kaum ausdefinierten Kräfte der Frau in Schwarz nur im Hellen wirken – und zwar durch ein schwebendes Messer, das herunterfällt, sobald die Vorhänge zugezogen werden. Nicht nur durchschaut Ramona diese „Regel“ sofort, obwohl sie das Messer gar nicht gesehen hat – all das spielt auch schon wenige Augenblicke später überhaupt keine Rolle mehr: Denn sowohl auf dem dunklen Dachboden als auch bei einer Twist-Rückblende, die in einer regnerischen Nacht stattfindet, sind die Kräfte auf einmal doch wieder da.
Horror-Schocker mit Trauer-Arbeit zu würzen, ist gerade in den vergangenen Jahren sehr populär geworden – aber wenn man vor lauter Traumata irgendwann den Terror aus den Augen verliert, wird das für einen Genre-Film (und ein entsprechendes Publikum) irgendwann zum Problem…
Fazit: Das Szenario ist stark – und Jaume Collet-Serra packt alle möglichen inszenatorischen Taschenspielertricks aus, um auch bei hellstem Sonnenschein ein Maximum an Schreckmomenten zu kreieren. Aber am Ende verheddert sich „The Woman In The Yard“ in seiner eigenen thematischen Schwere.