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    Verbrannte Erde
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Verbrannte Erde

    Ein deutscher Gangsterfilm, der in einer Liga mit den ganz großen Genreidolen spielt

    Von Michael Meyns

    „Action is character“, schrieb einst der große Schriftsteller und Drehbuchautor F. Scott Fitzgerald. Grob übersetzt heißt das etwa: Nicht Worte, sondern Handlungen definieren eine Figur. Ein Satz, der ziemlich gut auch als Motto für die meisten oder zumindest die besseren Filme über Einbrecher*innen, Coups und kriminelle Halbwelten passt. Also Filme, in denen wenig gesprochen und viel agiert wird, in denen ein Schweigen mehr sagen kann als ein Dialog. Regisseure wie Jean-Pierre Melville („Vier im roten Kreis“) oder Michael Mann („Heat“) haben die ganz großen Klassiker des Genres gedreht – und ganz selten spielt auch einmal ein deutscher Filmemacher in dieser Liga mit.

    Ein Beispiel dafür ist sicherlich Thomas Arslan. Der drehte 2010 den knackigen Gangsterfilm „Im Schatten“, der dem ohnehin immer großartigen Mišel Matičević seine womöglich beste Rolle bescherte. Nun hat sich das Duo für die Fortsetzung „Verbrannte Erde“ wieder zusammengetan. Herausgekommen ist ein Film, der mit absoluter Präzision mit Genremotiven spielt, der mit extrem wenigen Worten, völlig befreit von Überflüssigem seine Geschichte erzählt und ganz nebenbei einen spannenden neuen Blick auf seinen zweiten Hauptdarsteller wirft: Berlin.

    Reinhold Vorschneider / Schramm Film
    Trojan (Mišel Matičević) steht am vereinbarten Treffpunkt für die Geldübergabe – aber das Publikum ahnt schon, dass er dort vergeblich warten wird.

    Trojan (Mišel Matičević) braucht Geld. Ein Deal in Frankfurt ging schief, beim Verticken der teuren Uhren wollte sein Hehler den Berufsverbrecher übers Ohr hauen. Doch so leicht ist Trojan nicht auszutricksen. Nun kehrt er nach Berlin zurück, in jene Stadt, die er vor zwölf Jahren fluchtartig verließ, um nach den Geschehnissen aus „Im Schatten“ erst einmal eine Zeitlang unterzutauchen. Seine alten Kontakte sind eingerostet - aber ein Kumpel, der sich zur Ruhe gesetzt hat, hilft aus:

    Die Vermögensberaterin Rebecca (Marie-Lou Sellem) hat offenbar eine Sache laufen, ein Gemälde von Caspar David Friedrich soll für einen privaten Kunden aus einem Museum gestohlen werden. Mit von der Partie sind Luca (Tim Seyfi), die Diana (Marie Leuenberger) Fahrerin und der Computerexperte Chris (Bilge Bingül). Doch während der Coup selbst problemlos über die Bühne geht, erweist sich einmal mehr das Verticken der Ware als das eigentliche Problem – denn dem Mittelsmann Victor (Alexander Fehling) ist nicht zu trauen…

    Kein Wort zu viel

    Es dauert eine gute Stunde, bis Trojan zum ersten Mal eine Unterhaltung führt, bei der es nicht um den Job geht. Er geht sogar auf Floskeln wie „Siehst gut aus Trojan“ ein und verhält sich für einen Moment wie ein ganz normaler Mensch. Denn zumeist ist dieser Trojan, der von Mišel Matičević mit enormer Coolness und fast unbeweglicher Mimik gespielt wird, ein hundertprozentiger Profi, der absolut keine Geduld für Amateur*innen hat. Jede Bewegung sitzt, in jedem Moment überblickt er die Situation, spürt, wenn etwas nicht stimmt, wenn ein Verrat droht. Dabei ist er sogar noch asketischer als etwa der von Robert De Niro gespielte Neil McCauley in Michael Manns Klassiker „Heat.“

    Dessen Mantra lautete: „Du darfst dich niemals an was hängen, was du nicht innerhalb von 30 Sekunden vergessen kannst, sobald du merkst, dass dir der Boden zu heiß wird.“ Trojan dagegen scheint gar kein Privatleben zu haben, lebt nur für seinen „Beruf“, eine endlose Reihe von Coups, Einbrüchen und Deals, billigen Hotels und konspirativen Treffen in Cafés oder Restaurants. Die eine Gelegenheit, mit einer Frau ein paar Tage Normalität zu erleben, lehnt er mit einem Funken Bedauern ab: „Zu riskant.“

    Reinhold Vorschneider / Schramm Film
    Diana (Marie Leuenberger) testet Erlkönige für die großen Automarken – und ist damit zugleich auch eine perfekte Fluchtfahrerin.

    Was Thomas Arslan an dieser Figur interessiert, ist also nicht die Tiefe des Charakters, sondern die reine Oberfläche, das Agieren, das Handeln. Kein Wunder, heißt seine Produktionsfirma doch „Pickpocket“, benannt nach Robert Bressons gleichnamigem Klassiker, der minutiös einen Taschendieb bei der Arbeit zeigt. „Verbrannte Erde“ ist wie der Vorgänger erneut ein Film der Beobachtung und der Bewegung, kein reißerischer Thriller, auch wenn die Spannung bisweilen enorm ist. Schüsse fallen nicht wahllos, sondern gezielt – so wie Trojan darauf achtet, keine unnötigen Bewegungen zu machen, so versucht auch Arslan, filmisch alles auf den Punkt zu bringen, keine Schnörkel zu ziehen, nie den Stil in den Vordergrund zu stellen.

    Gerade dieser Verzicht auf jedes Gramm Ballast macht die Qualität aus, etwa wenn die Crew nach dem Coup im Dunkeln in einem Park steht und beobachtet, wie die Polizei mit leuchtendem Blaulicht vergeblich nach ihnen sucht: Diana gerät nicht in Panik, bloß keine unnötigen Emotionen, stattdessen absolut präzise und unaufgeregte Steuervorgänge – ganz wie bei Ryan Gosling in der Eröffnungsszene aus „Drive“. In einem der stärksten Momente ruft Trojan seinen Gegenspieler Victor an, aber beide sagen nichts, sie belauern sich nur in der Stille: Während Victor im Cinemascope-Bild links zu sehen ist, blickt Trojan im Umschnitt von rechts ins Bild. Mehrmals schneidet Arslan zwischen diesen Einstellungen hin und her, scheinbar stehen sich die Kontrahenten wie in einem Western-Showdown gegenüber – kein Wort fällt, doch alles wird gesagt.

    Showdown im Schatten der Stadt

    Das nur einer der beiden Überleben wird, ist offensichtlich – am Ende wird einer von ihnen als Leiche im Schatten des neuen, modernen, aber auch gesichtslosen Berlin liegen. Wer sich in der Stadt auskennt, wird im Hintergrund den neuen Amazon-Tower am Warschauer Bahnhof erkennen, einer dieser Nicht-Orte, wo Investoren fantasielos bauen, aber nur ein paar Meter weiter finstere Ecken vom Verfall der Metropole erzählen. Von den berühmten Gebäuden und Orten Berlins ist dagegen nichts zu sehen, kein Fernsehturm, kein Alex, kein Ku’Damm, stattdessen Bürogebäude und Cafés, billige Ketten-Hotels, kaum etwas vom oft beschworenen Berlin-Glamour. Aber das ist genau passend für einen Film, der nicht mit stilistischen Mätzchen auf sich aufmerksam machen muss, sondern gerade durch seine Reduziertheit so cool und souverän wirkt, wie schon seit Ewigkeiten kein deutscher Genrefilm mehr.

    Fazit: Mit seinem schnörkellosen, von jedem Speck befreiten Krimi „Verbrannte Erde“ gelingt Thomas Arslan zusammen mit seinem brillanten Hauptdarsteller Mišel Matičević ein herausragendes Stück deutsches Genrekino.

    Wir haben „Verbrannte Erde“ im Rahmen der Berlinale 2024 gesehen, wo er in der Sektion Panorama gezeigt wurde.

    PS: Um dem immer mal wieder vorgebrachten Vorurteil vom „lahmen deutschen Film“ etwas entgegenzusetzen, hat sich die FILMSTARTS-Redaktion dazu entschieden, die Initiative „Deutsches Kino ist (doch) geil!“ zu starten: Jeden Monat wählen wir einen deutschen Film aus, der uns besonders gut gefallen, inspiriert oder fasziniert hat, um den Kinostart – unabhängig von seiner Größe – redaktionell wie einen Blockbuster zu begleiten (also mit einer Mehrzahl von Artikeln, einer eigenen Podcast-Episode und so weiter). „Verbrannte Erde“ ist unsere Wahl für den Juli 2024.

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