Top 10 von Sascha Westphal
(freier Kritiker)
1. „Der traumhafte Weg“
Immer wieder Lücken und Sprünge. Die Erzählungen und Beobachtungen fügen sich nicht zusammen. Angela Schanelecs Film ist so brüchig wie das Leben und ebenso verführerisch.
2. „120 BPM“
Wie Robin Campillo vom Politischen ins Private, vom Zeitpanorama zur Liebesgeschichte, wechselt, um gleich wieder zurückzuspringen, kann einem den Atem rauben. Alles hat seine Zeit heißt es in der Bibel. Aber so ganz stimmt das nicht. Eine Zeit der Wut kann auch eine Zeit der Hoffnung, eine des Schmerzes auch eine der Liebe sein. Nichts schließt sich aus.
3. „Die schönen Tage von Aranjuez“
Wim Wenders verfilmt ein seltsam flirrendes, sich immer wieder dem Betrachter entziehendes Theaterstück von Peter Handke und verwandelt es in eine Hymne auf die menschliche Schöpferkraft. Alles ist möglich in diesem wahrhaft einzigartigen Film. Selbst Nick Cave kann wie aus dem Nichts erscheinen und einen Song, der als CD-Einspielung begann, live am Klavier beenden.
4. „Nocturama“
Einer der Kino-Augenblicke des Jahres: Plötzlich steht einer der jugendlichen Aufständigen vor einer Schaufensterpuppe, die exakt wie er gekleidet ist. Eine gespenstische Spiegelung, mit der Bertrand Bonello Bret Easton Ellis’ Romanen so nahe kommt wie kein Filmemacher zuvor. Es ist Zeit, alle Hoffnungen fahren zu lassen. „No Exit“.
5. „Suburra“
Eine Art Götterdämmerung. Ein bitterer Abgesang auf den Mythos Mafia. Der große Regen, auf den Travis Bickle so sehnsüchtig wartete, prasselt in Stefano Sollimas Politthriller unaufhörlich auf Rom hernieder. Einige wird es natürlich wegschwemmen. Aber das ändert nichts. Die Verhältnisse bleiben bestehen. Das System ist kaputt und funktioniert doch.
6. „Das ist unser Land!“
Ein Blick hinter die Kulissen des rechten Populismus. Natürlich erzählen Lucas Belvaux und sein Co-Drehbuchautor Jérôme Leroy vom Front National und von Marine Le Pen. Aber ihre Geschichte von Verführung und Manipulation weist weit über ihre konkreten Vorbilder hinaus. Die Wölfe haben überall Schafspelze übergestreift.
7. „Der Ornithologe“
Ein wundersamer Film voller Wunder, die zugleich immer auch Häresien sind. In João Pedro Rodrigues’ Kino war schon immer alles im Fluss. Aber diesmal treibt er das Spiel mit den Verwandlungen auf die Spitze. Am Ende ist nichts mehr, wie es war, und doch alles so, wie es sein soll.
8. „John Wick: Kapitel 2“
Einst wollte John McTiernan mit „Last Action Hero“ das Action-Genre in Bergman’sche Höhen treiben und ist dabei tief gefallen. Nun hat Chad Stahelski diesen Traum wahr werden lassen. „Kapitel 2“ ist das „Siebente Siegel“ des Action-Kinos: ein barocker Totentanz, der alle mitreißt.
9. „Personal Shopper“
Ein Film aus der Twilight Zone des Kapitalismus und dem Zwischenreich der digitalen Medien. Wie Kristen Stewart auf ihrem Moped durch die Straßen von Paris gleitet, über und über mit Tüten der teuersten Designer beladen, ist Versprechen und Warnung zugleich. Die Wirklichkeit löst sich in Assayas‘ Gegenwartsporträt auf, wird durchlässig für Geister und Lemuren, die uns mitnehmen und zu Gefangenen machen.
10. „Elle“
Was für ein grandioses Comeback. Paul Verhoeven tritt endgültig in die Fußstapfen von Luis Buñuel. Nur hat die Bourgeoisie mittlerweile selbst ihren diskreten Charme verloren. Dafür sind die Würgeengel allgegenwärtig.
