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    In der Welt habt ihr Angst
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    In der Welt habt ihr Angst
    Von Lars-Christian Daniels

    Der Regisseur, Autor und Filmproduzent Hans W. Geißendörfer ist dem deutschen Fernsehpublikum vor allem aufgrund einer Erfolgsserie bekannt, deren Erstausstrahlung mittlerweile mehr als 25 Jahre zurückliegt: Geißendörfer ist der Vater der „Lindenstraße". Die von ihm konzipierte Mutter aller deutschen Soaps hält sich noch immer wacker auf ihrem sonntäglichen Sendeplatz und bescherte dem gebürtigen Augsburger, der seine Karriere in den 60er Jahren als Autorenfilmer begann, unter anderem einen Bambi, den Adolf-Grimme-Preis und eine Goldene Kamera. Doch Geißendörfer hat längst bewiesen, dass er mehr kann als nur öffentlich-rechtliches Vorabendprogramm: 1979 brachte ihm seine Patricia-Highsmith-Verfilmung „Die Gläserne Zelle" eine Oscar-Nominierung ein, und zuletzt co-produzierte er den 2010 in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichneten „Uncle Boonmee erinnert sich an seine früheren Leben". Mit „In der Welt habt ihr Angst" versucht sich der Routinier nun kurz vor seinem 70. Geburtstag an einem intensiven Drogen- und Beziehungsdrama, kommt aber nach einem beklemmend inszenierten Auftakt leider schnell von der anfänglich eingeschlagenen Linie ab. Sein Film wirkt zwischenzeitlich sogar unfreiwillig komisch und lässt den Zuschauer mit der ärgerlichen Erkenntnis zurück, dass nicht zuletzt aufgrund der hochkarätigen Besetzung deutlich mehr möglich gewesen wäre.

    Musikstudentin Eva (Anna Maria Mühe) liebt nicht nur das Klavierspielen, Schubert und Bach, sondern auch den schwer drogenabhängigen Gitarristen und Sänger Jo (Max von Thun). Die Liebe zu dem abgewrackten Künstler ist so stark, dass sie ihrem Freund sogar in die Heroinsucht folgt, nur um sich ihm gedanklich näher zu fühlen. Als sie schwanger wird, fassen Eva und Jo den Entschluss, nach Neuseeland auszuwandern und dort einen kalten Entzug zu starten. Einziger Haken bei der Sache: Sie benötigen dringend 3.000 Euro für den Flug. Weil sich Evas Vater (Hanns Zischler) emotional längst von seiner Tochter distanziert hat und auch ihr unglücklich verliebter Verehrer Tom (Johannes Allmayer) kein Geld locker machen will, überfallen die beiden ein Antiquariat und erschlagen dabei den Besitzer. Während Jo in U-Haft landet und dort Höllenqualen durchlebt, nistet sich Eva mit vorgehaltener Pistole bei dem Lateinlehrer Paul (Axel Prahl) ein...

    Bares. Schecks. Schmuck. Irgendwas finden, was sich schnell zu Geld machen lässt. Einleitend blickt der Zuschauer der verzweifelten Eva über die Schulter, die im Haus ihres verwitweten Vaters auf der Suche nach der Finanzierung für den ersehnten Überseeflug ist. Oder doch für den nächsten Schuss? Ihr Gesicht ist kalkweiß, das Haar strähnig, die Augen unterlaufen. Was nach dem vielversprechenden Auftakt zu einem Drogendrama im Stile von „Christiane F. - Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" klingt und Anna Maria Mühe („Novemberkind") zugleich ausgiebig Gelegenheit gibt, ihr schauspielerisches Können in die Waagschale zu werfen, verliert schon nach einer guten halben Stunde spürbar an emotionaler Durchschlagskraft. Denn ausgerechnet an dem Punkt, an dem es richtig interessant wird, schleicht sich ein seltsam ironischer, stellenweise fast skurriler Unterton ins Drehbuch ein. Die Stunden in der Wohnung des Altphilologen Paul erinnern ein wenig an die Blockhüttensequenzen aus „Die fetten Jahre sind vorbei" – doch anders als inHans Weingartners überzeugendem Entführungsdrama wirken bei Geißendörfer ganze Dialogpassagen unfreiwillig komisch.

    „Ich bin nicht verrückt. Ich bin schwanger und auf Entzug." – Eva

    Anfangs noch gezeichnet von Drogensucht und wachsender Verzweiflung, findet Eva in der Wohnung des Lateinlehrers plötzlich Zeit, sich selbst mit einer Geburtstagstorte zu beschenken und mit Paul und dessen Frau Gisela (Kirsten Block, „Lila, Lila") Pizza und Pasta zu genießen. Während die junge Frau nur hin und wieder etwas wacklig auf den Beinen ist, brüllt sich ihr kalt entziehender Freund in seiner Gefängniszelle die Seele aus dem Leib und verschmäht jede Form von Nahrung aus der Alu-Schale. Das unsterblich verliebte Pärchen durch wiederkehrende Parallelmontagen gedanklich zueinanderfinden zu lassen, bleibt so lediglich Mittel zum Zweck und wirkt aufgesetzt.

    Geißendörfers Film punktet zwar mit einer starken Hauptdarstellerin und deren gut aufgelegtem Leinwandpartner Max von Thun („Mädchen, Mädchen 2"), leidet aber an seinen Nebenfiguren, deren Handeln oft nur schwer nachzuvollziehen ist. Dass der verschmähte Verehrer Tom – mit Johannes Allmayer („Vincent will meer") im Vergleich zu den übrigen Darstellern am schwächsten besetzt – seinem von der Polizei gesuchten Schwarm samt Lover Obdach gewährt und sich die Wände seiner Studentenbude mit Fotos von Eva buchstäblich zuplakatiert, mag vielleicht noch als liebeskrank durchgehen. Das späte Umdenken Pauls jedoch bleibt völlig rätselhaft und lässt die Handlung im Finale zielstrebig vor die Wand fahren. Da kann „Tatort"-Kommissar Axel Prahl („Halbe Treppe") noch so fleißig gegen seine Langhaarfrisur und die Intellektuellenbrille anspielen, mit der man ihn unnötigerweise zum Bilderbuchlehrer aufgebrezelt hat. Abgekauft hätte man ihm diese Rolle sicherlich auch ohne diese Maskerade.

    Fazit: „In der Welt habt ihr Angst" will vieles sein: Ein gewagter Film über die Heroinabhängigkeit, eine bewegende Liebesgeschichte und ein Plädoyer für die Kraft der Musik – unterm Strich bleibt aber zu viel Stückwerk, als dass sich eine gelungene Gesamtkomposition resümieren ließe. Es bleibt der Eindruck, dass Geißendörfers Film statt auf der großen Leinwand vielleicht im TV besser aufgehoben gewesen wäre – wenn auch nicht unbedingt im sonntäglichen Vorabendprogramm.

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