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    In The Shadow Of The Moon
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    In The Shadow Of The Moon

    Netflix bedient die Fans von "Inception" und Co.

    Von Oliver Kube

    Viele heute erfolgreiche, teilweise legendäre Filmemacher fingen mit kleinen, manchmal lächerlich niedrig budgetierten Horrorfilmen ihre Karriere an: James Cameron machte „Piranha II - Fliegende Killer“ weit bevor er zwei Mal den bis dato jeweils erfolgreichsten Film der Kinogeschichte drehen sollte. Oliver Stone debütierte mit „Die Herrscherin des Bösen“ und „Herr der Ringe“-Macher Peter Jackson mit dem Low-Budget-Splatter-Spaß „Bad Taste“. „Spider-Man“-Macher Sam Raimi ging bei Horror-Fans derweil dank „Tanz der Teufel“ bekanntermaßen gleich durch die Decke. Auch ein jüngeres Beispiel gefällig? Da könnte man zum Beispiel James Gunn nennen, der zwar noch weit vom Legenden-Status einiger der davor genannten entfernt ist, um den sich aber (trotz zwischenzeitlicher Kontroversen) längst die Hollywood-Studios prügeln, sodass er nun Großprojekt auf Großprojekt folgen lassen kann. Beim Publikum vorstellig wurde er erstmals 2006 mit „Slither“.

    Genau in dem Jahr feierte auch „Mulberry Street“ seine Premiere – und wir trauen Regisseur Jim Mickle seitdem zu, dass auch seine Karriere ihn irgendwann einmal in ähnliche Höhen führen kann, wie es bei den genannten Herren der Fall ist. Bislang macht er dabei aber vor allem kleine Schritte. Nachdem er mit seinem Ratten- und Zombieschocker-Debüt Achtungserfolge bei Festivals einfuhr, ging es mit „Vampire Nation“ schon auf deutlich größerer Skala weiter. Im Anschluss verhalf ihm „We Are What We Are“, das US-Remake des mexikanischen Kannibalismus-Indie-Hits „Wir sind was wir sind“, dann zu größerer Aufmerksamkeit. Mit dem gelungenen Thriller „Cold in July“ (4-Sterne-Kritik auf Filmstarts.de) entfernte sich der Amerikaner danach erstmals vom Horror-Genre. Nachdem er seine hervorragende, oft augenzwinkernde Crime-TV-Serie „Hap And Leonard“ abgeschlossen hat, liefert Mickle nun sein bisher aufwändigstes Projekt. Der für Netflix gedrehte „In The Shadow Of The Moon“ ist ein Mix aus kernigem Krimi, harter Science Fiction und – dann doch wieder – ein paar Horror-Elementen.

    "Dexter" Michael C. Hall ist nach in "Cold In July" auch im neuen Film von Jim Mickle zu sehen.

    1988: Thomas „Locke“ Lockhart (Boyd Holbrook) führt ein normales Leben als Streifenpolizist in Philadelphia. Da erschüttert eine mysteriöse Mordserie, bei der sich das Gehirn der scheinbar zufällig ausgewählten Opfer verflüssigt und aus den Körperöffnungen quillt, die Stadt. Der junge Mann hilft seinem Schwager Detective Holt (Michael C. Hall) die verdächtige Rya (Cleopatra Coleman) zu jagen. Als er sie in einer U-Bahnstation stellt, wird diese von einem Zug erfasst und zermalmt.

    1997: Locke ist ins Morddezernat befördert worden. Da kommt es zu einer neuen Todesserie, bei der die Taten auf die identische Art wie damals verübt werden. Während seiner Ermittlungen trifft Lockhart plötzlich erneut auf Rya, kann sie aber nicht dingfest machen. Ein Physiker (Rudi Dharmalingam) erklärt Locke, dass eine nur alle neun Jahre auftretende Mondkonstellation es der Killerin theoretisch ermöglichen könnte, rückwärts durch die Zeit zu reisen. Weil Locke im Gegensatz zu seinen Vorgesetzten nach anfänglicher Skepsis als Einziger der absurd klingenden Theorie glaubt, muss der längst von dem Fall besessene Cop auf eigene Faust nach einem Motiv für die Taten suchen und ihren Fortgang verhindern…

    Starker Einstieg ohne Worte

    Dass hinter der Serienkiller-Jagd ein Sci-Fi-Zeitreise-Plot steckt, deutet Jim Mickle schon früh an. Sein Film beginnt im Jahr 2024 mit einer langen Kamerafahrt durch ein menschenleeres Großraumbüro in einem Hochhaus. Erst nach ein paar Sekunden wird klar, dass irgendetwas vorgefallen sein muss. Es gibt offenbar keinen Strom, die Fenster im Hintergrund sind zerborsten. Dann liegt ein Stuhl umgekippt auf dem Boden und ein paar Zettel fliegen durch die Luft. Plötzlich sinkt draußen eine zerschlissene, angesengte US-Flagge gen Boden. Wo üblicherweise 50 Sterne prangen, sind nur fünf zu sehen. Nach einer Richtungsänderung der Kamera schauen wir runter auf die Straße: Ein paar Autowracks stehen herrenlos herum und an mehreren Stellen des gegenüberliegenden Wolkenkratzers steigen Flammen und Rauch auf.

    Der atmosphärische Score von Jeff Grace („Certain Women“), der diesen Moment begleitet, verheißt zusätzliches zu den dystopisch wirkenden Bildern nichts Gutes. Aber dieser nicht nur visuell fesselnde, komplett dialogfreie Einstieg ist noch lange nicht zu Ende. Bis das erste Wort fällt, dauert es satte fünf Minuten, während der wir auch noch die aufwendig, dramatisch und ganz schön blutig inszenierten Todesmomente eines Konzertpianisten, einer Linienbusfahrerin sowie eines Imbisskochs 36 Jahre zuvor erleben und gleichzeitig eine vermummte, junge Frau durch die nächtlichen Straßen rennen sehen.

    Was treibt die mysteriöse Killerin an?

    Auch danach lässt sich Jim Mickle angenehm viel Zeit, uns in die Welt des von Boyd Holbrook („Logan“, „Predator - Upgrade“) engagiert gespielten Officer Lockhart einzuführen. Wir lernen seine hochschwangere Frau (Rachel Keller, „Legion“), seinen Partner Officer Maddox (Bokeem Woodbine aus „The Rock - Fels der Entscheidung“) und vor allem natürlich seinen Schwager Holt, zu dem er anscheinend eine etwas angespannte Beziehung hat, kennen. Fahrzeuge, Kostüme, Innen- und Außenschauplätze (gedreht wurde im kanadischen Ontario) machen glaubhaft deutlich, dass wir uns längst nicht mehr in der Zukunft, sondern nun in den späten 1980ern befinden.

    Vor allem die starken Bilder von Kameramann David Lanzenberg („Für immer Adaline“) stechen wie schon in den Auftaktminuten direkt heraus – und zwar sowohl bei eleganten Panorama-Shots, einer Verfolgungsjagd zu Fuß oder der Konversation zweier Personen auf engstem Raum. Seine Bilder sind immer dynamisch, ohne dabei nervig hektisch zu werden. Gelegentlich scheint Regisseur Jim Mickle sogar ein wenig zu verliebt in Lanzenbergs Arbeit zu sein. In diesen Sequenzen kosten die Kamerafahrten dann unnötig Zeit und bremsen den Fortlauf der Handlung etwas aus.

    Am Ende wird Mickle zum Erklärbär

    „In The Shadow Of The Moon“ sieht nicht nur verdammt gut aus, sondern funktioniert auch über weite Strecken gut. Mickle erzählt die frühe Mörderinnenhatz im Stil eines klassischen Krimis mit dem vom Fall besessenen Cop spannend und effektiv – und ihm gelingt auch der Schwenk hin zum rasanten Sci-Fi-Thriller. Angenehm ist dabei, dass der Filmemacher lange Zeit nicht zu ausführlich erklärt. Er gibt dem Zuschauer im Anschluss an die Zeitsprünge immer gerade genug Informationen, damit dieser im Kopf selbst die neun Jahre großen Lücken (und die damit einhergehenden Veränderungen von Figuren und Situationen) ausfüllen kann.

    Es dürfte wenige Leser verwundern, dass ein so konstruierter Thriller auf einen besonderen Dreh im Finale zusteuert. Den löst Mickle per se gelungen (durchaus überraschend, plausibel, nachvollziehbar und befriedigend) und doch ist es die größte Schwäche des Films. So mitreißend der Einstieg war, so erstaunlich unspektakulär ist das Finale. Böse könnte man denken: Das Budget war auf aufgebraucht und nur noch Geld für eine „kleine Lösung“ vorhanden. Ärgerlich ist aber, dass es Mickle nicht bei seinem Finale belässt und einen Schnelldurchlauf diverser Situationen inklusive Voiceover noch dahinter klatscht. Es ist eine bisschen eine Unsitte im modernen Kino geworden, viel zu viel zu erklären (Christopher Nolan baut dafür sogar extra eine Figur in seine Filme ein) und auch hier dient der gesamte Epilog nur dazu, längst ausreichend Erklärtes noch einmal zu verdeutlichen. Das nimmt dem Twist einiges von seinem Charme.

    Fazit: Wer Filme wie „Inception“, „12 Monkeys“ oder speziell „Looper“ mag, kommt bei „In The Shadow Of The Moon“ auf seine Kosten. Die Klasse und Intensität dieser übergroßen Vorbilder erreicht er zwar nicht, aber Jim Mickle muss man weiter im Auge behalten.

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