Effektiver als jede "Keine Macht den Drogen"-Kampagne
Von Jochen WernerAlles beginnt in der Kunst. Brennende, wabernde Rotflächen, darüber die ersten Namen der Beteiligten im Vorspann, formen sich zu einem blutroten Bild. Ein Mund, weit aufgerissen und zum Schrei verzerrt. Immer weiter zurück fährt die Kamera, das Bild entpuppt sich als Gemälde, und das hängt in der Wohnung eines Drogendealers, in der Romain (Milton Riche) gerad eine Line zieht. Ein rotbraunes Pulver, anscheinend eine neue Superdroge. Entsprechend euphorisiert springt der junge Mann in sein Auto und braust von dannen, zwischen den Buchstaben des Filmtitels hindurch, die baumhoch die Landschaft überragen, während der Soundtrack pumpt und mit „Computerstaat“ von Abwärts einen deutschen Punkklassiker ertönen lässt. Allerdings nur ein paar Verse lang, denn viel Zeit lässt Regisseur David Moreau nicht, bevor er das Tempo von „MadS“ anzieht. Denn auf dem Weg gabelt Romain eine verletzte, derangierte Frau auf, die sich nicht recht verständlich machen kann.
Zumindest kann sie Romain begreiflich machen, dass ihr die Zunge herausgeschnitten wurde – und dass sie mit irgendetwas infiziert ist. Als ersten Reflex ruft Romain den Notruf an. Allerdings würde ihn dies, so high wie er ist, wohl selbst in massive Schwierigkeiten bringen, also nimmt er die Fremde kurzerhand mit, woraufhin sie kurze Zeit später blutspuckend auf seinem Beifahrersitz stirbt. Jedenfalls dem Augenschein nach, denn nachdem sich Romain das fremde Blut vom Körper geduscht hat, ist die Leiche verschwunden. Zum Suchen bleibt jedoch keine Zeit, denn Romain lässt sich stattdessen von ein paar aufdringlichen Freunden auf eine Party schleppen. „Keine Macht den Drogen“, denkt man sich da noch kurz, bevor die Eskalationsspirale dann so richtig anzieht. Denn während die offenbar doch noch lebendige Fremde daheim die Alarmanlage auslöst, scheint etwas Dunkles, Wildtierhaftes in Romain zunehmend die Kontrolle zu übernehmen…
Inhaltlich bietet das, was folgt, nichts wirklich Neues: „MadS“ ist im Grunde ein klassischer Epidemie-Horrorfilm, wie man ihn etwa aus dem Frühwerk von David Cronenberg („Rabid – Der brüllende Tod“) oder George A. Romero („Crazies“) kennt. Eine Art Wut-Virus reißt den Menschen in diesem Subgenre den Firnis der Zivilisation vom Leib. Ein klassischer Topos des modernen Horrorkinos also, den der französische Regisseur David Moreau – bekannt vor allem für seinen minimalistisch-effektiven Home-Invasion-Horrorfilm „Them“ (2006) – jedoch mit allerlei formalen und narrativen Kniffen ausschmückt. Das offensichtlichste inszenatorische Mittel ist der Umstand, dass „MadS“ als One-Take-Echtzeitfilm realisiert ist und über keine (sichtbaren) Schnitte verfügt.
Nun ist auch das gewiss keine neue filmische Strategie. Erstmals von Spannungskino-Großmeister Alfred Hitchcock in seinem Krimiklassiker „Cocktail für eine Leiche“ eingesetzt, gewann sie im Zeitalter des digitalen Kinos neue Popularität. So hielt sie für New French Extremism (Gaspar Noés „Climax“) ebenso her wie für Berliner Hipster-Genrekult (Sebastian Schippers „Victoria“). Wobei es wiederum Noé war, der sie bereits Jahre zuvor in „Irreversibel“ radikal zu Ende gedacht und buchstäblich zur Implosion gebracht hat, indem er die Illusionsmaschine des One-Take-Movies mit einem achronologischen Verfremdungseffekt verknüpft hat.
Hinter dieser Radikalisierung mussten sämtliche Folgefilme – von Noé selbst, aber auch von anderen, weniger intellektuellen Filmemachern – zwangsläufig zurückbleiben, aber das ist natürlich überhaupt nicht schlimm. Denn als Beglaubigungsstrategie insbesondere für das Horrorkino, das ja wie kaum ein anderes Genre auf eine gewisse suspension of disbelief angewiesen ist – also darauf, dass die Zuschauer anderthalb Kinostunden lang das Spiel mit den eigenen Urängsten für bare Münze nehmen – hat sie sich vielfach als hocheffektiv erwiesen. Zumindest dann, wenn sie gekonnt eingesetzt wird, und darauf versteht sich David Moreau durchaus.
Denn auch wenn er uns in „MadS“ eben vor allem bereits Bekanntes neu auftischt, funktioniert dieses Potpourri über weite Strecken doch ziemlich gut. Als Virusthriller an der Grenze zum Zombiefilm (von der niemand so recht weiß, wo genau sie verläuft), als hysterisch aufgeputschter Drogentripfilm – und schließlich ein bisschen auch als Konzepthorrorfilm, denn so richtig interessant wird „MadS“, als er etwa auf halber Strecke seinen zweiten, narrativen Kniff aufdeckt. Denn so wie sich das Virus von Wirt zu Wirt immer weiter überträgt, springt auch der Film schließlich von Protagonist zu Protagonistin und löst dabei die anfangs scheinbar einigermaßen subjektive Erzählperspektive in einer Multiperspektivität auf, während bisherige Protagonisten kaltschnäuzig im Off aus dem Weg geräumt werden.
Einen Maßstab für das jüngere Epidemiehorrorkino hat sicherlich der ultrablutige, hypersexualisierte Splatterfilm „The Sadness“ aus Taiwan gesetzt, und entsprechend muss an dieser Stelle wohl noch erwähnt werden, dass „MadS“ dezidiert nicht versucht, an dessen Exzesse anzuknüpfen. Tatsächlich ist das, was man hier explizit zu sehen bekommt, gar nicht einmal so arg blutig. Das mag einerseits am mutmaßlich recht geringen Budget liegen, andererseits interessiert sich Regisseur Moreau aber augenscheinlich auch einfach für andere Aspekte des Stoffs, und „unblutig“ ist hier keineswegs automatisch gleichzusetzen mit „harmlos“. Denn intensiv, konsequent und weitgehend atemlos ist „MadS“ durchaus, und auch im wohlvertrauten narrativen Rahmen findet er hier und da eine originelle Einstellung, die man so noch nicht gesehen hat.
Fazit: David Moreaus „MadS“ ist im Grunde ein klassischer Epidemie-Horrorfilm, erzählt mittels des narrativen Gimmicks der (scheinbar) in einem einzigen Take aufgenommenen Echtzeit-Erzählung. Etwas ganz Neues oder Originelles sollte man also hier nicht erwarten – was aber keineswegs davon abhalten sollte, diesen atemlosen und gut inszenierten Film anzuschauen. Denn als knapp anderthalbstündiger, drogeninduzierter Kinohorrortrip überzeugt „MadS“ auf jeden Fall.