Entlarvung eines Kinomythos
Von Christoph PetersenIhr bester und bekanntester Film, „Wendy And Lucy“ (2008), zeigt die von ihr gern besetzte Michelle Williams 80 Minuten auf der verzweifelten Suche nach ihrem entlaufenen Hund im Südwesten der USA. Da ließ es natürlich aufhorchen, als im Vorfeld des Cannes-Festivals bekannt wurde, dass es sich beim neuen Werk von Kelly Reichhardt ausgerechnet um einen Heistfilm handeln soll. Aber Pustekuchen! Die „Certain Women“-Regisseurin liefert – trotz des Titels „The Mastermind“ – selbstverständlich nicht plötzlich einen „Ocean’s 14“. Stattdessen entpuppt sich ihr Film als gleichermaßen zärtliche wie erbarmungslose Entlarvung eines der ur-männlichen Leinwandmythen: nämlich des strippenziehenden Genies, das seinen Gegenspielern immer einen Schritt voraus ist.
Der allgemeine Geniekult ist schon seit einigen Jahren zunehmend unter Feuer geraten. Aber jetzt geht es ihm auch im Kino an den Kragen: Von Steve McQueen in „Thomas Crown ist nicht zu fassen“ bis zu George Clooney in der „Ocean’s“-Trilogie gibt es zahllose solche Meisterplaner, die beim Ausbaldowern ihrer aufwändigen Heists stets jede noch so kleine Eventualität einkalkulieren. Auch James Blaine Mooney (Josh O'Connor), die Titelfigur aus „The Mastermind“, denkt weiter als die Sicherheitsleute des örtlichen Museums in der etwa 30 Kilometer westlich von Boston gelegenen Kleinstadt Framingham. Aber das liegt wohl vor allem daran, dass niemand damit rechnet, dass jemand die Bilder stehlen könnte. Einer der beiden Wachmänner schläft jedenfalls den ganzen Tag lang auf seinem Stuhl in der Ecke.
Auch das alte Ehepaar, das während des Diebstahls der vier impressionistischen Gemälde in den Saal kommt, hält die zwei Männer mit Strumpfhosen über dem Kopf ganz selbstverständlich für Museumsangestellte. Wahrscheinlich hätte der Heist reibungsloser funktioniert, wenn man einfach – ganz ohne Plan – hineingegangen und mit den Kunstwerken wieder hinausmarschiert wäre. Aber vermutlich geht es James, Sohn eines Richters und selbst erfolgloser Schreiner, gar nicht vornehmlich ums Gelingen. Stattdessen spielt Nervenkitzel wohl eine gewisse Rolle: Im Jahre 1970 toben im ganzen Land die Studentenproteste, nur in Framingham ist nichts los. Oder es geht dem Vater zweier Söhne sogar ganz bewusst um die Zerstörung der eigenen Existenz, selbst wenn es dafür keinen offensichtlichen Grund gibt, schließlich scheint James glücklich mit seiner Frau Terri (Alana Haim) verheiratet zu sein.
Während seine Komplizen grobschlächtig mit der Beute umgehen, wirkt jeder Handgriff von James sorgsam und kontrolliert – und dennoch dauert es ewig, bis er die Kiste auf den Heuboden gehievt hat, woraufhin er auch noch versehentlich die Leiter mit den Füßen umstößt. Unter einem Mastermind würde man sich eigentlich etwas anderes vorstellen. Und trotzdem sind uns als Publikum über die Jahrzehnte so sehr die Regeln des Genres eingetrichtert worden, dass wir – entgegen aller Indizien – unverdrossen weiter auf die große Auflösung warten, dass all die Rückschläge natürlich einkalkuliert waren. Immerhin scheint sich James seiner Sache so ungeheuer sicher zu sein, dass er sogar seine Söhne mit zum Heist-Treffpunkt bringt, als er beim Abliefern an der Schule feststellt, dass diese ausgerechnet heute geschlossen bleibt.
Masterminds sind in der Regel auch Frauenhelden – und dass Josh O’Connor zu den heißesten Schauspielern seiner Generation zählt, würde wohl spätestens seit „Challengers – Rivalen“ niemand mehr ernsthaft bestreiten. Trotzdem sind es die Frauen, die den Titel-„Helden“ als Erstes durchschauen: Als er auf der Flucht bei seinem alten Schulfreund Fred (John Magaro) unterkommt, bewundert ihn dieser regelrecht dafür, dass es James auf die Titelseiten der Zeitungen gebracht hat, selbst wenn es darum geht, dass er wegen eines Kunstdiebstahls gesucht wird. Freds Frau Maude (Gaby Hoffmann) macht sich hingegen überhaupt keine Illusionen und schmeißt den Hausgast irgendwann einfach raus. Selbst seine eigene Ehefrau knallt irgendwann nur noch den Hörer auf, als ihr James erklärt, dass er das doch alles zu drei Vierteln nur für sie und die Kinder getan hätte.
Trotzdem wirkt das alles nicht parodistisch oder gar hämisch, das hätte zu einer der größten Humanistinnen des Gegenwartskinos auch gar nicht gepasst. Kelly Reichardt stutzt die Figur des Masterminds nicht zusammen, um anschließend von oben auf sie herabzublicken. Stattdessen stutzt sie sie zusammen, um ihr anschließend voller Empathie, aber ohne falsch verstandenes Mitleid auf Augenhöhe zu begegnen, wie sie es in ihrer Karriere schon mit so vielen anderen verlorenen Seelen getan hat.
Fazit: Wer die Filme von Kelly Reichardt kennt, der weiß, wie sensibel und mitfühlend ihre – oft von sozialen Außenseiter*innen handelnden – Filme sind. Nun nutzt die Indie-Ikone ihre ganze Zärtlichkeit und Empathie, um einen der langlebigsten Kinomythen unangespitzt in den Boden zu rammen. Wir sind gespannt, ob man Thomas Crown, Danny Ocean & Co. nach dem mehr tragischen als komischen „The Mastermind“ noch immer mit denselben Augen sehen wird.
Wir haben „The Mastermind“ beim Cannes Filmfestival 2025 gesehen, wo er als Teil des offiziellen Wettbewerbs seine Weltpremiere gefeiert hat.