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    Eat Drink Man Woman
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Eat Drink Man Woman
    Von Andreas Staben

    Bei der Berlinale gibt es seit einigen Jahren die Sektion „Kulinarisches Kino“, in der die Vorführung von Filmen rund um die Themen Essen und Kochen mit einem anschließenden Gourmet-Menü abgerundet wird. Das programmatisch betitelte Familiendrama „Eat Drink Man Woman“ aus Taiwan war bisher noch nicht dabei, aber es wäre eine perfekte Wahl, denn kaum ein Film ist so appetitanregend wie dieser. Gleich drei Meisterköche wurden engagiert, die Hunderte von traditionellen Gaumenfreuden zubereiteten. Deren Präsentation auf der Leinwand kann es mit den teuersten visuellen Effekten aufnehmen, die verlockend angerichteten Köstlichkeiten sind ein Augenschmaus, der das Wasser im Munde zusammenlaufen lässt. Geschickt arrangiert der spätere Oscarpreisträger Ang Lee (Der Eissturm, Brokeback Mountain) seine Handlung um diese Attraktion herum und ähnlich wie ein Koch, der in einer Menüfolge Scharfes und Süßes, Warmes und Kaltes harmonisch vereint, hält er Ernst und Humor im Gleichgewicht, um einfühlsam von den Konflikten zwischen den Generationen und von menschlichen Grundbedürfnissen zu erzählen.

    Der verwitwete Chu (Sihung Lung) gilt als bester Koch in Taipeh. Er hat sich aus dem täglichen Restaurantbetrieb zurückgezogen, aber oft wird er noch als Retter im kulinarischen Notfall herbeigerufen. Für seine drei erwachsenen Töchter, die alle noch bei ihm zu Hause wohnen, kocht er jeden Sonntag ein prächtiges Familienessen. Die Kinder wissen seine Künste aber nur wenig zu schätzen und sehen das gemeinsame Mahl als lästigen Pflichttermin an. Die unterschwelligen Spannungen sind kaum noch zu zügeln, als die mittlere Tochter Chien (Chien-lien Wu) verkündet, dass sie sich von ihren Ersparnissen eine Wohnung gekauft hat und umziehen will. Aber nicht nur im Leben der erfolgreichen Managerin bahnen sich Veränderungen an, auch bei ihren Schwestern tut sich etwas. Das Nesthäkchen Ning (Yu Wen Wang) verliebt sich in den Freund ihrer besten Freundin und die verschlossene Jen (Kuei Mei Yang), eine Chemielehrerin, interessiert sich für den neuen Volleyballtrainer an ihrer Schule. Für die größte Überraschung sorgt aber schließlich Vater Chu selbst...

    „Eat Drink Man Woman“ ist der Abschluss der vom Regisseur ironisch selbst so bezeichneten „Father Knows Best“-Trilogie, die deutlich von autobiographischen Bezügen geprägt ist. Ang Lee, der 1954 als Sohn chinesischer Festlandsflüchtlinge in Taiwan geboren wurde und als junger Mann in die USA gekommen ist, um dort Theater und Film zu studieren, kennt den schwierigen Spagat zwischen Asien und Amerika, Alt und Jung, Tradition und Moderne, der zur Triebfeder seiner ersten Filme werden sollte, aus eigenem Erleben. Bereits im noch etwas akademisch geratenen Spielfilmdebüt „Schiebende Hände“ geht es um die Gegensätze zwischen östlichen und westlichen Denk- und Lebensweisen. Mit dem zweiten Film „Das Hochzeitsbankett“, in dem Lee mit viel Humor die Probleme eines jungen Mannes in Manhattan schildert, dessen Eltern im fernen Taiwan nichts von seiner Homosexualität ahnen und ihn unbedingt verheiraten wollen, wird der Regisseur dann international bekannt. Er gewinnt in Berlin den Goldenen Bären und erhält in Hollywood Nominierungen für den Oscar und den Golden Globe.

    Zum Abschluß der Trilogie dreht Lee erstmals in Taiwan, aber auch in „Eat Drink Man Woman“ ist die westliche Alternative stets präsent und in einem der zentralen Handlungsstränge muss Chien sich entscheiden, ob sie die Gelegenheit wahrnimmt, einen lukrativen Job in Amsterdam anzunehmen oder ob sie in der Heimat bleibt und sich um den Vater kümmert. Chien-lien Wu glänzt als hin- und hergerissene Tochter und Schauspielveteran Sihung Lung, der in allen Teilen der Trilogie in der zentralen Vaterrolle zu sehen ist, verleiht dem stillen Chu, der außerhalb der Küche manchmal etwas verloren wirkt und selbst bei schwindendem Geschmackssinn kaum etwas anderes im Sinn hat als Mahlzeiten zuzubereiten, subtil Tiefe. Die Schwierigkeiten der individuellen Entscheidungsfindung sind hier erstmals stärker psychologisch ausdifferenziert, davon profitieren auch die anderen Hauptfiguren. So lässt sich allenfalls einwenden, dass etwa die Nebenfigur des Muttermonsters aus dem Nachbarhaus nur ein eindimensionales Schreckgespenst ist, aber dies ist ein klares komödiantisches Kalkül und wenn am Ende die Welt der ahnungslosen Frau Liang (Ah-leh Gua) mit einem Schlag zusammenbricht, dann liegt ein Hauch von Schadenfreude in der Luft.

    Ang Lee verbindet in seinen Filmen stets Zurückhaltung und Genauigkeit, der Verzicht auf Effekthascherei geht mit großer Erzählökonomie einher. Dazu gehört auch, dass sich der Regisseur mit einem Stamm langjähriger Mitstreiter umgibt, von denen neben dem Co-Autor und Produktionspartner James Schamus hier vor allem der Cutter Tim Squyres (Rachels Hochzeit, Gosford Park) hervorzuheben ist, der - obwohl er kein Chinesisch versteht - mit seinem Gespür für Timing und Struktur einen entscheidenden Beitrag leistet. Ein Musterbeispiel dafür ist bereits die Eröffnungssequenz, die den Meisterkoch Chu bei der Arbeit zeigt. Er schneidet, hackt und knetet, er hantiert mit scheinbar unzähligen Töpfen, Pfannen, Messern und mit oft noch lebendem Getier. Wir sehen einen Profi in seinem Element, keine Geste ist zu viel. Auch Lee braucht nichts zu unterstreichen und doch hat er bereits wesentliche Eigenschaften seines Protagonisten aufgezeigt. Die Einführung der Töchter ist ähnlich präzise auf den Punkt gebracht. Die Christin Jen hört im Bus geistliche Musik und kapselt sich von der Außenwelt ab, während Chien in ihrem Büroturm vor dem Computer sitzt und Statistiken studiert. Ning wiederum arbeitet in einem Schnellrestaurant und mit der Einstellung auf das zischende Frittierfett in der Burgerbude hat Lee endgültig seine zentralen Themen etabliert.

    Der offensichtliche Gegensatz von traditioneller Kochkunst und hektisch bereitetem Fastfood wird zum symbolischen Ausdruck veränderter Lebensgewohnheiten. Vor dem Hintergrund des Wandels sieht Lee aber stets auch das Verbindende. Indem er die so unterschiedlichen Alltagswelten seiner Protagonisten zunächst in sehr kurzen vignettenhaften Sequenzen nebeneinander stellt, werden schnell gemeinsame Sehnsüchte spür- und sichtbar. Bei der Zusammenkunft zum sonntäglichen Essen zeigt Lee hinter der Fassade des Rituals eine ganze Welt unterdrückter Gefühle und unausgesprochener Wünsche. Lee hat hier endgültig zu einer individuellen und zugleich universell verständlichen Erzählweise gefunden und konnte nun mit fast gleichbleibendem künstlerischen Erfolg die verschiedensten Genres und Kulturen erforschen – auf „Eat Drink Man Woman“, für den er das zweite Mal in Folge eine Oscarnominierung für Taiwan errang, ließ Lee die Jane-Austen-Verfilmung Sinn und Sinnlichkeit folgen. Die Kluft zwischen Vernunft und Gefühl, zwischen Pflicht und Neigung ist der rote Faden in einer einmalig abwechslungsreichen Karriere, in der „Eat Drink Man Woman“ trotz Welterfolgen wie Tiger & Dragon, Hulk und Brokeback Mountain immer der kulinarische Höhepunkt bleiben dürfte.

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