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    Wilde Salome
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Wilde Salome
    Von Andreas Staben

    Oscar Wilde hätte sicherlich ein oder zwei seiner berühmten Bonmots parat, wenn er sehen könnte, wie engagiert und egomanisch Al Pacino ihm mit seinem Doku-Drama „Wilde Salome" huldigt. Die erst zweite Kinoregiearbeit des Starschauspielers (nach der vergleichbar angelegten Shakespeare-Dokumentation „Looking For Richard") ist ein Werk von geradezu absurder Ambition: Pacino kombiniert Elemente einer Künstler-Doku über Oscar Wilde mit dem Blick hinter die Kulissen einer Bühnenproduktion von dessen Einakter „Salome", den er wiederum auf einer weiteren Ebene kinogerecht aufbereitet. Doch damit nicht genug, denn „Wilde Salome" ist zugleich auch noch ein Meta-Film über die Entstehung dieses komplexen und etwas überfrachteten Projekts. Im Mittelpunkt steht dabei vor allem einer: Al Pacino selbst. Und so ist die Oscar-Wilde-Hommage mindestens genauso sehr eine Pacino-Show, deren heimlicher Star allerdings jemand ganz anderes ist: Jessica Chastain („The Tree of Life"), die als Salome eine elektrisierende Darstellung zeigt und ihrem berühmten, hier mitunter allzu selbstverliebt auftretendem Co-Star, die Schau stiehlt.

    Trotz der verschachtelten Erzählweise des Films steht Oscar Wildes „Salome" im Zentrum von Pacinos Werk. In dem 1893 erstmals veröffentlichten Einakter geht es um die aus dem Neuen Testament bekannte Episode am Hofe des König Herodes (Al Pacino), der seine Stieftochter Salome (Jessica Chastain) für sich tanzen lässt und ihr als Gegenleistung einen beliebigen Wunsch erfüllen will. Dieses Versprechen bereut er bitter, als die Tochter seiner Frau Herodia (Roxanne Hart) nach ihrer ekstatischen Darbietung den Kopf des inhaftierten Propheten Iokanaan (Kevin Anderson) verlangt. Der Gefangene – besser als Johannes, der Täufer bekannt – hatte Salome zuvor abblitzen lassen. Neben einer szenischen Lesung arbeiten die Schauspieler auch an einer Filmversion des Stücks.

    Al Pacino war dem großen Auftritt nie abgeneigt und ist bekannt dafür, dass er dem Affen gern mal gehörig Zucker gibt. Legendäre Bravourstücke wie seine Darstellung des manischen Gangsters Tony Mantana in „Scarface" oder sein genüsslich-diabolischer Auftritt in „Im Auftrag des Teufels" zeigen nicht nur sein einmaliges Talent und Charisma, sondern in ihnen blitzt auch eine ordentliche Prise Selbstverliebtheit auf, wie sie vielen großen Künstlern eigen ist. In „Wilde Salome" hat dieser unübersehbare Touch Eitelkeit zwiespältige Auswirkungen: Ohne Pacinos ehrliche Begeisterung für Oscar Wilde und sein Werk wäre der Film gar nicht erst entstanden, aber sie ist es auch, die den Regisseur, Produzent und Hauptdarsteller gelegentlich über das Ziel hinausschießen lässt. So lässt sich die Notwendigkeit eines Ausflugs des drollig kostümierten Pacino in die Wüste samt „Salome"-Szenen in vorgeblich historisch akkurater Umgebung nur schwer nachvollziehen.

    Das Anliegen, die Person und das Wirken Oscar Wildes einem literarisch nicht bewanderten Publikum nahezubringen, lässt den Filmemacher zudem nicht sehr ergiebige Reisen zu dessen Lebensstationen in Dublin, London und Paris unternehmen - uns wird davon vor allem Pacino beim Autogrammeschreiben und Pacino beim Rumalbern mit Museumsgästen gezeigt. Natürlich lässt es sich der umtriebige Al auch nicht nehmen, persönlich in das Kostüm des bewunderten Autors zu schlüpfen („Einer muss es ja tun", kokettiert Pacino), aber als Oscar Wilde ist er anders als etwa Stephen Fry eine Fehlbesetzung. Das fällt jedoch kaum ins Gewicht, weil die Spielszenen rein illustrativ sind. Interessante Aussagen zu Wilde sowie zu seiner Stellung in Literatur und Gesellschaft treffen da schon eher die Autoren Tom Stoppard („Shakespeare in Love"), Tony Kushner („München") und Gore Vidal („Der Kandidat"), die Pacino in bester Schulfernsehmanier befragt und gefilmt hat. Dass er zusätzlich allerdings neben Wilde-Nachfahren auch noch den U2-Sänger Bono interviewt, kann wiederum nur mit der Dankbarkeit für das Überlassen des Songs „Salome", der im Abspann erklingt, erklärt werden.

    Das Kernstück von „Wilde Salome" sind aber weder die Nachhilfeschnipsel in Sachen Oscar Wilde noch die Kapriolen des Al Pacino. Was hier von der Kinoversion von „Salome" zu sehen ist, hinterlässt auch in Auszügen den mit Abstand stärksten Eindruck aller Elemente des Films. Hier sind Pacinos darstellerische Manierismen entschieden besser aufgehoben, dazu lässt Roxanne Hart („Highlander") die Wallungen einer gedemütigten, eifer- und rachsüchtigen Königin ahnen. Und wenn Jessica Chastain wie auf Knopfdruck von „verführerisch-lasziv" auf „trotzig-unschuldig" umschaltet und die Register dann zusammenfallen lässt, ist das nichts anderes als eine der denkwürdigsten Interpretationen einer der berühmtesten Femmes fatales der Geschichte. Während ihres von Kameramann Benoît Delhomme („Zimmer 1408") in dramatisches rotes Licht getauchten Schleiertanzes erreicht Pacinos Film durchaus die Intensität von Richard Strauss‘ berühmter Oper zum gleichen Stoff. Laut eigener Aussage arbeitet Pacino gerade am Schnitt einer vollständigen Filmfassung - es bleibt zu hoffen, dass diese „Salome" auch tatsächlich veröffentlicht wird.

    Fazit: Al Pacino hat eine hochspannende Filmversion von Oscar Wildes „Salome" mit einer überragenden Jessica Chastain in der Titelrolle gedreht. Leider präsentiert er uns diese Interpretation nur in Auszügen und bettet sie in weit weniger spannende dokumentarische Szenen über die Hintergründe der Produktion, des Stücks und des Autors ein.

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