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    Unstoppable - Außer Kontrolle
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Unstoppable - Außer Kontrolle
    Von Carsten Baumgardt

    Tony Scott ist ein Regisseur, der mit Vorliebe Kintopp in Reinkultur zelebriert – Hauptsache, die Bilder sehen schick aus und sind cool geschnitten. Auf den ersten Blick ist sein Action-Thriller „Unstoppable - Außer Kontrolle" ein Paradebeispiel dieser Gattung. Die Geschichte ist so unglaublich, dass sie sich eigentlich nur jemand aus Hollywood ausgedacht haben kann. Doch das Merkwürdige: Der Film basiert tatsächlich auf einer wahren Begebenheit aus dem Jahr 2001, als im US-Bundesstaat Ohio ein mit Chemikalien beladener Geisterzug auf eine Stadt zuraste. Tony Scott dramatisiert den Plot geschickt zu einer atemberaubenden Achterbahnfahrt, die über weite Strecken selbst mit Jan de Bonts Genre-Meisterwerk „Speed" konkurrieren kann.

    Stanton, Pennsylvania: Der junge Will Colson (Chris Pine) wird von seinen neuen Kollegen nicht gerade begeistert willkommen geheißen. Die Eisenbahngesellschaft will Kosten sparen und ersetzt die alten Haudegen durch billigeres frisches Blut. Nach vier Monaten Ausbildung tritt Colson seinen ersten Dienst als Lokführer an – unter der Anleitung des erfahrenen Bahner-Urgesteins Frank Barnes (Denzel Washington). Der fordert den Frischling gleich heraus und lässt Strenge walten. Das verbessert Colsons Laune nicht gerade, denn seine Ehe mit Darcy (Jessy Schram) geht gerade in die Brüche. 200 Meilen weiter - am Fuller Yard, ebenfalls in Pennsylvania – setzt ein schusseliger Rangierarbeiter (Ethan Suplee) durch seine Dickfälligkeit eine beispiellose Kettenreaktion in Gang. Aus Bequemlichkeit verlässt er bei langsamer Fahrt kurz seinen umzurangierenden Zug, um eine Weiche per Hand umzusetzen. Doch dann gerät die Situation außer Kontrolle. Der Gashebel springt auf „volle Fahrt" und das Gleis hat der Arbeiter auch nicht umgelegt bekommen. Ein Versuch, seinen entwischten Geisterzug noch zu erreichen, schlägt fehl. Führerlos nimmt die Lok mit 39 Waggons Tempo auf. Rangiermeisterin Connie Hooper (Rosario Dawson) versucht, die Katastrophe zu verhindern. Sie schickt Schweißer Ned (Lew Temple) los, eine Weiche zu verstellen, um den Zug auf ein Nebengleis zu verfrachten. Doch schon bald rücken Will Colson und Frank Barnes in den Mittelpunkt, als ihre Bahn den Geisterzug zu rammen droht...

    Und noch einmal Züge... Nachdem Tony Scott mit dem Action-Remake „Die Entführung der U-Bahn Pelham 1 2 3" inhaltlich wie auch kommerziell hinter den Erwartungen zurück blieb, legt der ehemalige Werbefilmer den Hebel auf Vollgas um. Der Film hat alle Zutaten des amerikanischen (Action-)Traums. „Unstoppable" ist eine hemdsärmelige Heldengeschichte des Blue Collar America, wo Männer noch echte Männer sind und das tun, was zu tun ist, wenn Gefahr in Verzug ist. Dabei wirkt die Handlung ziemlich haarsträubend. Aber selbst wenn die Geschichte nicht in der Realität verortet wäre, würden sich die zahlreichen Klischees auch nicht sonderlich negativ bemerkbar machen, weil Tony Scott hier – trotz „based on a true story" - Genrekino aus dem Lehrbuch praktiziert. Das verhehlt der Brite auch nicht. Alles, was in „Unstoppable" geschieht, untersteht der Hauptdirektive des Films: Spannung und Nervenkitzel erzeugen! Die Inszenierung Tony Scotts ist das absolute Glanzstück des Werks. „Unstoppable" ist so physisch, wie es schon lange kein Film mehr war. Die schweren Maschinen entwickeln so etwas wie ein Eigenleben, wenn das tonnenschwere Gerät mit atmosphärischem Knarzen die Tonspur zudröhnt. Inszenatorisch hält der filigrane Scott seinen hohen Standard und verdichtet seine Bahnhatz in hochglänzenden, aber trotzdem rau wirkenden Bildern zu einem Filmexpress. Die ständig präsenten TV-Monitore nutzt der Regisseur als konsequentes Gestaltungsmittel, das sich nahtlos mit seinem Stil der schnellen Schnitte verbindet.

    Ein Tag, zwei Stunden. Mehr als diese komprimierte Beinahe-Echtzeit braucht „Unstoppable" nicht, um den Adrenalinpegel des Publikums an den Anschlag zu bewegen. Scott springt gleich mitten rein, seine Figuren bekommen eine kurze Einführung mit den wichtigsten Charaktereigenschaften, dann setzt sich der Stahlkoloss in Bewegung und bestimmt fortan das rasende Tempo. Genau wie „Speed" legt „Unstoppable" - erst einmal in Schwung - keinen Zwischenhalt mehr ein. Innerhalb dieses Prozesses der ständigen Bewegung setzt Tony Scott Highlights, in denen er Situationen auf die Spitze treibt, Züge aufeinander zurasen lässt und die Zuschauer in die Sitze presst. Was den Action-Thriller so großartig macht, ist seine Schlagzahl. Tony Scott gibt keinen Zentimeter nach und schafft so einen außergewöhnlichen Moment nach dem anderen. „Unstoppable" funktioniert aber erstaunlicherweise nicht nur auf physischer Ebene, sondern auch auf eine simple Art emotional, obwohl die Zeichnung der Charaktere höchstens holzschnittartig angelegt ist und auf bekannte Allgemeinplätze und Mechanismen zurückgreift. Frank Barnes und seine beiden Töchter (Elizabeth Mathis, Meagan Tandy) haben ebenso ihre Probleme wie Will Colson und seine Frau Darcy, aber das Ereignis schweißt nicht nur sie zusammen, sondern auch die Bevölkerung, die via permanenter TV-Berichterstattung teilnimmt. Das erzeugt einen ähnlichen Effekt wie bei der Bergbau-Katastrophe in Chile, wo Millionen Menschen rund um den Erdball monatelang um das Leben der Kumpel mitfieberten.

    Gelegentlich schleicht sich der Verdacht ein, „Unstoppable" sei nur formal aus dem Wilden Westen in die Jetztzeit verlegt. Die Bahner reiten ihre Züge wie Cowboys, setzen ihr Leben aufs Spiel, um die Lorbeeren als Held des Tages zu kassieren - egal, ob tot oder lebendig. Einen handelsüblichen Bösewicht fährt die Produktion nicht auf, diesen Part übernimmt die drohende Explosion der Chemikalien. Am Rande zündet die Bahngesellschaft durch ihre Profitgier einige Störfeuer, aber dieser Aspekt ist mit fortlaufender Handlung zu vernachlässigen.

    Die Konstruktion des Films limitiert die Möglichkeiten der Schauspieler naturgemäß. Aber das Ensemble weicht nicht zurück. Das Hauptdarstellertrio Denzel Washington („Déjà Vu", „Die Entführung der U-Bahn Pelham 123"), Chris Pine („Star Trek - Die Zukunft hat begonnen", „Carriers") und Rosario Dawson („Percy Jackson", „Sieben Leben") arbeitet effektiv daran, „Unstoppable" als Sympathieträger zu führen. Mit Lew Temple („Halloween", „Texas Chainsaw Massacre: The Beginning") etabliert Tony Scott zudem noch einen echten Szenendieb. Als kerniger Bahnschweißer Ned spielt er als Sidekick eine entscheidende Rolle. Er donnert mit seinem Pick-Up-Truck neben der Bahnstrecke entlang, um Frank Barnes und Will Colson den Rücken freizuhalten. Das allgegenwärtige Motiv des Working-Class-Heroes kulminiert in dieser Figur.

    Fazit: „Speed" auf Schienen - „Unstoppable – Außer Kontrolle" ist Tony Scott in Hochform. Der Bildvirtuose schafft nicht nur eine Ode an die amerikanische Arbeiterklasse, sondern auch einen unglaublich effektiven, mitreißenden Actioner, der aus purer Bewegungsenergie zu bestehen scheint.

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