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    Ich und Kaminski
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Ich und Kaminski
    Von Carsten Baumgardt

    „Das Leben ahmt die Kunst weit mehr nach als die Kunst das Leben“ – diese Behauptung stellte der für seine Bonmots berühmte irische Schriftsteller Oscar Wilde einst auf. Ob er damit richtig liegt, bleibt natürlich Ansichtssache, die Frage aber, wer nun wen imitiert: die Kunst das Leben oder doch eher das Leben die Kunst, ist zeitlos reizvoll. In Wolfgang Beckers tragikomischer Kunstwelt-Satire „Ich und Kaminski“ nach dem gleichnamigen Roman von Daniel Kehlmann („Die Vermessung der Welt“) verschwimmen die beiden Ebenen nun so sehr, dass die Entscheidung unmöglich scheint - vielleicht die beste Antwort, die es auf diese Frage gibt. Sie ist jedenfalls ziemlich sicher im Sinne des Vorlagenautors, der sich in seinem Werk immer wieder an dem vertrackten Verhältnis von Leben und Kunst, Realität und Fiktion abarbeitet. Auch in Beckers megaerfolgreichem Ostalgie-Trip „Good Bye, Lenin!“ war dies schon ein großes Thema, aber anders als dort verweigert der Regisseur seinem Publikum dieses Mal barsch einen Sympathieträger. So kommt seine bissig-strenge Verfilmung von Kehlmanns erstem großen Erfolgsbuch erst mit Verspätung in Schwung und entwickelt sich dann zu einem süffisant-ironischen Schlagabtausch mit intelligenten kleinen Spitzen.

    Der ehrgeizige Kunsthistoriker und Journalist Sebastian Zöllner (Daniel Brühl) wartet immer noch auf den Karrieredurchbruch und schlägt sich mit Gelegenheitsarbeiten durch. Doch dann wittert er seine große Chance: Er will eine Biografie des blinden Malers Manuel Kaminski (Jesper Christensen) verfassen. Der war einst Zögling von Picasso und Matisse, aber inzwischen ist sein Weltruhm längst verblasst. Zöllner will den Künstler aus der Vergessenheit reißen, doch die Zeit drängt, Kaminski ist hochbetagt. Also lädt der Journalist, der berechtigte Zweifel an der Blindheit des Malers hegt, sich kurzerhand selbst zur Recherche bei Kaminski ein, der sich in einem abgelegenen Chalet in den Alpen verschanzt hat. Zunächst kommt Zöllner allerdings nicht an Kaminskis fürsorglicher und kontrollsüchtiger Tochter Miriam (Amira Casar) vorbei…

    Auf „Das Leben ist eine Baustelle“ von 1997 ließ Regisseur Wolfgang Becker in 18 Jahren nur „Good Bye, Lenin“ und einige Kurzfilme folgen, aber die lange Pause ist ihm nicht anzumerken: Gleich zu Beginn schlägt er mit einem spitzbübisch montierten Mockumentary-Segment zielstrebig einen satirisch-abgehobenen Erzählton an. Und ganz bewusst präsentiert er uns einen schwierigen Protagonisten: Dieser Sebastian Zöllner trägt ein riesiges Ego vor sich her, ist ein Vollblut-Zyniker und Kotzbrocken, zudem lässt er kein Fettnäpfchen aus. Das wird soweit überdreht, dass die Figur die Grenze zur Karikatur bisweilen deutlich überschreitet: Wenn Zöllner immer wieder in absurdeste Situationen gerät, höhnisch die Gäste einer Party bei Kaminski beleidigt, peinlich wildpinkelt oder beim Anstieg zum Berg-Domizil des Malers slapstickartig ins Straucheln gerät, wähnt man sich als Betrachter zuweilen in einem grotesken Fiebertraum. Erst als die beiden Hauptfiguren sich notgedrungen näherkommen, weil Zöllner Kaminski kurzerhand kidnappt, um ihn mit seiner totgeglaubten Muse Therese (Geraldine Chaplin) zusammenzubringen, bekommt der Film nicht nur eine andere Note, sondern erwacht abseits der spleenigen Exzesse auch zu tatsächlichem Leben.

    Es ist Kaminski, der Zöllner schließlich zwingt, sich selbst und seine Lebenslügen zu reflektieren. Bald ist keine Spur mehr von der Karikatur zu sehen, stattdessen gesellen sich zu Witz und Komik plötzlich Melancholie und Tiefsinn. Der arrogante Idiot Zöllner des Beginns wird demaskiert und zugleich zum Menschen. Dass die Gratwanderung schließlich doch gelingt ist nicht zuletzt Daniel Brühl („Rush“, „Inside WikiLeaks“) zu verdanken. Der Star gibt mit langen Haaren und Bart zunächst genüsslich den eingebildeten, oberflächlichen Widerling, der Kaminski lieber tot als lebendig sehen würde, nur um sein Buch besser zu verkaufen. Er bewegt sich dabei nah am Overacting, überschreitet die Linie aber nicht und so gelingt auch die Wende zum moralischen Finale überzeugend, auf dem Weg dahin teilt Brühl humorvolle Momente mit Jesper Christensen („Spectre“, „Nymphomaniac“). Der offenbart unter der rauen Schale des passiven und abweisenden Kauzes Kaminski in der Zwangssituation der Entführung einen gerissenen Menschenkenner. Am Wegesrand sorgen dazu einige Gastauftritte für Laune, der kultige Josef Hader („Das ewige Leben“) grantelt als Bahn-Mitarbeiter und „Schattenmann“ Stefan Kurt darf als gelackter Kunstinsider affektiert schleimen.

    Fazit: In seiner humorvollen Satire „Ich und Kaminski“ seziert Wolfgang Becker ironisch die Kunstszene, um am Ende zu universellen Einsichten zu gelangen.

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