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    In Berlin
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    In Berlin
    Von Jonas Reinartz

    Michael Ballhaus ist ein freundlicher Mensch. Wer ihn jemals in einem Fernsehinterview gesehen hat, versteht, warum Deutschlands bekanntester Kameramann, der vor allem durch seine Zusammenarbeit mit Martin Scorsese (GoodFellas, Gangs Of New York) und Rainer Werner Fassbinder (Martha, Die Ehe der Maria Braun) Berühmtheit erlangte, auch mit als schwierig geltenden Regisseuren stets bestens auskam. Den als chronischen Morgenmuffel bekannten Scorsese riss Ballhaus mit viel guter Laune und Enthusiasmus einfach mit. 2006 lieferte er mit dem Oscar-Triumph Departed – Unter Feinden seine letzte Arbeit als Chefkameramann ab, wobei das Karriereende nicht ausschließlich dem fortgeschrittenen Alter, sondern auch dem Krebstod von Ballhaus‘ Ehefrau Helga, die ihm im Laufe seiner aufreibenden Karriere unverzichtbaren Rückhalt gab, geschuldet ist. Die Förderung des filmischen Nachwuchses in Form einer Dozententätigkeit an der Deutschen Film- und Fernsehakademie und dem Berlinale Campus betreibt er jedoch weiter und hat zusätzlich das sich dem Klimaschutz widmende Ballhaus-Projekt gegründet. Nun haben Michael Ballhaus und Grimme-Preisträger Ciro Cappelari („A Struggle For Love“) einen Dokumentarfilm über die Stadt Berlin inszeniert, der eng mit der Hauptstadtkampagne „Be Berlin!“ verknüpft ist, was dem Ergebnis leider allzu deutlich anzumerken ist. Unterschiedlichste Einwohner Berlins - von Frank Walter Steinmeier über Christoph Schlingensief bis hin zu einem türkischen Kioskbesitzer aus Wilmersdorf - werden in ihrem Alltag begleitet und berichten selbst vom Verhältnis zu ihrer Heimat Berlin. Das ist nett anzuschauen, bleibt allerdings über große Strecken nur an der Oberfläche und besitzt keinerlei Ecken und Kanten. Mit anderen Worten: ein freundlicher Werbefilm, über den sich die Berliner Stadtverwaltung freuen wird.

    Symptomatisch sind die Szenen mit den Politikern Frank Walter Steinmeier und Klaus Wowereit. Letzterer präsentiert sich hier genau so, wie man ihn auch sonst kennt – als charismatischer Strahlemann, dem auch noch so viele fehlende Haushaltsmilliarden nichts anhaben können. Tagsüber sitzt er in seinem großräumigen Büro und abends inmitten der kulturellen Schickeria - er macht eben seinen Job, nämlich die Stadt Berlin bestmöglich zu repräsentieren. Wenn er mit seinem Lebensgefährten Jörn Kubicki kurz über die gemeinsame Beziehung spricht, erscheint er hingegen ungewohnt wortkarg, als ob ihm die Situation unangenehm wäre. Dem Menschen Wowereit kommt man so aber kaum näher, was auch für Steinmeier gilt: Außer Slogans wie „Berlin ist anziehend, Berlin ist hip geworden“, die die Medienprofis locker aus dem Ärmel schütteln, erfährt man nur wenig über sie. Der überwiegende Teil der Porträtierten nutzt die gebotene Plattform, um sich zu profilieren - wer sollte es ihnen auch verübeln, solange es den Filmemachern nicht gelingt, mehr aus ihnen herauszukitzeln. Unterhaltsamer sind da schon Danielle de Picciotto und Alexander Hacke (Crossing The Bridge – The Sound Of Istanbul), ein wahres Berliner Original und Bassist der Kultband „Einstürzende Neubauten”, weil das Künstlerpaar schon allein aufgrund seiner sympathischen Skurrilität für Kurzweil sorgt.

    Wirklich berührend sind hingegen die Auftritte der Schauspielerin Angela Winkler (Die Blechtrommel, Ferien) und ihrer Tochter Nele, die mit dem Down-Syndrom zur Welt gekommen ist. Trotz ihrer geistigen Behinderung lässt sich Nele nicht unterkriegen und hat nach regelmäßigen Auftritten im Theater Ramba Zamba ein Engagement an der Volksbühne ergattert. Der Film zeigt Winkler neben einem sehenswerten Auftritt in „Die Dreigroschenoper“ vor allem in ihrer Wohnung, in der sie sich als verständnisvolle und liebevolle Mutter erweist. Schriftsteller Peter Schneider, am besten bekannt durch seine moderne Adaption von Georg Büchners Novelle „Lenz“, gibt eine Menge interessanter Anekdoten zum Besten, obgleich eine schmerzhafte Jugenderinnerung denkbar wenig mit dem eigentlichen Sujet des Films zu tun hat und etwas deplatziert wirkt. Ein kleines Highlight ist der humorvolle Auftritt von Krebspatient und Regie-Enfant-Terrible Christoph Schlingensief (Silentium, Christoph Schlingensief – Die Piloten). Als enttäuschend und banal stellt sich hingegen der überwiegende Teil der Schilderungen nichtprominenter Normalbürger heraus. Auch hier wird viel zu offensichtlich geschönt: Ein Clubbesitzer passt freilich besser ins Bild des neuen Berlins als ein Problemkind aus Neukölln. Die negativen Seiten der Stadt werden nur kurz angerissen - und auch dann nur halbherzig: Ein ehemaliger Krimineller, der mittlerweile Frau und Kinder hat, wird vom Filmstudenten Hakan Savas Mican für dessen erstes Regieprojekt interviewt.

    Technisch hält „In Berlin“, was der Name Michael Ballhaus verspricht. Zwar hat sich der gebürtige Berliner nicht selbst hinter die Kamera begeben, doch sein Co-Regisseur Ciro Cappellari sorgt für stimmungsvolle Bilder, die in fein komponierten Einstellungen die eindrucksvolle Architektur der Stadt einfangen. Seine stärksten Momente hat der Film ohnehin, wenn er sich ganz auf die Kraft seiner Luftaufnahmen verlässt und diese mit den atmosphärischen Klängen der Elektronikband Terranova unterlegt. Doch diese Momente, in denen der Film dem von Verleihseite angekündigten „poetischen Filmessay“ am nächsten kommt, sind rar gesät, dienen sie doch lediglich der Verknüpfung der episodischen Interviewsequenzen. Es gibt zwar an zwei Stellen eine Überlappung, ansonsten sind die einzelnen Handlungsstränge aber – wenn man von einigen Kontrastierungen mal absieht - relativ beliebig aneinandergereiht. Eine Vertiefung spezifischer Themen findet nicht statt.

    Positiv dabei ist, dass jeweils nach ein paar Minuten ein anderer Faden aufgenommen wird und so trotz der oberflächlichen Herangehensweise kaum Langeweile aufkommt. Inkonsequent ist letztlich aber die Rolle von Ballhaus als Interviewer. An einigen wenigen Stellen ist seine fragende Stimme zu hören, die meiste Zeit sprechen die Protagonisten hingegen einfach in die Kamera. So uneitel diese Zurückhaltung auch ist, vielleicht wäre es besser gewesen, wenn Ballhaus selbst ins Bild getreten wäre. Dann würde der Film womöglich nicht so selbstgenügsam vor sich hin plätschern.

    Fazit: Fans der bundesdeutschen Hauptstadt können mit einem Besuch von „In Berlin“ im Grunde nichts falsch machen. Ansprechende Bilder und Momentaufnahmen von prominenten und „normalen“ Bewohnern erfreuen das Herz jedes Berlinfreundes. Alle anderen dürfte jedoch der Eindruck stören, hier nicht mehr als einen teuer produzierten Werbespot vorgesetzt zu bekommen, der zwar durchaus seine schönen Augenblicke hat, aber bis auf wenige Ausnahmen nur an der Oberfläche kratzt. Eine Liebeserklärung an Berlin, die ihr Publikum mitreißt und es von der Schönheit der Stadt überzeugt, sieht zumindest anders aus.

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