Mein Konto
    Young Adult
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Young Adult
    Von Carsten Baumgardt

    Obwohl Jason Reitman erst vier Spielfilme gedreht hat, kennt er sich bestens mit den Gepflogenheiten der prestigeträchtigen Award-Saison aus, der alljährlichen Preisverleihungswelle, die mit der Vergabe der Oscars im Februar ihren Höhe- und Endpunkt erreicht. Bereits mit seinem Erstling „Thank You for Smoking" erhielt er diverse Auszeichnungen, mit „Juno" und „Up in the Air" avancierte er dann zum Stammgast bei Award-Shows und Gala-Dinners. Als Reitman sich für seine Tragikomödie „Young Adult" erneut mit seiner kongenialen „Juno"-Schreibpartnerin Diablo Cody zusammentat, wurden sie vorab entsprechend erneut zu den heißen Anwärtern auf die Oscars oder wenigstens auf die Golden Globes gezählt, aber der Preisregen fiel diesmal weniger üppig aus als zuletzt. Dennoch ist „Young Adult" ist ein starker Film, der sich harmonisch in Reitmans bisheriges Schaffen einfügt. Dabei macht es der Filmemacher seinem Publikum mit einer ungewöhnlich unsympathischen Hauptfigur (die von Charlize Theron brillant verkörpert wird) nicht eben leicht, aber gerade dadurch, dass er die Erwartungshaltung der Zuschauer brutal unterläuft, wird „Young Adult" zu einem besonderen Kino-Erlebnis.

    Ihre Scheidung ist noch nicht lange ins Land gezogen, da fasst Jugendbuch-Autorin Mavis Gary (Charlize Theron), 37, in ihrem Apartment in Minneapolis einen ebenso kühnen wie absurden Plan: Mavis will ihrem Heimatkaff im provinziellen Minnesota einen Besuch abstatten und dort ihre Highschool-Liebe Buddy Slade (Patrick Wilson) zurückerobern. Allerdings ist der Auserkorene inzwischen mit der attraktiven Beth (Elizabeth Reaser) verheiratet und seit kurzem glücklicher Familienvater. Doch von solchen Kleinigkeiten lässt sich Mavis nicht abhalten. Sie erfindet einen Vorwand, um wieder in der Gegend aufzutauchen und verabredet sich gleich mit Beau Buddy, um über alte Zeiten zu sprechen. Aber noch vorher trifft sie zufällig auf ihren gehbehinderten ehemaligen Klassenkameraden Matt Freehauf (Patton Oswalt), der die Gehässigkeiten, die zu Schulzeiten mit ihm getrieben wurden, immer noch nicht verwunden hat und verbittert ein trostloses Dasein fristet. Obwohl die beiden überhaupt nicht zusammenpassen, entwickelt sich schnell eine seltsame (Trink-)Freundschaft. Derweil geht Mavis zum Angriff im Kampf um Buddy über und freut sich über eine Einladung zur Babyparty im Hause Slade.

    „Das Leben ist das, was man daraus macht": Diese optimistische Kalenderweisheit ist das Motto von Kendal Strickland, der es damit ganz prächtig geht. Sie steht auf der Sonnenseite des Lebens, hat ihre Welt im Griff und ein Abonnement auf persönliche Happy-Ends. Dummerweise existiert Kendal Strickland nur in den Jugendbüchern von Mavis Gary, die Autorin nutzt die Figur als fiktionales Alter ego und erfüllt ihr stellvertretend eigene Wünsche. Mavis‘ tatsächliches Leben ist dagegen bei genauerer Betrachtung nur noch ein Scherbenhaufen und entspricht gar nicht dem Bild, das sich die Leute in ihrer Heimat von der Schriftstellerin machen. Für die Menschen im hintersten Winkel von Minnesota ist Mavis ein Promi, ein Star, der es geschafft hat in der großen Stadt – sie selbst ist derweil längst zu einem Realitätsflüchtling mutiert, der kaum noch zwischen der nüchternen Wirklichkeit und dem eigenen Wunschdenken unterscheiden mag.

    Mavis‘ Vorhaben, ihre alte Liebe Buddy aus den Armen seiner Frau und seiner frisch geborenen Tochter zu entreißen, wird von Reitman ohne moralische Vorverurteilung in Szene gesetzt, in seiner Versuchsanordnung ist keine 08/15-Läuterung vorgesehen. Entsprechend ist Charlize Therons Mavis Gary ist eine durch und durch unsympathische Figur – egal, wie man es dreht und wendet. Aber die Oscar-Preisträgerin (für „Monster") stattet ihre Figur nicht nur mit einem irritierenden Selbstbewusstsein und einer Rotzigkeit aus, die zuweilen die Nerven strapaziert, sondern auch mit einer Prise Verletzlichkeit – trotz allem bleibt sie stets der Dreh- und Angelpunkt, der Blickfang und die Attraktion von „Young Adult". Ihre nur unter Mühen aufrechterhaltene Fassade bröckelt mehr und mehr, bis der Zusammenbruch unausweichlich scheint und der „Psychotic Prom Queen Bitch" die Enttarnung droht.

    Charlize Theron ist die optimale Besetzung für diese alkoholabhängige, selbstzerstörerische, pathologische Lebenslügnerin Mavis Gary. Ihrer immer noch atemberaubenden Schönheit können auch die Spuren diverser Saufgelage nicht viel anhaben, in scharfem Kontrast dazu steht die Hässlichkeit ihres Verhaltens. Ihr (selbst-)zerstörerisches Himmelfahrtskommando hat in seiner verzweifelten Unbedingtheit schon wieder etwas Berührendes – und für diese Wirkung braucht Mavis noch nicht einmal unser Verständnis. Trotz der klaren Konzentration auf die Protagonistin und trotz Charlize Therons Glanzleistung ist „Young Adult" aber keine One-Woman-Show, denn „King of Queens"- Sidekick Patton Oswalt („Balls of Fury") ist ihr ein ebenbürtiger Partner. Sein Matt kann sich Mavis und ihrer desaströsen Machenschaften nicht entziehen und wird wider besseres Wissen zu ihrem Komplizen. Der Comedy-Star liefert beißend zynische Oneliner, legt aber zugleich behutsam Matts zerstörte Seele offen und bringt bravourös seine tiefsitzende Traurigkeit zum Ausdruck.

    Jason Reitman inszeniert fast beiläufig und findet auch für die dramatischen Zuspitzungen stets den richtigen Ton. So setzt er der Düsternis seiner Themen und der Negativität seiner Hauptfiguren einen wohldosierten schwarzen Humor entgegen. Er zeigt außerdem durchaus Mitgefühl und sogar vorsichtigen Optimismus, meidet dabei aber den emotionalen Exzess, der so häufig vor allem die Enden von Hollywood-Filmen kennzeichnet. Ganz im Gegenteil: Der Regisseur findet gemeinsam mit seiner Autorin Diablo Cody („Jennifer's Body") einen ebenso eigenwilligen wie folgerichtigen Schluss für „Young Adult", der nicht nur fabelhaft zur vorherigen Geschichte und ihrer Protagonistin passt, sondern auch ein wunderbarer Ausdruck künstlerischer Unabhängigkeit ist - „Young Adult" ist somit Independent-Kino im wahren Sinne des Wortes.

    Fazit: Regisseur Jason Reitman bleibt sich treu und bewegt sich konsequent jenseits des Mainstreams und seiner Konventionen. Mit „Young Adult" erreicht er nicht ganz die Eleganz und Leichtigkeit des Meisterwerks „Up In The Air", aber dennoch ist ihm erneut ein sehr präzise gespieltes und inszeniertes Charakterporträt einer verlorenen Seele gelungen, das durch die brillante Charlize Theron in der Hauptrolle noch veredelt wird.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top