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    Der Hobbit: Smaugs Einöde
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Der Hobbit: Smaugs Einöde
    Von Carsten Baumgardt

    Wer einen nur knapp 400 Seiten starken Roman bei der Kinoverfilmung auf die epische Laufzeit von mehr als acht Stunden auswalzt, dem ließe sich einiges unterstellen: Größenwahn, nüchterne Profitmaximierung oder gleich schiere Geldgier. Dem neuseeländischen Landesheiligen Peter Jackson bei seiner als Trilogie angelegten Version von J.R.R. Tolkiens Kinderbuch „Der Hobbit“ auch nur eines dieser Motive zu verdächtigen, wäre indes nicht nur unfair, sondern schlicht falsch. Kino-Bombast-Romantiker Jackson glaubt nicht nur weiterhin fest an seine Vision, Tolkiens verhältnismäßig schmales Buch auf monumentale Dimensionen aufzupumpen, sondern beim zweiten Teil zahlt sich der epische Entwurf des Regisseurs, Drehbuchautors und Produzenten auch künstlerisch voll aus. Mit „Der Hobbit: Smaugs Einöde“ findet Jackson zu alter „Herr der Ringe“-Form zurück und präsentiert ein kraftstrotzendes, düsteres Fantasy-Epos, das actionreicher, atmosphärisch dichter und schlicht aufregender ist als „Eine unerwartete Reise“. Und er beschließt diesen Mittelteil mit einem krachenden Killer-Cliffhanger, der das Jahr Wartezeit auf die filmische Auflösung in „Der Hobbit: Hin und zurück“ fast schon unmenschlich erscheinen lässt.

    Nachdem sich Zwergenführer Thorin Eichenschild (Richard Armitage) und der Zauberer Gandalf (Ian McKellen) schon ein Jahr zuvor in Bree getroffen und Pläne geschmiedet haben, Erebor zu stürmen, setzen sie nun gemeinsam mit Hobbit-Meisterdieb Bilbo Beutlin (Martin Freeman) und einer zwölfköpfigen Zwergen-Truppe ihre Reise Richtung Einsamer Berg fort, um die ehemalige Zwergenstadt und die unermesslichen Schätze im Bauch des Berges zurückzuerobern. Doch über Erebor und das Gold wacht der mächtige Drache Smaug (Benedict Cumberbatch) - und mit dem ist nicht zu spaßen. Nach einer turbulenten Begegnung mit dem Pelzwechsler Beorn („Kommissar Beck“-Ikone Mikael Persbrandt) muss die Gruppe den berüchtigten und gefährlichen Düsterwald durchqueren. Dort türmen sich die ersten schier unüberwindbaren Hürden auf - aber Bilbo zeigt seine List im Kampf mit gigantischen Riesenspinnen. Auf Gandalfs Hilfe können die tapferen Kämpfer bald nicht mehr zählen, er verabschiedet sich und widmet sich einer anderen Aufgabe: der Auskundschaftung des mysteriösen Necromancers (Benedict Cumberbatch) in den Ruinen von Dol Guldor. Als die Truppe jedoch den im Wald herrschenden Elben in die Hände fällt, scheint die Reise beendet, denn der stolz-störrische Thorin verweigert den verhassten Elben die Zusammenarbeit. Die Zwerge und Bilbo landen im Kerker..

    Mit der „Herr der Ringe“-Trilogie schuf Peter Jackson („Braindead“, „King Kong“) eine vielgeliebte Kino-Legende, entsprechend hoch waren und sind die Erwartungen an seine Rückkehr ins Tolkien-Universum: Die „Hobbit“-Filme sollten nichts weniger als weitere monumentale Meisterwerke werden. Statt unter diesem Druck auf Nummer sicher zu gehen, wagte der inoffizielle Mittelerde-König mit dem Dreh in der neuen High-Frame-Rate-Technik (die 48 Bilder statt wie sonst 24 Bilder pro Sekunde verursachen den sogenannten Soap-Opera-Effekt) ein gewöhnungsbedürftiges Experiment, das zum Start des ersten „Hobbit“-Teils für viel Wirbel sorgte. Jacksons beachtliche Treue gegenüber dem Tonfall von Tolkiens Kinderbuch verursachte bei vielen eingefleischten Fans der „Herr der Ringe“-Filme zusätzlichen Gegenwind. Sie wollten die epochale Wucht der ersten Trilogie wiedererleben, die sich in „Eine unerwartete Reise“ nicht in gleichem Maße finden lässt. „Smaugs Einöde“ ist nun aber nah dran an dem Erzählton und dem Tempo der „Herr der Ringe“-Epen, hier gibt es keine Albereien, keine besinnlichen Lagerfeuer und keine fröhlichen Lieder mehr. Von Tolkiens „Hobbit“-Vorlage mag sich Jackson, der sich erneut auch woanders im Universum des Autors bedient und eigene Erfindungen hinzufügt, weiter entfernen, aber dafür findet er zu seinen eigenen Stärken zurück. Seine sechsteilige Mittelerde-Saga sieht der Regisseur ohnehin als ein einziges Werk an – und mit „Smaugs Einöde“ wird die Brücke zwischen den beiden Trilogien tatsächlich um einiges stabiler.  

    „Smaugs Einöde“ erreicht nicht zu 100 Prozent das „Herr der Ringe“-Meisterwerkniveau, was vor allem daran liegt, dass die Dynamik innerhalb der „Hobbit“-Reisegruppe weniger mitreißend ausfällt als die der Gemeinschaft des Rings. Frodo und seine Begleiter wurden von einem schicksalhaften Hauch umweht, diese Dimension erreichen Bilbo, Thorin und Anhang (noch) nicht. Trotzdem durchläuft Martin Freeman („Tatsächlich Liebe“, „Sherlock“) als Bilbo Beutlin nun eine frappierende Entwicklung zu einem mutigen Hobbit-Helden mit Ecken und Kanten. Er nimmt das Heft in die Hand und wird so zu einer richtigen Identifikationsfigur, gleichzeitig verleiht Freeman dem scheinbar harmlosen Hobbit eine immer präsente Hinterlistigkeit, die ihn gefährlicher macht als das putzige Äußere vermuten lässt. Bilbo reibt sich immer wieder am Zwergen-Chef Thorin Eichenschild, den Richard Armitage („Captain America - The First Avenger“, „Robin Hood“) gewohnt grimmig gibt. Das Misstrauen und die Rivalität zwischen diesen beiden führenden Köpfen tritt verstärkt zutage, als Ian McKellens („The Da Vinci Code  - Sakrileg“, „X-Men“) Gandalf, der dritte Antreiber im Bunde, sich für eine ganze Weile von der Gruppe verabschiedet und sich auf die Spuren des Necromancers macht. Das gibt Gelegenheit zu kleinen Verschnaufpausen zwischen den Action-Höhepunkten der Haupthandlung, bringt das Geschehen aber nicht entscheidend voran.

    Die Zwerge und der Hobbit schlagen sich indes wacker, auch als der Zauberer ihnen nicht mehr beistehen kann. Zunächst muss die Gruppe fiesen Monsterspinnen im Düsterwald entkommen, aber das erste herausragende Prunkstück von Peter Jacksons patentreifer Bombast-Inszenierung ist eine haarsträubend-rasante Wildwasserfahrt in Eichenfässern einen reißenden Fluss herunter - während Elben und Orks am Ufer wüst um sich schießen. Allein diese rastlose Sequenz wäre das Eintrittsgeld wert. Aber „Smaugs Einöde“ hat noch mehr Spektakuläres zu bieten, am eindrucksvollsten ist das Dickens‘schen Mittelerde-Venedig Seestad - ein visuell überwältigender Schauplatz. Mit dem von Luke Evans („Fast And Furious 6“, „Krieg der Götter“) gespielten Menschen Bard wird hier zudem eine wichtige Figur eingeführt, der auch im dritten Teil noch eine entscheidende Rolle zukommt. Der attraktive Waliser tritt als Blickfang zugleich in die direkte Konkurrenz zu Orlando Bloom („Fluch der Karibik“, „Zulu“), der als Legolas seine Rückkehr feiert und einige actionreiche Pfeil- und Bogen-Stunts besteuern darf. In der Buchvorlage „Der Hobbit“ taucht er nicht auf, wird aber vom Drehbuchteam kongenial in die Handlung eingebunden. Durch das Liebesdreieck zwischen Legolas, der Jung-Elbin Tauriel und dem Zwerg Kili (Aidan Turner) kommt zusätzliche Würze in den Film, wobei „Lost“-Star Evangeline Lilly („The Hurt Locker“) als furiose Action-Heldin, die couragiert Rassengrenzen überwindet, eine echte Bereicherung ist und für eine willkommene weibliche Note sorgt - und das obwohl ihre Figur eine freie Erfindung von Co-Autorin Philippa Boyens ist.

    Dieser zweite Teil der „Hobbit“-Trilogie steht und fällt mit dem großen Auftritt des Drachen Smaug im Finale des Films - und der ist schlicht atemberaubend gut gelungen. Smaug ist kein 08/15-Bösewicht, kein dummes Monster, sondern hochintelligent und eloquent -  Benedict Cumberbatch („Inside WikiLeaks“, „Star Trek Into Darkness“) steht dem Performance-Capture-König Andy Serkis, dessen Gollum diesmal keine Szene hat, mit seiner Darstellung des Drachen kaum nach und verleiht ihm mit seinem perfekt digitalisierten Mienenspiel und seiner facettenreichen Sprechweise eine komplexe Aura aus Arroganz, Dekadenz und Wut. Das Aufeinandertreffen des von den CGI-Magiern der WETA-Special-Effects-Schmiede fast schon filigran in Szene gesetzten Smaug mit Bilbo in der Schatzkammer, deren satte Fülle Dagobert Duck wie einen armen Schlucker wirken lässt, übertrifft somit alle Erwartungen. Eine pikante B-Note bekommt das gegenseitige Belauern zwischen Meisterdieb Bilbo und Feuerspucker Smaug durch die gemeinsame „Sherlock“-Vorgeschichte der Darsteller Martin Freeman und Benedict Cumberbatch. Zwischen ihnen liegt eine besondere Spannung in der Luft, die sich Peter Jackson zunutze macht. Und um sein actionlastiges Werk würdig abzuschließen, beendet der Regisseur „Smaugs Einöde“ mit einem Cliffhanger, der einem die Kehle zuschnürt.

    Technisch befindet sich „Der Hobbit: Smaugs Einöde“ mit seinen mehr als  überzeugenden visuellen Effekten weiterhin in der Spitzengruppe der CGI-lastigen Blockbuster. An die überwältigenden Landschaftspanoramen Neuseelands haben wir uns mittlerweile gewöhnt, aber die Schauwerte der Episoden im Düsterwald, auf dem Wildwasserfluss, in Seestadt und beim Finale in Erebor sind überragend, wobei der unaufdringlich-plastische 3D-Einsatz die Wirkung noch verstärkt. Zudem wurde auch dieser zweite Teil in der umstrittenen High-Frame-Rate-Technik verarbeitet, die in manchen Kinos zu sehen ist. Ob diese nun einen Mehrwert darstellt oder als nicht ausgereift und ablenkend empfunden wird, das bleibt weiterhin Ansichtssache. Jackson lässt seinem Publikum klugerweise die Wahl, in welcher Version es sein Werk betrachten will. Dramaturgisch nutzt der Regisseur die Freiheiten eines Trilogie-Mittelteils und klotzt gleich ohne lange Exposition los, um seine Gruppe Hals über Kopf in ihre Abenteuer zu schicken. Jackson wirkt in „Smaugs Einöde“ wie von der Leine gelassen, befreit von dem Ballast der ausführlichen Einführung der Figuren, die ihm in „Eine unerwartete Reise“ etwas langatmig geriet.

    Fazit: Peter Jackson dürfte mit dem bombastischen und höllisch unterhaltsamen Fantasy-Abenteuer „Der Hobbit: Smaugs Einöde“ auch jene Fans seiner „Herr der Ringe“-Filme versöhnen, die von „Eine unerwartete Reise“ leise enttäuscht waren: Überwältigende Schauwerte, mitreißende Kämpfe und ein hervorragendes Finale heben den Mittelerde-Actioner nah an das Niveau der ersten Trilogie.

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