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    Liebe
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Liebe
    Von Carsten Baumgardt

    Der Tod gehört zum Leben, heißt es gern so lapidar. Das Thema Sterben geht tatsächlich jeden etwas an, aber die meisten möchten es am liebsten so gut wie möglich verdrängen. Gleiches gilt vielleicht noch mehr für den Prozess des Altwerdens, die letzte Stufe vor dem Ableben. Regisseur Michael Haneke („Funny Games", „Caché") ist dafür bekannt, dass er nicht vor Tabubrüchen zurückschreckt und wagt sich mit seinem Drama „Liebe" („Amour") an die heiklen Themen Alter und Tod heran. Wie man es von dem Österreicher gewohnt ist, macht er keine Kompromisse und geht mit großer formaler Strenge vor. Allein dafür verdient er großen Respekt, zu einem herausragenden und tief bewegenden Film wird „Liebe" aber erst durch Hanekes Feingefühl: eine im Kern warmherzige und lebensbejahende, doch niemals sentimentale Geschichte über das Sterben und natürlich über die Liebe.

    Georges (Jean-Louis Trintignant) und Anne (Emmanuelle Riva) sind um die 80 Jahre alt. Das kultivierte Paar ist glücklich, hat auch nach langer Ehe noch Spaß an der Gesellschaft des anderen und kümmert sich liebevoll umeinander. Manchmal bekommen die ehemaligen Musikprofessoren Besuch von ihrer im Ausland lebenden Musiker-Tochter Eva (Isabelle Huppert) oder ihr früherer Schüler, der Star-Pianist Alexandre (Alexandre Tharaud) schaut vorbei. Eines Tages erleidet Anne einen Schlaganfall. Von da an ist nichts mehr, wie es war. Die kleine, beschauliche Welt der beiden Eheleute wird in ihren Grundfesten erschüttert. Anne ist unterhalb der Hüfte halbseitig gelähmt und sitzt fortan im Rollstuhl, ist aber geistig zunächst noch voll auf der Höhe. Georges versorgt seine Frau aufopferungsvoll, obwohl es ihn viel Mühe kostet. Doch nach und nach verschlechtert sich Annes körperlicher wie geistiger Zustand, ihr Gatte kommt an seine Grenzen und darüber hinaus – trotz zweier Pflegekräfte (Carole Franck, Dinara Droukarova), die bei der Betreuung helfen.

    Michael Haneke, der mit „Liebe" bereits zum siebten Mal mit einem seiner Werke an den Filmfestspielen von Cannes teilnimmt, steht nicht gerade für leichte Kino-Kost. Der Goldene-Palme-Gewinner von 2009 (für „Das weiße Band") ist unbequem und radikal und er bleibt sich auch bei „Liebe" treu. Das Drama fordert viel von seinem Publikum – vor allem Aufmerksamkeit. Haneke weiß nur zu genau, dass sich niemand gerne freiwillig mit der im Film geschilderten Situation auseinandersetzen möchte. Aber er zwingt seine Zuschauer dazu, weil er etwas zu sagen hat. Obwohl gleich klar ist, wie der Film endet - in einer der ersten Szenen wird die tote Anne aufgebahrt in ihrem Bett gezeigt - ist „Liebe" kein reißerischer Hospiz-Schocker, ganz im Gegenteil. Denn Haneke verleiht seinen Figuren eine bemerkenswerte Würde und seiner Erzählung damit eine positive Grundierung, in der hier und da sogar Platz für sanften Humor ist. „Liebe" ist ein stiller Film, die Entwicklung geschieht langsam und in Nuancen. Der Verfall, den Annes erleidet, tut dennoch oder gerade deswegen sehr weh. Sie löst sich geradezu vor unseren Augen auf, Georges verzweifelt an diesem schleichenden, aber unaufhaltsamen Prozess. Auch sein Wesen verändert sich und er verbittert langsam über der Schwere der Bürde, die ihm aufgelastet wird.

    Die beiden Hauptdarsteller Jean-Louis Trintignant („Der große Irrtum") und Emmanuelle Riva („Hiroshima mon amour") glänzen mit ihrem ruhigen, aber niemals schwerfälligen Spiel. Man mag dieses Paar, das gemeinsam sein Leben bestreitet und so liebevoll miteinander umgeht. Mit berührenden Auftritten machen der naturgemäß aktivere Trintignant und die mit minimalen Mitteln hohe Intensität erreichende Riva die doppelte Tragik von Annes Krankheit spürbar – sie welkt bemitleidenswert dahin, während die Last des Schmerzes Georges‘ Charakter tiefe Risse zufügt. Der wechselnde Gemütszustand des Vaters zeigt sich insbesondere in seinen Reaktionen auf die Besuche von Tochter Eva – mit Feingefühl spielt Isabelle Huppert („Die Klavierspielerin") die machtlose Zeugin und wird so gleichsam zur Stellvertreterin des Publikums.

    Zum Triumph wird „Liebe" vor allem durch Michael Hanekes Konsequenz. Der Film spielt ausschließlich im Apartment des Ehepaars, es gibt keine Filmmusik – der Regisseur gönnt dem Betrachter keine Abwechslung und keinen Ausweg – man kann den Blick nicht abwenden. Aber das will man auch nicht, denn gerade durch Hanekes Schonungslosigkeit weckt dieser Film unser Mitgefühl - bis zum bitteren Ende, das uns ebenfalls nicht erspart wird. Die Konzentration auf einen einzigen Handlungsort versinnbildlicht dabei Annes Zustand, die gefesselt an ihren verfallenden Körper nicht entfliehen kann. Aber in dieser ausweglosen Situation ist auch Georges ein Gefangener. Selbst für Einkäufe geht er nicht mehr aus dem Haus, sondern beauftragt jemanden. Seine einzige Verbindung zur Außenwelt ist bald eine Taube, die sich durch ein Fenster in die Wohnung verirrt. Anhand des Schicksals des Vogels und seiner Interaktion mit dem verzweifelten Mann illustriert Haneke Georges‘ Seelenqual – eine beeindruckende Regie-Idee.

    Fazit: Eine Frau stirbt, zwei Stunden lang - Michael Hanekes Sterbe-Drama „Liebe" ist bitter und berührend, aufwühlend und warmherzig, streng und grenzenlos. Mit seiner Chronik eines angekündigten Todes bringt der Filmemacher nicht nur ein schmerzhaftes Thema auf den Tisch, er zeigt auch, dass unnachgiebige Konsequenz, Sensibilität und Würde sich nicht gegenseitig ausschließen müssen.

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