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    Meat
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Meat
    Von Jan Görner

    Es muss wirken wie ein Wortwitz der eher schwachen Sorte, wenn im Zusammenhang mit einem Film namens „Meat" von „Ausschlachten" die Rede ist. Doch es ist nun einmal so, dass speziell in der Gattung des Erotik-Thrillers gerne nackte Haut als narrativ sinnlose Garnierung verwendet wird, neudeutsch heißt das dann Maartje Seyferth und Victor Nieuwenhuijs ist dabei zwar kein reißerisches Stück Exploitation geworden, aber doch ein grob bebildertes Auseinandernehmen menschlicher Befindlichkeiten.

    Die Geschichte von „Meat" folgt zwei Handlungssträngen, die zunächst parallel verlaufen. Zum einen ist da der von Schlaflosigkeit geplagte Misanthrop Inspektor Mann (Titus Muizelaar), zum anderen der Schlachter (ebenfalls Titus Muizelaar), dessen Leben hinter der Ladentheke aus der Routine gerissen wird, als er miterlebt, wie seine Frau Tinie (Wilma Bakker) ihn mit seinem Chef (Hugo Mertens) betrügt. Nun beginnt der Schlachter seine sexuelle Begierde auf die junge Roxy (Nellie Benner) zu fixieren, die samstags im Laden aushilft. Als eines Nachts ein Mord geschieht und der Inspektor die Ermittlungen aufnimmt, beginnen sich beide Geschichten zu überschneiden. Doch nach und nach verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Traum zusehends.

    2010 lief „Meat" bereits auf dem PornFilmFestival in Berlin. Um keine Missverständnisse entstehen zu lassen: Fernziel dieser Veranstaltung ist es, die Pornographie aus der heteronormativen Schmuddelecke in die Kunst zu überführen. So nimmt sich dann „Meat" auch deutlich züchtiger aus als zum Beispiel Lars von Triers Ego-Denkmal „Antichrist". Dennoch lässt sich nicht von der Hand weisen, dass bei Seyferth und Nieuwenhuijs feiste alte Herrschaften, die sich bevorzugt auf willig-devote junge Frauen kaprizieren, außerordentlichen sexuellen Erfolg verbuchen. Das ist der Stoff, aus dem Schmutzfink-Fantasien sind. Die Personen sind in „Meat" nicht mehr als sexuell verfügbares Fleisch und ihnen geht der Wille ab, eine Verbesserung der eigenen Situation herbeizuführen. Dabei reduziert das Drehbuch den Menschen auf eine Kreatur ohne Wesen, eine Hülle, die von Instinkten geleitet zu sein scheint und Artgenossen nur wie Gegenstände behandelt. Der Inspektor etwa wird von Depressionen gepeinigt, der Selbstmord seiner Lebensgefährtin vor seinen Augen scheint ihn hingegen kalt zu lassen. Diese pessimistische Grundstimmung wird durch eine in leblosen Tönen gehaltene, entvölkert wirkende Stadtkulisse verstärkt.

    Neben der visuellen Gestaltung, die das Düstere und Desolate hervorhebt, trägt auch das Tondesign zur pessimistischen Grundstimmung bei. Es wird nicht viel der Fantasie übrig gelassen, der Zuschauer wird gleichsam zum Ohrenzeugen. Nach all dem Gerammel und Geschmatze werden dann wohl die wenigsten mit einem gesunden Appetit aus dem Kino gehen. Dabei lassen Seyferth und Nieuwenhuijs bei der Darstellung des Zerteilens von Tierleichen noch Zurückhaltung walten. Das Alltagsgeschäft im Schlachthaus ist dem Umgang der menschlichen Tiere miteinander letztlich nicht unähnlich, alles wird mit der gleichen Ruhe eingefangen. Der distanzierte, fast unbeteiligt wirkende Blick aufs Geschehen wird konsequent durchgehalten, durch gekonnte Einschübe von Mini-DV-Aufnahmen wird dabei eine Verbindung zwischen den beiden Erzählebenen der Geschichte hergestellt und die Kluft zwischen Wach- und Traumwelt überbrückt. Wenn der Inspektor allein in seinem Kellerbüro brütet, während ohne Unterlass ein Telefon klingelt, kommt dies einem Weckruf gleich. In einer psychedelisch-experimentellen Sequenz, in der die Wiedergänger geschlachteter Tiere beginnen, das Abattoir zu bevölkern, kommen die Regisseure schließlich einer bizarren Katharsis recht nahe, ohne allerdings den Kriminalfall zufriedenstellend aufzulösen. Seyferth und Nieuwenhuijs vernachlässigen einige der zuvor gelegten Fährten – augenscheinlich geht es ihnen um etwas anderes.

    Auch wenn in „Meat" kurz auf die Leiden der Tiere eingegangen wird, die der Mensch als Konsumgüter nutzt, ist eine Lesart als Plädoyer für den Verzicht auf Fleischgenuss eher schwer konstruierbar. Der Film ist viel eher eine zynische Exkursion in das von Trieben kontrollierte Selbst des Menschen. Im Gesamtwerk der beiden Regisseure lässt sich dies durchaus als Leitmotiv ausmachen. Dass sich Seyferth und Nieuwenhuijs für ihr Kino-Debüt 1995 der Novelle „Venus im Pelz" von Leopold von Sacher-Masoch, dessen Name Pate für das Wort Masochismus stand, annahmen, ist ebenso wenig ein Zufall wie ihre Version von „Lulu" nach Motiven Frank Wedekinds über eine (sexuell) entmündigte Frau. Im Zentrum der der Arbeit des Regie-Duos steht das sexual-ethische Selbstverständnis des Menschen, das auf bisweilen wenig zurückhaltende Weise hinterfragt wird. Wenn Roxy, die als einziger der Charaktere in „Meat" Vertrauen und Gefühle zulässt von einem Tierrechtsaktivisten malträtiert und missbraucht wird, spricht das eine deutliche Sprache in Bezug auf das Menschenbild in „Meat". Leider arbeiten sich die Regisseure ein wenig zu sehr an der provokativen Oberfläche ab und verzichten auf eine tiefergehende Auslotung ihrer Charaktere.

    „Meat" ist ein eruptiv-fesselnder Film über Menschen und ihre Unmenschlichkeit, der von Gewalt, sexuellem Verlangen und Verkommenheit kündet. Es liegt in der Natur der Sache, dass ein solches Werk Geschmackssache ist. Der Kinofreund wird sich an verschiedene andere Filme erinnert fühlen, von David Lynchs „Lost Highway" und „Blue Velvet" bis zur österreichischen Groteske „Der Knochenmann". Dabei ziehen Seyferth und Nieuwenhuijs im direkten Vergleich den Kürzeren: Alles war woanders schon besser zu sehen - aber meist nur einen Tick.

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