Mein Konto
    Bulb Fiction
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Bulb Fiction
    Von Tim Slagman

    Das Kino ist das Licht im Dunkeln. Einen Film über Lichterzeugung zu drehen, über den Rohstoff sozusagen, den das Medium auch im Zeitalter des Digitalen und Dreidimensionalen noch braucht wie die Luft zum Atmen, ist eine spannende Idee. Nun gibt sich Christoph Mayr in seiner meinungsstarken – es wäre auch nicht unbedingt falsch zu sagen: propagandistischen – Glühbirnen-Dokumentation „Bulb Fiction" nicht mit derlei Meta-Überlegungen ab, die Bedingungen der Möglichkeit seiner Arbeit interessieren den Österreicher wenig. Nein, Mayr ist auf einer Mission. Für einen politischen Menschen mag es Schlimmeres geben – seinen Film, der zweifelsohne mit einer Fülle an interessanten Fakten aufwartet, degradiert diese starre Haltung aber bisweilen eher zum Symptom einer zunehmend fragwürdigen Auffassung vom dokumentarischen Umgang mit Wahrheit und Wirklichkeit.

    Es wird bald im ganzen Gebiet der Europäischen Union keine Glühlampe mehr zu kaufen geben, so legte es die Verordnung Nr. 244/2009 fest. Um den Stromverbrauch zu senken, sollen in Zukunft nur noch sogenannte Energiesparlampen in den Regalen liegen und langfristig auch des Nachts unsere Zimmer erhellen. Das Problem: Die Kompaktleuchtstofflampen enthalten Quecksilber, sie gehören mit zu den letzten Produkten, die das giftige Zeug noch in sich tragen dürfen. Für den Fall, dass eine solche Leuchte einmal zerbricht, werden Notfall-Kits angeboten, in denen man die Bruchstücke versiegeln soll. Und diese Kits sehen so aufwändig aus, als könne man sich mit ihnen auch vor einem Angriff mit ABC-Waffen schützen. Offensichtlich gilt es also, die gesundheitlichen Risiken in den heimischen vier Wänden mit dem Nutzen des geringeren Energieverbrauchs zu vergleichen. Und so macht Mayr sich auf nach Brüssel, zu Lampenproduzenten, Strahlenphysikern, auf den Entsorgungs-Hof, zu Greenpeace und zu Wirtschaftswissenschaftlern, um argumentatives Material für diesen Vergleich zu sammeln.

    So verspricht er es jedenfalls zu Beginn. Nur macht schon der Titel klar, dass dem Regisseur an einem sorgfältigen Abwägen von Pro und Contra nicht gelegen ist – und der hoch emotionale Einstieg, für den Mayr sich mit der handlichen Digicam auf zu einer Familie nach Bayern macht, bestätigt diesen Eindruck. Der kleine Max hat den Dampf aus einer zerbrochenen Leuchtstofflampe eingeatmet, die Folge waren Haarausfall, Zitterschübe, Depressionen. Nicht, dass diese Geschichte nicht bedrückend wäre oder dass Zweifel an ihrem Wahrheitsgehalt bestünden: Aber diese Szene steht exemplarisch für den modernen dokumentarischen Gestus der Subjektivität, mit dem aber dennoch objektiv erzählt werden soll. Der Besucher, ein präsenter Erzähler, keine allwissende Voiceover-Stimme, ist eingeladen, an einem Einzelschicksal teilzunehmen. Emotionale Nähe ersetzt analytische Distanz, was Mayr aber nicht reflektiert. Er setzt darauf, dass das Publikum vergisst, dass er wie jeder Dokumentarist sein Thema zwingend durch Auswahl, Verknappung und Weglassen nach seinem Willen formt.

    So ist eine der großen Schwächen von Mayrs Film die Unbedingtheit, mit der er die Suche nach der einen, großen, umfassenden Wahrheit – das Wort benutzt er tatsächlich – betreibt. Die Vorbilder für diese Art von voreingenommenem Guerilla-Journalismus liegen auf der Hand, sie heißen Michael Moore („Fahrenheit 9/11"), Morgan Spurlock („Super Size Me") oder Charles Ferguson („Inside Job"). Und genau wie diesen gelingen auch Mayr die stärksten Momente da, wo er der Gegenseite Zeit und Raum gibt, sich selbst zu entlarven. Ein Gespräch mit Andras Toth, einem Experten der EU-Energiekommission, wird zur Farce: Toth darf nicht vor die Kamera, die Antworten gibt seine Sprecherin – und Toth flüstert ihr aus dem Off die nötigen Informationen ein.

    Doch letztlich schneidet Mayr viel zu viele Themen an, von der Biologie des Sonnenlichts über die Arbeitsbedingungen in der Müllentsorgung bis hin zur intransparenten EU-Bürokratie, der mafiösen Vergangenheit der Licht-Industrie und dem schädlichen Einfluss der Lobbyisten. Mayr widmet seine Arbeit ganz unironisch den Wutbürgern, als sei auch dieser Begriff nicht längst schon in die berechtigte Kritik geraten. Und gerade da, wo er das sorgfältig durchrecherchierte Feld der Glühbirnen-Debatte verlässt, gerät er oberflächlich und allzu leicht in den Verdacht, das eine oder andere Problem unzulässig zu vereinfachen. Der Emissionshandel mache es, so stellt eine Animation es dar, ohnehin sinnlos, Energie zu sparen. Wirklich?

    Fazit: Wer Christoph Mayrs „Bulb Fiction" gesehen hat, weiß vermutlich hinterher tatsächlich mehr über die Fragwürdigkeit der Energiesparlampen. Doch in dem Meer an Themen, das der Regisseur auf dem Weg dorthin durchsegeln will, verliert er ab und an die Orientierung und macht es sich, gerade angesichts des pathetischen Wahrheitsanspruchs des Films, viel zu einfach.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top