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    Straight Outta Compton
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Straight Outta Compton
    Von Andreas Staben

    Als sich die beiden im Streit geschiedenen Rapstars Eazy-E und Ice Cube in F. Gary Grays „Straight Outta Compton“ nach einigen Jahren wiedersehen, lobt Eazy den Film „Boyz N The Hood“, den Cube 1991 gedreht hat. Der glaubt ihm nicht so ganz und erwidert: „Ich habe gelesen, dass du den Film als die ‚Ghettoversion der Sesamstraße‘ bezeichnet hast“. Genau, bestätigt der andere und fügt hinzu, dass er die „Sesamstraße“ liebe. In dieser kleinen Szene finden sich in Miniaturform viele der besten und einige der weniger guten Eigenschaften des zweieinhalbstündigen Biopics über die Gangsta-Rap-Pioniere von N.W.A (steht für „Niggaz with Attitude“) sowie der Protagonisten selbst. Hier prallen Ehrlichkeit und Romantisierung, Freundschaft und Konkurrenz, Wut und Profitgier, Politik und Entertainment aufeinander und es ist die größte Stärke des energiegeladenen, aber auch immer wieder holprigen Films, dass die meisten Widersprüche nicht aufgelöst, sondern offen ausgestellt werden: So ist der von den Hauptfiguren Ice Cube und Dr. Dre co-produzierte „Straight Outta Compton“ nicht nur einseitig und vielschichtig zugleich, beim Blick in die Vergangenheit der 80er und 90er Jahre fällt auch ein bezeichnendes Licht auf die krisengeplagte amerikanische Gegenwart.

    Compton, Kalifornien, 1986: Die Gegend im Süden von Los Angeles wird von Drogen überschwemmt, die Ganggewalt eskaliert  und die Polizei greift hart und willkürlich durch. Der Kleinkriminelle Eric „Eazy-E“ Wright (Jason Mitchell) will den Crackhandel aufgeben und gründet gemeinsam mit dem Musikmanager Jerry Heller (Paul Giamatti) das Label Ruthless Records. Wenig später tut Eazy sich mit den DJs Andre „Dr. Dre“ Young (Corey Hawkins) und Antoine „DJ Yella“ Carraby (Neil Brown, Jr.) sowie den MCs O’Shea „Ice Cube“ Jackson (O’Shea Jackson, Jr.) und Lorenzo „MC Ren“ Patterson (Aldis Hodge) zusammen. Die Gruppe nennt sich N.W.A und veröffentlicht 1988 ihr erstes Studioalbum „Straight Outta Compton“, das mit seinen unverblümten Texten über Polizeigewalt und das Ghettoleben für erhebliches Aufsehen sorgt. Es folgt eine erfolgreiche Tournee, aber schon bald kommt es zu Unstimmigkeiten innerhalb der Gruppe. Ice Cube fühlt sich finanziell benachteiligt und verlässt N.W.A schließlich für eine Solokarriere. Auch Dr. Dre geht bald eigene Wege und gründet 1991 mit dem windigen Suge Knight (R. Marcos Taylor) ein eigenes Label, Death Row Records. Eazy gerät in finanzielle Turbulenzen und träumt von einer Wiedervereinigung der Gruppe. Aber er ist gesundheitlich angeschlagen…

    Regisseur F. Gary Gray („The Italian Job“) und seine Drehbuchautoren Jonathan Herman und Andrea Berloff („World Trade Center“) spannen in diesem schon lange geplanten, aber immer wieder verschobenen Biopic einen weiten Bogen. Zunächst erzählen sie so etwas wie eine origin story und etablieren in wenigen Szenen die Wurzeln der N.W.A-Musik, die Welt von Compton 1986: Ein Crack-Deal unter „Freunden“ geht schief, Waffen werden gezogen – und dann rammt ein Panzerwagen der Polizei die Häuserwand nieder, während Eazy gerade noch übers Dach türmen kann. Einem Jugendlichen wird von einem Gangmitglied eine Knarre an den Kopf gehalten. Einige Cops drangsalieren willkürlich ein paar Schwarze und demütigen sie. Der Film steht ganz wie seine Protagonisten unter Hochspannung: Mit  fiebriger und doch eleganter Handkameraarbeit von Matthew Libatique („Black Swan“), dazu punktgenauer, niemals hektischer Montage beginnt „Straight Outta Compton“ als nervöses Ghetto-Drama und wenn es im gleichen Stil an die Turntables und Mikrofone geht, dann wird auch in der Inszenierung klar, dass die N.W.A.-Crew die Erfahrung der Straße in die Musik bringt. Sie rappen wie sie reden und nehmen kein Blatt vor den Mund – ihre Platte bekam nicht umsonst einen der ersten der damals neuen „Parental Advisory“-Warnhinweissticker (und dem Film wurde wegen derber Sprache, Sex, Drogen und Gewalt in den USA ein R-Rating verpasst, das allen unter 17 den Kinobesuch verbietet).

    In energiegeladenen Konzerten, Orgien und Konfrontationen wird „Straight Outta Compton“ fast zur filmischen Entsprechung eines Gangsta-Raps, doch als die Protagonisten immer mehr Energie darauf verschwenden, um Geld zu streiten und sich gegenseitig in die Pfanne zu hauen (in einer vielsagenden, sehr zwiespältigen Szene ist zu sehen, wie die Ex-Kollegen Ice Cubes berühmten Diss-Track „No Vaseline“ mit seinen zahlreichen verbalen Entgleisungen hören), gerät der Film in ruhigere, auch konventionellere Genrefahrwasser. Nun gibt es unvermittelte Entwicklungssprünge (plötzlich schreibt Cube am Drehbuch zu „Friday“ und ist auf dem Weg zum Mainstream-Filmstar), bloßes Name-Dropping (Snoop Dogg und Tupac schauen vorbei) und jede Menge unterbelichtete Figuren und Situationen. Ren und Yella werden endgültig zu Statisten degradiert und Paul Giamattis zunächst als durchaus ambivalent eingeführter Jerry Heller entpuppt sich als eindeutiger Buhmann – nach „Love And Mercy“ und „Rock Of Ages“ ist das bereits der dritte Auftritt des Schauspielers als schmieriger Musikmanager. Dres einstiger Death Row-Partner und heutiger Erzfeind Suge Knight wird indes zum ultimativen Bösewicht, dem R. Marcos Taylor eine geradezu monströse Präsenz verleiht – er bleibt eine Klischeefigur, auch wenn das reale Vorbild gerade unter Mordanklage im Gefängnis sitzt, nachdem es im Zusammenhang mit dem „Compton“-Dreh einen Produktionsberater und einen Schlichter überfahren hat.

    Durch die Zuspitzungen und Auslassungen wirkt in der zweiten Filmhälfte vieles zerfasert und zusammenhanglos. Das hängt auch damit zusammen, dass hier wie in vielen Biografien einige der schmerzhafteren Aspekte der porträtierten Persönlichkeiten ausgeblendet oder abgemildert werden: Die begnadeten Selbstdarsteller und Mitproduzenten Ice Cube und Dr. Dre nutzen die Gelegenheit, sich in einem recht schmeichelhaften Licht zu präsentieren. So ist von den Missbrauchsvorwürfen gegen Dre gar nicht die Rede, während sich die Frauenfeindlichkeit und der Rassismus der Protagonisten nur am Rande zeigen (so ist von Frauen immer nur als bitches die Rede und sie treten hauptsächlich kaum oder gar nicht bekleidet bei diversen Partyszenen in Erscheinung - das ist arg oberflächlich und unreflektiert, so „realistisch“ es auch sein mag) - dafür stilisiert sich Cube in einem Interview aus den 90er Jahren zum „Journalisten“, der die Dinge zeige, wie sie sind. Diese gewisse Einseitigkeit führt dazu, dass die beiden großen Stars trotz ordentlicher Darstellerleistungen (vor allem Ice Cubes Sohn überzeugt in der Rolle des ihm verblüffend ähnlichen Vaters) nie zu voll entwickelten Figuren werden. So ist es letztlich Eazy-Es tragische endende Geschichte, die den stärksten Eindruck hinterlässt. Die Balance zwischen beschönigend und ungeschminkt wird in diesem Film längst nicht immer gehalten, aber sie ist als Thema stets präsent – bis in das Marketing hinein.

    Vor dem US-Start von „Straight Outta Compton“ machten Meldungen die Runde, dass einige Kinobetreiber die Sicherheitsmaßnahmen für ihre Vorführungen verschärfen würden, was angesichts vergangener Schießereien und Gewaltausbrüche in Filmtheatern durchaus nachvollziehbar ist. Gleichzeitig passen solche Nachrichten aber auch gut zum Ruch des Gefährlichen und des Verbotenen, der dem Gangsta-Rap anhaftet und der vor allem die Fans aus der weißen Mittelschicht fasziniert. Diese Erkenntnis wird von einem Journalisten sogar im Film selbst auf den Punkt gebracht. Überhaupt wird nebenbei immer wieder gezeigt, dass sich kompromissloser künstlerischer Ausdruck und Werbung eben keineswegs gegenseitig ausschließen müssen. Wenn die N.W.A-Crew beim Auftritt in Detroit trotz ausdrücklichen Polizeiverbots ihren berüchtigten Song „Fuck tha Police“ zum Besten gibt und die Cops die Jungs nach tumultartigen Szenen im (vorwiegend weißen) Publikum schließlich verhaften, dann jubilieren die Festgesetzten im Polizeitransporter, denn sie wissen genau, dass der Skandal für sie unbezahlbare Publicity bedeutet. Auf ähnliche Weise nutzen sie eine „freundliche Warnung“ des FBI zu einer offensiven Kampagne für die Meinungsfreiheit: Ehrliche Empörung und cleverer Geschäftssinn gehen Hand in Hand.

    In der unglaublich intensiven und aufwühlenden Detroit-Sequenz zeigt uns Regisseur F. Gary Gray  das Pulverfass Amerika kurz vor der Explosion, die Lunte ist gelegt und es lässt sich kaum sagen, ob hier eher gezündelt wird oder doch gelöscht. Im Rhythmus von Ice Cubes wütenden Worten schwingen nicht nur die Echos seiner eigenen erniedrigenden Erfahrungen mit, sondern auch die inneren Bilder des Kinopublikums von der Polizeibrutalität in Ferguson und anderswo. Die Filmemacher ziehen eine klare Linie von den mutwilligen Schikanen der Ordnungshüter gegen die Kids aus Compton, bei der Vorurteile und Unwissen fast zur Katastrophe führen (in der haarsträubendsten Szene steht ein schwarzer Cop an vorderster Front und meint unter anderem zu wissen, dass Rap keine Kunst ist), über den Fall Rodney King, der im späteren Verlauf des Films immer wieder aufgegriffen wird, zu den heutigen Spannungen. Das wirkt hier zuweilen ein wenig gewollt, als bräuchte es diese fatale Kontinuität, um die anhaltende Relevanz der Protagonisten zu unterstreichen. Sicherheitshalber hat Kopfhörer-Milliardär Dr. Dre pünktlich zum Filmstart sein erstes Album nach vielen Jahren herausgebracht.  

    Fazit: Schillernde und widersprüchliche Figuren in einem schillernden und widersprüchlichen Film – faszinierend.

    PS: Die deutsche Synchronfassung ist mit Vorsicht zu genießen: Dass der Shit dope ist oder mindestens ultrakrass und das Ganze klingt, als versuchten Siebenjährige auf dem Schulhof den großen Macker zu markieren, ist eine Sache, aber dazu bleiben auch noch die natürlich im Original belassenen Songs zum allergrößten Teil ohne Untertitel.

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