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    Blow Out - Der Tod löscht alle Spuren
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Blow Out - Der Tod löscht alle Spuren
    Von Robert Cherkowski

    Die frühen Achtziger waren die produktivste und kreativste Schaffensperiode im Werk des berüchtigten Hitchcock-Epigonen, Gewaltästheten, Voyeurs und passionierten Frauenfeindes Brian De Palma. Nach einem höchst experimentellen Frühwerk mit den versponnen Satiren „Greetings" und „Hi, Mom" hatte er sich 1973 mit „Die Schwestern des Bösen" als verspielter Thriller-Auteur empfohlen, der sich offen am guten alten Hitch abarbeitete, seine Hommage jedoch mit den visuellen und dramaturgischen Experimenten der französischen Nouvelle Vague und dem exzessiven Kunstbluteinsatz des italienischen Giallo à la Dario Argento anreicherte. Schon damals war die Karriere De Palmas ein ständiges Auf und Ab, auf jeden Höhenflug wie „Sisters", „Das Phantom im Paradies" oder seinen Superhit „Carrie" folgten Bruchlandungen wie „Schwarzer Engel" oder „Teufelskreis Alpha". Von 1980 bis 1984 aber gelangen dem italoamerikanischen Exzentriker wilde Großtaten, die von der Rezeption allesamt zu modernen Klassikern ausgerufen wurden. Ein Jahr nach seinem grandiosen Jahrhundertthriller „Dressed to Kill" und dem politisch aufgeladenen, ultrabrutalen „Scarface" lieferte er mit „Blow Out" einen seiner rundesten, unterhaltsamsten und doppelbödigsten Filme ab.

    Jack Terry (John Travolta) ist ein Abhörspezialist im Auftrag der Polizei. Als er jedoch mit einer seiner Wanzen bei einem Routineeinsatz den Tod eines Mafia-Spitzels verschuldet, hängt er seinen Job an den Nagel und arbeitet unmotiviert als Tontechniker für B-Movies weiter. Eines Nachts, als er auf einer verlassenen Brücke nahe eines Waldstückes Geräusche aufnimmt, wird er Zeuge, wie der Wagen eines US-Gouverneurs von der Straße abkommt und in einen Fluss stürzt. Zwar gelingt es ihm, das Callgirl Sally (Nancy Allen) aus dem sinkenden Wrack zu retten - der Gouverneur jedoch stirbt. Als sich immer mehr finstere Schergen für die Aufnahmen interessieren, die er in jener Nacht gemacht hat, wächst in ihm der Verdacht, dass der vermeintliche Unfall möglicherweise gar kein Unfall war. Mehr und mehr verrennt er sich in Paranoia und Verschwörungstheorien. Seine Umwelt hält ihn für verrückt und bedrängt ihn, die Ereignisse zu vergessen. Und auch Sally, für die er Gefühle hegt, möchte nicht in seine selbstzerstörerische Wahrheitssuche verwickelt werden. Als der psychotische Geheimdienstscherge Burke (John Lithgow) auftaucht, um sowohl Spuren als auch Zeugen endgültig zum Schweigen zu bringen, spitzt sich die Lage zu...

    De Palmas Filme waren immer schon visuelle und semantische Wimmelbücher, in denen Szene für Szene viel zu entdecken war und immer noch ist. Dabei sind es nicht nur die technischen Aspekte (sein verschachtelter Spannungsaufbau und seine atemberaubenden Plansequenzen), die besondere Aufmerksamkeit verdienen. Hinter der Maske des zitat- und andeutungsreichen Politthrillers verbirgt sich noch viel mehr: Der Titel spielt auf Michelangelo Antonionis Kultfilm „Blow Up" an. Die Parallelen erschöpfen sich jedoch nicht nur darin, dass hier der Fotograf von einst durch einen Tonmann eingetauscht wurde. Indem er Antonionis kleinen Kriminalplot zum Attentats- und Verschwörungsszenario umfunktioniert, stellt er Bezüge zu den amerikanischen Traumata der Sechziger und Siebziger her. Nicht umsonst erinnern sowohl das Attentat selbst, als auch die anschließende Vertuschung an das Attentat auf Robert Kennedy und den Unfall von Ted Kennedy bei Chappaquiddick, bei dem der Wagen unter ähnlichen Umständen wie in De Palmas Film die Kontrolle verlor, eine Mitfahrerin starb und Kennedys politische Karriere ein vorzeitiges Ende fand.

    De Palmas Skript steckt voller Anspielungen und schon sehr früh macht er seinem Publikum klar, dass es Bildern und Tönen hier nicht trauen darf. Während Jean-Luc Godard noch die Ansicht vertrat, dass Film 24-mal Wahrheit pro Sekunde sei, geht De Palma vom Gegenteil aus. Schon mit der Einleitung – einer urkomischen Film-im-Film-Slasher-Persiflage – führt er das Publikumen aufs Glatteis. Wo Antonioni seine Meditation über die Versuche sinnlicher Wahrheitsfindung und die Biegsamkeit objektiver Wahrnehmung noch in der lockeren Atmosphäre der swingenden Sixties ansiedelte, stehen bei De Palma alle Zeichen auf Sturm. Die Träume der 68er, die bei Antonio – obwohl er sie bereits als Luftblasen erkannte - noch eine Rolle spielten, sind in De Palmas frühen Achtzigern längst ausgeträumt. Die Eskalation des Vietnamkrieges, die Ermordungen Martin Luther Kings und Bobby Kennedys, die Watergate-Affäre, die Schreckenstaten der Manson-Family und der ebenso eskapistische wie selbstzerstörerische Hedonismus der Siebziger haben ihre Spuren hinterlassen

    „Blow Out" ist ein Film über die Katerstimmung am Morgen danach. Die idealistischen Helden von einst, wie sie in den Filmen Sydney Pollacks („Die drei Tage des Condor") oder Alan J. Pakulas („Die Unbestechlichen") noch gezeichnet wurden, sind entweder tot oder haben sich wie Jack Terry müde und gezeichnet ins Private zurückgezogen, während graue Eminenzen im Hintergrund die Strippen ziehen. An den doppelten Böden, den Ellipsen und kleinen Gags von „Blow Out" kann man sich immer wieder abarbeiten – derweil ist der Film aber ebenso als enorm unterhaltsamer, kunstfertig inszenierter Thriller genießbar. An vorderster Front steht dabei John Travolta, der hier die vielleicht beste Arbeit seiner Karriere abliefert. Zwischen All-American-Boy und tragischem Helden pendelnd gibt er einen wunderbaren Protagonisten ab, dessen sympathische Naivität ihn vom ersten Moment an liebenswert macht. Travolta mag nie der große Charakterdarsteller gewesen sein, dafür jedoch glänzt er mit einer Präsenz, mit der er die Blicke unweigerlich auf sich zieht – Starpower eben.

    An der Figurenzeichnung von Nancy Allen als Hure mit dem Herzen aus Gold ist unterdessen De Palmas durchaus problematische Misogynie auszumachen, während Dennis Franz („N.Y.P.D. Blue") ein weiteres Mal den zwielichtigen Schmuddelonkel gibt, für den er bekannt ist. Sie alle verblassen hingegen neben John Lithgow in der Rolle des wahnsinnigen Vollstreckers Burke. Jeder seiner Auftritte ist ungeheuer bedrohlich, mit jeder kleinen Geste verbreitet er höchste Anspannung. Mit sadistischer Lust orchestriert De Palma Suspense-Opern um die Schandtaten Burkes herum. Allein die Szene, in der Burke eine Bahnhofsprostituierte ermordet, ist ein Musterbeispiel für das genüssliche Auswalzen quälender Spannung. „Blow Out" hätte auch ohne diese intensivsten Momente funktioniert – De Palma hat sie wohl auch nur deswegen so in die Länge gezogen, weil er es so gut kann. Selbst wenn das Antonioni-Update im Finale in Richtung trashiger Actioner samt Verfolgungsjagd und Wettlauf gegen die Zeit kippt, hält De Palma Kurs und ohrfeigt sein Publikum schlussendlich mit einem bitterböse-tragischen Epilog.

    Fazit:„Blow Out" ist ganz großes Kino - ein wahrer Exzess!

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