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    Exit Marrakech
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Exit Marrakech
    Von Carsten Baumgardt

    Regisseurin Caroline Link („Jenseits der Stille“, „Im Winter ein Jahr“) kehrt für ihren neuen Film nach Afrika zurück, dem Kontinent, den sie ihren bisher größten künstlerischen Triumph verdankt: den Gewinn des Oscars für den Besten nicht-englischsprachigen Film 2003 mit „Nirgendwo in Afrika“. Doch während die so erfolgreiche Bestsellerverfilmung in Kenia zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs angesiedelt war, wählte Link für ihr Original-Drehbuch zum neuen Werk das Marokko der Gegenwart zum Schauplatz. So ist „Exit Marrakech“ abgesehen von einigen offensichtlichen Ähnlichkeiten schließlich gar nicht allzu eng mit „Nirgendwo in Afrika“ verwandt. Was als hübsch fotografiertes, aber recht oberflächliches und klischeebehaftetes Familiendrama vor dem Hintergrund der Gegensätze zwischen der westlichen Welt und Nordafrika beginnt, mausert sich zur berührenden Vater-Sohn-Geschichte und Schauspiel-Glanzstunde mit einem herausragenden Ulrich Tukur („John Rabe“, „Das weiße Band“) und dem hochtalentierten Samuel Schneider („Boxhagener Platz“) an seiner Seite.

    Die Ferien stehen unmittelbar bevor. Ben (Samuel Schneider), Sohn aus reichem Hause, ist von seinem Vater Heinrich (Ulrich Tukur) nach Marokko einbestellt worden, wo der von der Familie schon lange getrennt lebende Theater-Regisseur auf Tournee unterwegs ist. Doch bevor der zuckerkranke Ben, der schon einige vielversprechende Kurzgeschichten verfasst hat, mit den besten Ratschlägen von Mutter Lea (Marie-Lou Sellem) im Gepäck aus Bayern nach Marrakesch reist, redet ihm Dr. Breuer (Josef Bierbichler), der Direktor seines Internats noch väterlich ins Gewissen. Er solle etwas erleben! Nur so könne er sich als Autor weiterentwickeln! In Marrakech verkracht sich der Zögling dann kurz nach seinem 17. Geburtstag gleich wieder mit seinem egozentrischen Vater. Der junge Mann hat keine Lust mehr auf  pompös-dekadente Luxushotels und will stattdessen etwas von Land und Leuten erleben. Nach einer Tour durch das pulsierende Nachtleben von Marrakech setzt sich Ben mit der Prostituierten Karima (Hafsia Herzi) in die Wüste ab. Vater Heinrich ist außer sich, schließlich unterbricht er aber seine Tournee, um sich auf die Suche nach Ben zu machen. Der ist inzwischen bei der Familie seiner neuen Freundin Karima in einem abgelegenen Bergdorf im Altlasgebirge untergetaucht.

    Caroline Link erzählt wie schon in „Nirgendwo in Afrika“ auch hier von den Unterschieden zwischen zwei Kulturen. Über die Figur des selbstbezogenen Vaters Heinrich nimmt sie die vorherrschende Scheuklappen-Sicht der Wohlstands-Westler auf das von wirtschaftlichen Krisen und politischer Uneinigkeit geschüttelte Nordafrika kritisch ins Visier und entlarvt sie als ebenso arrogant wie ignorant. Gleichzeitig zelebriert sie aber auch das einfache Leben der armen Leute auf dem Lande in grandios stilisierten Einstellungen und das hat dann einen mehr als schalen Beigeschmack. Die Schlichtheit (und auch die Rückständigkeit) erscheint zuweilen bloß als schick herausgeputzte Kulisse für die Selbstfindung sinnkriselnder Europäer und wenn Ben, der auf seine Weise fast genauso arrogant ist wie sein Vater, hier tatsächlich etwas lernt, dann jedenfalls nichts, was er nicht anderswo ganz ähnlich erfahren hätte. Echte Eigenständigkeit erreichen hier weder der Schauplatz Marokko noch die einheimischen Figuren, dafür bleibt die Außenperspektive zu dominant und zu unreflektiert. Dabei sind die Hochglanzbilder von Kamerafrau Bella Halben („Im Winter ein Jahr“, „Die Tür“) für sich genommen immer wieder elektrisierend und von makelloser Schönheit. Sie besitzen die oberflächliche Verführungskraft malerischer Urlaubspostkarten, aber das wahre Wesen der fotografierten Landschaft und ihrer Bewohner zeigen sie nicht.

    Marokko, wie es hier gezeigt wird, bleibt ein mehr oder weniger austauschbarer exotischer Schauplatz für die Eskapaden der Protagonisten aus Europa und selbst die erscheinen zunächst als beliebig und klischeebeladen. So bleibt das große literarische Talent von Ben weitgehend reine Behauptung, auch die Motivation für seine Rebellion gegen den Vater wird nicht wirklich klar – aber da das Leben eines 17-Jährigen schließlich nicht immer plausibel verläuft, lässt sich das noch recht leicht akzeptieren. Immerhin wird hier der Aufstand gegen einen eitlen Theater-Bonzen geprobt, der alle Klischees über die sogenannte Kulturelite in sich vereint und seinen Sohn schon mal als „kleinen Spießer“ abtut. Im Gegenzug wird seine Kunst vom Nachwuchs mit Verachtung gestraft („ewige Klassikerscheiße“). Die wenig überraschenden Frontlinien zeichnet Link fein säuberlich in den Wüstensand und um etwas Leben in ihr steifes Konstrukt zu bringen, hat sie sich ein dramaturgisches Allheilmittel dazu gedichtet, das sie auf geradezu ärgerliche Weise als erzählerische Krücke einsetzt: Ben leidet an Diabetes und so wird gefühlt alle paar Minuten der Stand seines Blutzuckerspiegels geprüft, um einen Reizpunkt zu erzeugen oder um seinem Seelenzustand eine körperliche Entsprechung zu geben. Das ist auf die Dauer ermüdend und durchschaubar.

    Bei den sonst so offensichtlichen Konflikten zwischen Vater und Sohn lässt Caroline Link am Anfang bewusst einen Aspekt aus. Die wegen Heinrichs ständiger Abwesenheit verpassten gemeinsamen Jahre kommen zunächst nicht zur Sprache, mehrere Gelegenheiten, ihr Verhältnis grundsätzlich zu klären, nutzen die beiden Protagonisten nicht. Erst im letzten Akt dürfen die lange aufgestauten Gefühle zum Vorschein kommen und die dann folgende zarte Annäherung zwischen Heinrich und Ben wird zum absoluten Höhepunkt des Films. Samuel Schneider hat sich da längst  freigespielt und überzeugt insgesamt mit einer Melange aus Arroganz, Lebensneugier und Unsicherheit, während Ulrich Tukur wieder einmal von Anfang an überragt. Er macht die zu Beginn nicht zu erwartende Komplexität seiner Figur in feinen Nuancen Schicht für Schicht sichtbar - in dem charismatischen Heros der Theaterwelt, der sich gern feiern lässt und im Erfolg sonnt, steckt auch ein empfindsamer und unsicherer Mann. Wenn Heinrich seinem nach Liebe und Anerkennung suchenden Sohn nun auf der Zielgeraden des Films zum ersten Mal auf Augenhöhe gegenübertritt und ihn wirklich ernsthaft wahrnimmt, ist das berührend ohne sentimental zu sein. Bei dieser Begegnung in einem kargen, aus der Zeit gefallenen Hotel irgendwo in den Bergen der Provinz verschwinden alle zuvor aufgetürmten Klischees, die Figuren werden lebendig und was sich zwischen ihnen abspielt, ist hochspannend: So wird „Exit Marrakech“ schließlich doch noch ein sehenswerter Film.

    Fazit: Caroline Link erzählt in ihrem episch bebilderten Familiendrama „Exit Marrakech“ eine zunächst schablonenhafte Vater-Sohn-Geschichte vor exotischer Kulisse, die gegen Ende deutlich an Format gewinnt und in ein auch schauspielerisch packendes Finale mündet.

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