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    Steve Jobs
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Steve Jobs
    Von Christoph Petersen

    Während in New York die Massen die Kerzen hochhalten (keine echten, sondern die iPhone- oder iPad-App), heulen sich in Tokio die Teenager die Augen aus dem Kopf, als Steve Jobs am 5. Oktober 2011 im Alter von 56 Jahren einem Krebsleiden erliegt: Angesichts der weltweiten Reaktionen auf diesen Tod ist man versucht zu glauben, Mick Jagger und der Papst seien auf einmal gestorben. Allerdings gibt es da auch all die Berichte von verratenen Freunden, von einer verstoßenen Tochter und von steuerrechtlichen Tricksereien, die darauf hindeuten, dass der machtbewusste Perfektionist wahrscheinlich kein besonders netter Kerl gewesen ist. Nach „jOBS“ mit Ashton Kutcher – schon der deutsche Untertitel „Die Erfolgsstory von Steve Jobs“ unterstreicht passend die Ambitionslosigkeit des Projekts - kommt mit Danny Boyles „Steve Jobs“ nun ein weiteres Biopic über den Apple-CEO in die Kinos und abgesehen von einem Ausrutscher am Ende lassen sich dessen Macher vorbehaltlos auf die Ambivalenz des Tech-Gurus ein. Der von Drehbuchautor Aaron Sorkin dramaturgisch raffiniert angelegte „Steve Jobs“ bietet zwei Stunden anspruchsvoll-atemlose Leinwandunterhaltung für Fans von David Finchers „The Social Network“, dessen Skript nicht zufällig ebenfalls von Sorkin stammt.  

    „Steve Jobs“ ist in drei große Blöcke unterteilt, in denen jeweils das Geschehen hinter den Kulissen einer Produktpräsentation aus der Vor-iPhone-Karriere des Apple-Mitgründers im Mittelpunkt steht: 1984 merzt Steve Jobs (Michael Fassbender) noch unmittelbar vor der Enthüllung des Macintosh im Flint Center in Cupertino mit Hilfe seiner Marketing-Managerin Joanna Hoffman (Kate Winslet) die letzten Probleme aus: Weil das Sprachprogramm des Computers abgestürzt ist, droht Jobs seinem Softwareentwickler Andy Hertzfeld (Michael Stuhlbarg) und spricht dabei von Russischem Roulette, während er seinem besten Freund und Kollegen Steve Wozniak (Seth Rogen) beibringt, dass er dessen Apple-II-Team bei der Präsentation nicht erwähnen wird, obwohl es für das Gros der Konzernumsätze verantwortlich ist. Die inzwischen von Sozialhilfe lebende Chrisann Brennan (Katherine Waterston) will von Jobs, dass er endlich ihre gemeinsame fünfjährige Tochter Lisa (Makenzie Moss) anerkennt, während Apple-Chef John Sculley (Jeff Daniels) seinem Schützling noch letzte väterliche Ratschläge auf die Bühne mitgibt. Später folgt die Präsentation des Uni-Computers NeXT 1988 und schließlich die Vorstellung des iMac 1998 …

    „Steve Jobs“ ist zuallererst ein Aaron-Sorkin-Film. In seinen Serien („The West Wing“, „The Newsroom“) und Kino-Drehbüchern („The Social Network“, „Moneyball“) hat Sorkin einen einzigartigen, unverkennbaren Stil entwickelt: Selbst die kompliziertesten Ideen und Zusammenhänge verpackt er in extrem clevere Hochgeschwindigkeits-Dialoge, ohne sie dabei ihrer Komplexität zu berauben. Sogar wenn es auf der Leinwand gerade um solche vermeintlichen Lappalien geht wie eine ausgefallene Sprachfunktion oder die Erwähnung eines Entwicklerteams in einer Rede, erzeugt Sorkin mit Prägnanz und viel Tempo Hochspannung. Dabei geht es ihm weder um historische Akkuratesse noch um das Abspulen von Wikipedia-Infoschnipseln, sondern immer darum, zum Kern des Menschen Steve Jobs und seiner Ideen vorzudringen. Die Kenntnis der wichtigsten biografischen Fakten wird dabei weitgehend vorausgesetzt: Wer von Steve Jobs‘ Begeisterung für Bob Dylan noch nie gehört und den Apple-Superbowl-Werbespot von 1984 noch nie gesehen hat, dem empfehlen wir deshalb zur Vorbereitung wärmstens die sehenswerte Dokumentation „Steve Jobs: The Man In The Machine“ von Alex Gibney.

    Manchmal wird Aaron Sorkin vorgehalten, er würde die Menschlichkeit seiner Figuren unter all den cleveren Dialogzeilen begraben. In „Steve Jobs“ verwendet er nun allerdings mindestens genauso viel Zeit auf Jobs‘ Rollen als widerwilliger Vater und verstoßener Sohn (er hat große Probleme damit, dass er einst zur Adoption freigegeben wurde) wie auf sein Wirken als Design-Genie und Konzern-Visionär. „Steve Jobs“ funktioniert damit auf einer rein emotionalen Ebene sogar besser als „The Social Network“. Aber während Sorkin und Fincher kein Problem damit hatten, sich nach zwei kurzweilig-anregenden Stunden einzugestehen, dass sich das Phänomen Mark Zuckerberg eben doch nicht vollständig entschlüsseln lässt, wird dem Titelhelden von „Steve Jobs“ in der finalen Viertelstunde des Films eine kaum glaubhafte persönliche Weiterentwicklung angedichtet, die nicht nur wenig überzeugend, sondern auch fast schon schmalzig wirkt.  

    Der für seinen visuell auffälligen Stil bekannte und für „Slumdog Millionär“ oscarprämierte Regisseur Danny Boyle („Trainspotting“, „Sunshine“) hält sich in „Steve Jobs“ angenehm zurück (Ausnahme: der spektakulär eingebaute Start einer Apollo-Rakete). Er konzentriert sich diesmal darauf, den Personen und damit auch Sorkins Wortkaskaden in der Hektik und der ständigen Bewegung des Backstage-Bereichs mit flexiblen Kamerafahrten zu folgen. Außerdem wendet er einen überaus wirksamen inszenatorischen Kniff an, indem er jeder der drei Phasen des Films einen völlig eigenen jeweils zeitgemäßen Look verpasst. Während die Szenen aus den Jahren 1984 und 1988 noch die Anmutung eines klassischen (analogen) Kinofilms besitzen, wird der im Jahr 1998 spielende Teil in einem modernen Digitallook präsentiert (für eine digitale Projektion ist das historisch betrachtet zwar noch etwas früh, aber es passt andererseits auch, dass der Pixar-Mitgründer Steve Jobs damit gleichsam nur drei Jahre nach „Toy Story“ und schon vor allen anderen endgültig im digitalen Filmzeitalter angekommen ist).

    Und dann ist da noch Michael Fassbender („Shame“, „X-Men: Zukunft ist Vergangenheit“), der nicht mal ansatzweise so aussieht wie Steve Jobs und nach Leonardo DiCaprio und Christian Bale nur dritte Wahl für die Rolle war. Aus den geleakten Sony-E-Mails ist bekannt, dass selbst Aaron Sorkin zunächst gegen die Besetzung von Fassbender war und lieber Tom Cruise für die Rolle gehabt hätte. Aber der vermeintliche Notnagel zeigt eine absolute Meisterleistung, sowohl beim Abfeuern von Sorkins Dialogsalven als auch beim überwiegend sehr subtilen Aufblitzenlassen von Jobs‘ Menschlichkeit. Schon nach den ersten fünf Minuten vergisst man den inneren Abgleich mit den eigenen Erinnerungen an den von seinen Fans angehimmelten Produkt-Präsentator und akzeptiert Fassbenders (Nach-)Schöpfung als eigenständige Person. Ein größeres Lob gibt es für einen Schauspieler kaum und wenn Fassbender dafür mit dem Oscar als Bester Hauptdarsteller ausgezeichnet würde, wäre das definitiv hochverdient.

    Fazit: Fast genauso brillant wie „The Social Network“.

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