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    Maps To The Stars
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Maps To The Stars
    Von Carsten Baumgardt

    Kultregisseur David Cronenberg dreht das erste Mal in den USA! Und dafür kann er sich selbstverständlich keinen besseren Spielort als Hollywood aussuchen, das Zentrum der amerikanischen Film- und Unterhaltungsindustrie. Wer glaubt, der kompromisslose Kanadier sei bei seiner Stippvisite in der Traumfabrik aus irgendeinem Grund zahm oder altersmilde geworden, irrt fatal. Sein Satire-Drama „Maps To The Stars“ schmiegt sich keineswegs sanft an die Schrulligkeiten Tinseltowns an, sondern ist eine bittere, extra-gallige und bösartige Dekonstruktion der Scheinwelt jenseits der Hügel. Obwohl die Verfilmung des Insider-Romans „Dead Stars“ von Hollywood-Misanthrop Bruce Wagner einige erzählerische Schwächen besitzt, ist „Maps To The Stars“ ein höllisch unterhaltsames Vergnügen - dazu spielt die bei den Filmfestspielen von Cannes 2014 mit dem Darstellerpreis gekrönte Julianne Moore oscarwürdig auf.

    758 Millionen Dollar hat die Komödie „Bad Babysitter“ vor vier Jahren weltweit eingespielt und den heute 13-jährigen Kinderstar Benjie Weiss (Evan Bird) zum Multimillionär gemacht. Während seine Mutter Christina (Olivia Williams) sich um die fetten Gehaltsschecks kümmert, arbeitet Benjies Vater Stafford (John Cusack) im heimischen Beverly Hills als Psychoanalytiker mit Hang zur Esoterik. Er behandelt auch die alternde Schauspielerin Havana Segrand (Julianne Moore), die von Visionen ihrer toten Filmstar-Mutter (Sarah Gadon) heimgesucht wird. Auch Benjie, der bereits einen Drogenentzug hinter sich hat, sieht Geister, etwa den eines todkranken Mädchens (Kiara Glasco), dem er falsche Hoffnungen machte. Real ist dagegen die Rückkehr seiner einst aus dem Familienbund verstoßenen älteren Schwester Agatha (Mia Wasikowska). Vor Jahren hatte sie Benjie mit Medikamenten ruhiggestellt und anschließend das Haus in Brand gesetzt, nun will sie nach einem langen Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik alte Wunden heilen. Sie ergattert mit Hilfe von „Star Wars“-Ikone Carrie Fisher (Carrie Fisher) einen Job als persönliche Assistentin von Havana Segrand und bändelt auch gleich mit dem attraktiven Limousinen-Kutscher Jerome Fontana (Robert Pattinson) an.

    Auf einen ersten flüchtigen Blick könnte man meinen, Indie-Filmer David Cronenberg („Tödliche Versprechen“, „A History Of Violence“) hätte einen Riesenhals auf Hollywood, denn „Maps To The Stars“ ist sogar noch boshafter und rabiater als etwa „The Player“, die brillant-garstige Satire, mit der Ausnahmeregisseur Robert Altman seinem angestauten Frust über die Traumfabrik 1992 freien Lauf ließ. Doch Cronenberg hegt keinen Groll – der Horror-Spezialist und Hollywood-Neuling sieht die Dinge nach eigener Aussage ganz pragmatisch und betrachtet die L.A.-Glitzerwelt mit gewohnt nüchternen Augen. Bei Drehbuchautor Bruce Wagner (genial: „Wild Palms“), der hier seinen eigenen Roman „Dead Stars“ aus dem Jahr 2012 adaptiert, sieht das hingegen deutlich anders aus: Er gilt als einer der schärfsten Kritiker des Mikrokosmos Hollywood und kippt hier metaphorisch kübelweise ätzende Säure über die glitzernde Fassade der Filmproduktionsstadt Los Angeles, wo die Schönen, Reichen und Berühmten über Leichen gehend nach dem perfekten Schein und dem strahlendsten Platz im Rampenlicht streben.

    Ob man die strenge Schärfe und den bösen Tonfall der Erzählung nun mag oder nicht, einige dramaturgische Schwächen sind in jedem Fall offenkundig. So ist die Genre-Mixtur, die Cronenberg und Wagner hier anrühren, etwas unausgegoren: Die dominante Hollywood-Satire kulminiert immer mehr zu einem bitteren Familien-Drama, von dem dann schließlich ein Geister-Thriller Besitz ergreift. Spätestens wenn das Duo Infernale von Regisseur und Autor später auch noch satte Horrorspitzen als saftige Garnierung hinzufügt, landet „Maps To The Stars“ im erzählerischen Nirgendwo. Dabei lässt sich diese Ziellosigkeit durchaus auch als konsequente Dekonstruktion deuten: Mit den (Un-)Sitten hinter den Kulissen Hollywoods werden schließlich auch die Erzählstrategien der Traumfabrik ins Visier genommen, indem sie ignoriert oder auf den Kopf gestellt werden. So sind auch die allermeisten Figuren ganz bewusst wandelnde Klischees und übertrieben unsympathisch, aber es bereitet einen Heidenspaß, diesen fleischgewordenen Stereotypen bei ihrem diabolischen Treiben zuzusehen.

    Wenn hier in scharfzüngigen und sarkastischen Dialogen intrigiert wird, ist das vergleichbar mit dem Vergnügen, das uns der geniale Polit-Teufel Kevin Spacey in der preisgekrönten Serie „House Of Cards“ bereitet, der skrupellos mordet, lügt und betrügt. Sein unwahrscheinliches Äquivalent als charismatischer Kotzbrocken ist in „Maps To The Stars“ der junge Serien-Schauspieler Evan Bird („The Killing“), der als unausstehlicher Kinderstar Benjie Weiss einen beeindruckenden arrogant-zynischen Größenwahn an den Tag legt. Es ist wie bei einem spektakulären Autounfall: Man muss einfach hinsehen. Dabei ist dieses Medien-Monster Benjie Weiss natürlich in erster Linie metaphorisch zu verstehen – der Mythos Hollywood frisst seine Kinder und korrumpiert die Insassen dieser modernen Irrenanstalt. Und die im Film allgegenwärtige Inzucht steht dabei nicht nur für die grassierende Vettern- und Cliquenwirtschaft in den Hügeln Hollywoods, sondern auch für die Selbstbezogenheit und die Recycling-Mentalität der dortigen Filmgemeinde.

    Cronenberg richtet den Blick bei aller klischeehaften Übertreibung oft ganz tief in die finstersten Abgründe der menschlichen Seele und seine Darsteller folgen ihm auf diesem Weg. So lässt John Cusack („High Fidelity“) unter der hysterischen Fassade seines Esoterik-Psychoanalytikers immer wieder für Momente den kontrollwütigen und verunsicherten Vater und Familienbeschützer aufblitzen, auf ähnliche Weise lässt auch seine Filmfrau Olivia Williams („The Sixth Sense“) die rasende Furie Christina nie ganz zur Karikatur verkommen. Ernsthaft berührend ist der Auftritt von „Twilight“-Star Robert Pattinson, der nach „Cosmospolis“ zum zweiten Mal mit Cronenberg zusammenarbeitet: Wenn sein Chauffeur aka Schauspieler aka Drehbuchautor in der Hoffnung auf die große Chance mit fieser Blondhaarperücke und amateurhaftem Tattoo wie ein Häufchen Elend am Set eines viertklassigen Science-Fiction-Films sitzt, verdichtet sich in diesem einen Bild der Werdegang ganzer Generationen von enthusiastischen Jung-Schauspielern, die nach Hollywood kamen, um dem Ruhm nachzujagen, ohne je den Durchbruch je zu schaffen.

    Pattinson spielt das arme Würstchen Jerome Fontana komplett unaufgeregt und gibt ihm dadurch erst eine gewisse Substanz. „Maps To The Stars“ ist trotz seiner hysterischen Figuren und monströsen Wendungen eben nicht überkandidelt und hyperaktiv gespielt und inszeniert, vielmehr legt sich Cronenberg seine „Beute“ genüsslich zurecht und seziert sie mit der ungerührten Konsequenz eines Forschers. Das schließt wie schon in Werken wie „Die Unzertrennlichen“ und „Die Fliege“ allerdings keineswegs das Mitgefühl aus, was sich hier insbesondere anhand der einen Figur im Film zeigt, die deutlich mehr ist als ein Abziehbild. Dabei handelt es sich nicht um die von Mia Wasikowska („Spuren“, „Alice im Wunderland“) verkörperte brandstiftende Psychopathin auf Good-Will-Tour (so überzeugend die hochtalentierte Jungdarstellerin in dieser Hauptrolle auch ist), sondern aus Fleisch, Blut und Realität besteht einzig die alternde Diva Havana Segrand. Die großartige Julianne Moore („Magnolia“, „The Big Lebowski“) wirft sich voll rein in diesen Part und gibt dem ansonsten meist gnadenlos kalten Film mit ihrem komplexen und tragischen Porträt ein pochend-warmes Herz.

    Fazit: David Cronenberg geht nach Hollywood und zerlegt den Mythos der Traumfabrik mit dem Satire-Drama „Maps To The Stars“ in seine Einzelteile. Seine postmoderne Gift-und-Galle-Version von „Boulevard der Dämmerung“ ist düster, sadistisch und auf diabolische Weise amüsant.

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