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    Blair Witch
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Blair Witch
    Von Antje Wessels

    Als auf der Comic-Con 2016 in San Diego die wahre Identität von Adam Wingards Horrorprojekt „The Woods“ als „Blair Witch“ und damit als Fortsetzung des Found-Footage-Phänomens „Blair Witch Project“ von 1999 enthüllt wurde, war das ein echter Paukenschlag. Die Geheimhaltungsstrategie mit anschließendem Überraschungscoup sorgte dafür, dass die Filmemacher in Ruhe arbeiten konnten und sich nicht schon in der frühem Produktionsphase mit kritischen Stimmen der Fans des Originals auseinandersetzen mussten, die bei Sequels, Remakes und Reboots beinahe reflexmäßig laut zu werden pflegen. Und tatsächlich hatte das Team um Regisseur Wingard („You’re Next“, „The Guest“) und seinen Stammautor Simon Barrett einen wichtigen Nachteil im Vergleich zum großen Vorbild: Damals wurde die Behauptung, dass es sich tatsächlich um „gefundenes“ Videomaterial handele, in einer legendären Marketingkampagne konsequent bis zuletzt beibehalten und verlieh „Blair Witch Project“ einen wirkungsvollen Anstrich des Echten und Unverfälschten, der tatsächlich nicht wenige Leute getäuscht hat. Auf diesen Effekt können die Macher der Fortsetzung angesichts der Found-Footage-Schwemme der vergangenen Jahren nicht mehr bauen, aber sie finden für diese Herausforderung durchweg überzeugende Lösungen und müssen sich mit ihrem beklemmenden „Blair Witch“ nicht hinter dem Original verstecken.

    Der Teenager James (James Allen McCune) traut seinen Augen nicht, als er in einem Internetvideo in den Umrissen eines jungen Mädchens seine Schwester Heather wiederzuerkennen glaubt, die seit einem Ausflug in die Wälder von Maryland vor 17 Jahren verschwunden ist. James macht sich mit seinen Freunden Ashley (Corbin Reid), Peter (Brandon Scott) und Lisa (Callie Hernandez) sofort auf den Weg nach Burkittsville, von wo aus sie die Suche nach Heather aufnehmen wollen. Sie sind mit modernster Technik ausgestattet, um das Geschehen zu jeder Tages- und Nachtzeit aufzuzeichnen, denn Filmstudent James macht aus der Aktion zugleich sein neuestes Projekt. Unterwegs gabelt die Gruppe außerdem den Urheber des Videos sowie dessen Freundin auf, die ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehen wollen. Was als spannendes Abenteuer unter freiem Himmel beginnt, mündet für die Clique schon bald in einen grauenerregenden Albtraum…

    Nach dem Riesenerfolg von „Blair Witch Project“ gab es bereits im Jahr 2000 eine Fortsetzung, aber in „Blair Witch 2“ wurde die pseudo-dokumentarische Erzählweise des  Originals aufgegeben und auf eine Meta-Ebene gehoben. Das spielt beim neuen Sequel überhaupt keine Rolle mehr: Adam Wingard und Co. greifen nicht nur den Found-Footage-Stil der Franchise-Schöpfer Daniel Myrick und Eduardo Sanchez auf, sondern knüpfen auch direkt an deren Handlung an. Erneut zieht eine Gruppe junger Leute mit Kameras in den Wald und erneut wird sie durch unbekannte, bis zum Ende nicht entlarvte Übeltäter dezimiert – und doch ist hier auf zeitgemäße Weise alles anders. Denn die Filmemacher wissen, dass der Wackelkamera-Hype seinen Zenit längst überschritten hat und dass die Found-Footage-Ästhetik weitgehend zur lahmen Konvention verkommen ist.

    Adam Wingard und Co. beleben das ausgelutschte Genre, indem sie ein technisch neues Level ansteuern und zugleich einige der typischen erzählerischen Found-Footage-Stolperfallen geschickt umgehen: So liefert eine Drohne Lanes bestens ausgestatteter Crew gestochen scharfe Bilder aus der Luft, während Mini-Cams am Kopf der Protagonisten die Lösung für ein altes Glaubwürdigkeitsproblem liefern, das in anderen Filmen aufgetreten ist, wenn die Figuren selbst in den hanebüchensten Situationen voll drauf halten, anstatt sich einfach in Sicherheit zu bringen. Die Mini-Kameras dagegen schränken die Mobilität nicht ein, was auch zur Folge hat, dass in „Blair Witch“ gerade in den temporeichen Momenten jede Übersicht verloren geht. Und damit wird das Gefühl der Orientierungslosigkeit verstärkt, dass sich als die ganz große Stärke des Films erweist.

    „Blair Witch“ ist ungemein effektiv inszeniert, das harmlose Herumalbern und die zwanglose Abenteuerstimmung weichen alsbald blankem Terror. Der Ausflug wird zum Höllentrip und weitet sich zum surrealistischen Albtraum - und der Zuschauer steckt buchstäblich mittendrin. Besonders beeindruckend ist dabei das Sound-Design: Ständig sind beunruhigende und beängstigende Geräusche (Knacken, Rascheln, Schreie und einiges mehr) zu hören, bei denen man nicht weiß, woher sie kommen und was dahintersteckt. Das Publikum wird in die Situation der Figuren gedrängt. Sie sehen das Grauen nicht und können sich nur vorstellen, dass sie etwas verfolgt. Aus dieser Unsicherheit wächst Panik und wenn dann die Sonne partout nicht mehr aufgehen will, wird uns allen gemeinsam  auch noch das Zeitgefühl geraubt.

    Personen verschwinden, ein Haus scheint sich eigenständig zu verändern, prägende Orte des Originals sind wiederzuerkennen und die aus Holz gebastelten Figuren haben hier nun einen deutlich größeren Stellenwert: Die Handlung schlägt einige aberwitzige Haken und das absolut irre Finale präsentiert sich schließlich als einer der schweißtreibendsten Höllenritte der jüngeren Horrorkinogeschichte. Die Wirkung wird durch die Figurenzeichnung (hier muss sich keiner unnötig dumm verhalten) und durch die glaubwürdigen Darsteller noch verstärkt. Die Schauspieler wurden selber lange über die wahre Natur des Projekts im Unklaren gelassen und es wurde wie schon im Original viel improvisiert. Das gibt dem Ganzen einen Extra-Touch Spannung – genauso wie das Wissen um die Geschehnisse vor 17 Jahren.  

    Fazit: „Blair Witch“ ist eine dem Geist des Originals treue Fortsetzung und erzielt mit einer in Tempo und Dynamik den Sehgewohnheiten von heute angepassten Erzählweise die größtmögliche Wirkung.

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