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    Einmal bitte alles
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Einmal bitte alles
    Von Antje Wessels

    In seinem Roman „Die Schönen und Verdammten“, dem Lieblingsbuch der 27-jährigen Protagonistin aus „Einmal bitte alles“, erzählte F. Scott Fitzgerald schon vor fast einem Jahrhundert von einem Lebensgefühl, das sich fast 1:1 auf die heutige Generation Y übertragen lässt - jene vielzitierten Millenials, die noch analog aufwuchsen und live mitbekamen, wie sich die Welt immer mehr vernetzte. Heute stehen diese jungen Leute vor einer Zukunft, in der – so will man es ihnen weismachen – alles möglich ist. Doch wie es schon Fitzgerald ankündigte, ist das Illusion. In der Regel folgt auf das rauschhafte „Nichts ist unmöglich!“ nämlich Ernüchterung. Vor dem Start in die Karriere gilt es ein oft frustrierendes Studium an einer überfüllten Uni zu absolvieren, auf jede bezahlbare Wohnung im schicken In-Bezirk der Lieblingsstadt bewerben sich mal eben 50 bis 100 weitere Interessenten und dem ersehnten Liebesglück stehen die eigenen Ansprüche im Wege - denn wenn alles möglich ist, dann wird das Streben nach Perfektion irgendwann zur unendlichen Geschichte, in der Kompromisse keinen Platz mehr haben. In Filmen wie „Axolotl Overkill“, „Tiger Girl“, „Fucking Berlin“ oder „Tigermilch“ wurde zuletzt vor allem vom Rausch der Kompromisslosigkeit erzählt. Regisseurin Helena Hufnagel („Willa“) nimmt sich jetzt der auf jedes Hochgefühl folgenden Melancholie an und erzählt in ihrer Tragikomödie „Einmal bitte alles“ von der Quarterlife Crisis einer Uni-Absolventin, die feststellen muss, dass eben nicht alles möglich ist.

    Isi (Luise Heyer) steckt in einer tiefen Krise: Nach einem erfolgreichen Studium sollten der leidenschaftlichen Grafikerin eigentlich alle Türen offen stehen. Doch während in ihrem privaten Umfeld jeder sein Ding durchzieht, scheint ihr eigenes Leben rückwärts zu laufen. Selbst ihre ähnlich verpeilte beste Freundin und bisherige Leidensgenossin Lotte (Jytte-Merle Böhrnsen) hat gerade ihren Traumjob gefunden und schmeißt Isi auch noch aus der gemeinsamen WG, als es mit ihrem neuen Freund ernster wird. Isi hangelt sich von einem Praktikum zum nächsten, immer in der Hoffnung, ihre selbst gezeichneten Graphic Novels doch noch irgendwann an den Mann zu bringen und sucht zunehmend verzweifelt nach ihrem Platz im Leben.

    „Als wir sie zum ersten Mal sehen, fragt sie sich, ob sie vielleicht ehrlos und ein bisschen verrückt sei. Etwas schändlich Unbedeutendes, schillernd auf der Oberfläche der Welt wie ein Ölfilm auf einem klaren Teich.“ Ein von Jessica Schwarz („Auf der anderen Seite ist das Gras viel grüner“) eingesprochenes Hörbuch von „Die Schönen und Verdammten“ begleitet Isis Leben aus dem Off wie ein laufender Kommentar: mal ironisch-süffisant, mal ziemlich tragisch, aber immer mit viel Fingerspitzengefühl. Isi, die Luise Heyer („Die Reste meines Lebens“) mit subtilen Gesten und präzisem Mienenspiel verkörpert, steht stellvertretend für alle jene jungen Menschen, die noch mit Ende 20 dem Traum eines perfekten Lebens nachjagen und dann plötzlich auf den Boden der nicht ganz so perfekten Tatsachen landen. Die Drehbuchautorinnen Helena Hufnagel, Sina Flammang („You Are Wanted“) und Madeleine Fricke („Der Lack ist ab“) machen Isi schrittweise zur Außenseiterin in ihrem eigenen Leben: Erst wird sie im Praktikum zur Kaffeeholerin degradiert, dann von ihrer besten Freundin aus der Wohnung gekickt und schließlich verleidet ihr mangelndes Interesse an veganem Wein ihr sogar die gemeinsamen Mädelsabende. Sie beginnt, über ihr Leben nachzudenken und lässt ihre Gedanken in ihre Graphic Novels einfließen zu lassen. Dass letztere bei keinem Verlag Anklang finden (obwohl sowohl die Geschichten, als auch die Zeichnungen wirklich gut sind!), unterstreicht die Unwichtigkeit von Isis Existenz noch einmal zusätzlich.

    In „Einmal bitte alles“ ist die auf Veränderung drängende Rebellion der Jugend weitgehend der Resignation und der Erkenntnis gewichen, vieles einfach nicht ändern zu können. Trotzdem lässt sich Isi nie in eine Opferrolle drängen. Als ihre weitaus weniger talentierte Kollegin Laura („Fack ju Göhte“-Star Gizem Emre) ihr eine Position wegschnappt, indem sie Aussehen und persönliche Beziehungen spielen lässt, nimmt Isi das hin, ohne das letzte Fünkchen Hoffnung aufzugeben. Auch aus ihrer beschränkten Wohnsituation macht sie das Beste - manchmal genügt es schon, die kaputte Tür zu reparieren, um das Gefühl zu haben, seinem Glück ein kleines Stückchen nähergekommen zu sein. Bei aller Melancholie ist „Einmal bitte alles“ letztlich doch auch ein optimistischer Film. Und wenn über die schillernden (Neben-)Figuren immer wieder neue Perspektiven auf das Leben und seine Probleme geworfen werden, ist er meist auch noch reichlich amüsant. Vor allem Jytte-Merle Böhrnsen („Kokowääh 2“), deren sich rasant entwickelndes Leben wie der Gegenentwurf zu Isis erscheint, begeistert als zwischen Euphorie und Skepsis schwankende Frau, die von ihrem plötzlich einsetzenden Glück ebenso überfordert ist, wie Isi davon, dass sie aus ihrem Stillstand nicht herauskommt. Einen Masterplan für das Leben gibt es eben nicht.

    Fazit: Das ist der Film, den die Millenials verdienen! Helena Hufnagel inszeniert mit „Einmal bitte alles“ eine warmherzige Tragikomödie darüber, wie schnell man überfordert sein kann, wenn einem die ganze Welt offensteht.

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