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    The Field Guide To Evil - Handbuch des Grauens
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    The Field Guide To Evil - Handbuch des Grauens

    Eine angenehm andere Horror-Anthologie

    Von Christoph Petersen

    Horror-Anthologien haben aktuell mal wieder Hochkonjunktur. Schließlich erlauben sie es, gerade in finanziell klammen Zeiten auch für relativ wenig Geld mit möglichst vielen namhaften Regisseuren zu protzen. So haben die Produzenten Tim League und Ant Timpson für ihre Horror-Kurzfilm-Sammlungen „22 Ways To Die“ und „23 Ways To Die“ immerhin solche Genre-Stars wie Vincenzo Natali („Cube“), Xavier Gens („Frontier(s)“), Ti West („The House Of The Devil“), Ben Wheatley („Free Fire“) oder Adam Wingard („You’re Next“) gewonnen, obwohl sie den einzelnen Regisseuren für ihre Beiträge nur ein wirklich absolut minimales Budget zur Verfügung stellen konnten. Für ihre neue Horror-Anthologie „The Field Guide To Evil“ hat das Produzenten-Duo nun dank erfolgreicher Crowdfunding-Kampagne immerhin 40.000 Euro für jeden der acht Kurzfilme zusammenbekommen – wobei das immer noch nicht superviel ist, gerade wenn man in einem eher „teuren“ Land wie zum Beispiel Deutschland dreht.

    Die Vorgabe an die Filmemacher war dabei, dass sie sich eine möglichst wenig bekannte düstere Sage aus ihrer Heimat vorknöpfen sollen – und genau das haben sie dann auch gemacht: Zumindest uns kam von den acht behandelten Mythen aus Österreich, den USA, Indien, Deutschland, Griechenland, Ungarn, Polen und der Türkei keine auch nur im Entferntesten bekannt vor. Da wurde offenbar ganz tief in sehr ominösen Büchern gekramt. Aber das ist gar nicht mal das eigentlich Außergewöhnliche am Ansatz von „The Field Guide To Evil“, vielmehr ist es die unerwartete Auswahl an Regisseuren, die die Anthologie zu etwas Besonderem macht: Statt die üblichen Verdächtigen abzuklappern, haben League und Timpson nämlich vor allem solche Filmemacher angesprochen, die in den vergangenen Jahren mit ambitionierten, oftmals auf bedeutenden Festivals abgefeierten Arthouse-Genrefilm-Crossovern für Aufsehen gesorgt haben.

    Für den deutschen Beitrag zeichnet etwa Katrin Gebbe verantwortlich, die 2013 mit ihrem radikalen Regiedebüt „Tore tanzt“ direkt in die „Un Certain Regard“-Sektion beim Filmfestival in Cannes eingeladen wurde. Ihr Kurzfilm „A Nocturnal Breath“ handelt nun von einem Geschwisterpaar, das gemeinsam in einer Hütte in den bayerischen Alpen haust und von einem Dämon in Gestalt einer durch den Mund der Schwester ein und aus spazierenden Maus heimgesucht wird. Einer der soliden Beiträge, der wie einige andere auch allerdings darunter leidet, dass sich die Arthouse-Sensibilität der Filmemacher zum Teil doch sehr ähnelt, weshalb es die Kurzfilme ab einem gewissen Punkt zum Ende hin bedeutend schwerer haben („A Nocturnal Breath“ ist der vorletzte).

    Zumal der mit Abstand beste dieser klassischen, an Filme wie „The Witch“ oder „Hagazussa“ erinnernden Arthouse-Horrordramen gleich als erstes läuft: Das von Österreich mit ihrem Thriller-Mindfuck „Ich seh, Ich seh“ ins Oscar-Rennen geschickte Regie-Duo Veronika Franz und Severin Fiala liefert mit ihrem Beitrag „Die Trud“ einen nahezu perfekten Auftakt, der nur eben leider auch alles Anschließende ein Stück weit in den Schatten stellt – er ist brillant gefilmt, überraschend, verstörend und trotz seines historischen Settings hochaktuell. In diesem manifestieren sich die Sünden einer jungen Frau in Gestalt der titelgebenden Trud, bis die Geplagte auf unerwartet radikale Art gegen den ihr von der Religion und der Dorfgemeinschaft auferlegten Druck vorgeht. Sicherlich haben auch die anderen Kurzfilme wie etwa „Whatever Happened To Panagas The Pagan?“ aus Griechenland, in dem eine Gruppe Betrunkener am Weihnachtsabend einen Goblin aus der Hölle massakriert, absolut ihre Qualitäten. Aber nach dem Hoch von „Die Trud“ fällt es einfach schwer, sich für die Nachfolger noch einmal in einem ähnlichen Maße zu begeistern.

    Zudem gibt es noch zwei Beiträge, die völlig aus dem Rahmen fallen und von denen zumindest einer noch mal richtig was rausreißt: In „The Melon Heads“ von „The Oregonian“-Auteur Calvin Reeder geht es um Killer-Kinder mit melonengroßen Köpfen, die angeblich in den Wäldern des Mittleren Westens der USA hausen. Ein klassischer Horror-Kurzfilm, der im Finale krass zu schocken versucht, aber eigentlich kaum etwas Eigens zu bieten hat. „The Melon Heads“ hätte viel besser in „22 Ways To Die“ gepasst und taugt hier allenfalls als kurze Verschnaufpause zwischen all den sehr viel ambitionierteren Beiträgen. Genau auf der anderen Seite des Spektrums findet sich der finale Film „The Cobbler’s Lot“ von Genre-Experimentalfilmer Peter Strickland („Berberian Sound Studio“, „The Duke Of Burgundy“), der hier ein unfassbar düsteres Stummfilm-Märchen in der Tradition von Wilhelm Friedrich Murnau abliefert. So ist „The Cobbler’s Lot“ trotz seiner Position ganz am Ende der erste Beitrag, der sich vollständig von dem vieles überragenden „Die Trud“-Einstieg freischwimmen kann.

    Fazit: Eine ambitionierte Horror-Anthologie mit einer angenehm anderen Schwerpunktsetzung bei der Auswahl der behandelten Themen und beteiligten Regisseure – vor allem Freunde von Arthouse-Genrefilmen wie „Ich seh, Ich seh“, „Hagezussa“ oder „The Witch“ sollten hier definitiv mal einen Blick riskieren.

    Wir haben „The Field Guide To Evil“ im Rahmen der Fantasy Filmfest White Nights gesehen.

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