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    Dragged Across Concrete
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Dragged Across Concrete

    Mel Gibson in der Rolle seines Lebens

    Von Christian Fußy

    Ich wusste nicht, dass ich Rassist bin, bis wir hier hergezogen sind“, erklärt die an Multipler Sklerose erkrankte Ex-Polizistin Melanie (Laurie Holden) ihrem noch immer als Cop arbeitenden Ehemann Brett Ridgeman (Mel Gibson), nachdem ihre gemeinsame Tochter Sara (Jordyn Ashley Olson) auf dem Heimweg von der Schule erneut von einer Gruppe schwarzer Jugendlicher belästigt und mit Limonade übergossen wurde. Für den frustrierten Brett ist diese vermeintliche kosmische Ungerechtigkeit der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Und so trifft er die Entscheidung, selbst vom Cop zum Kriminellen zu werden, um seiner Familie das bieten zu können, was sie seiner Meinung nach verdient.

    In dem filmischen Universum, das der für seine knüppelharte Genrekost berüchtigte S. Craig Zahler in „Dragged Across Concrete“ erschafft, wird zwar ständig mit der Moral und ihrer Einhaltung gerungen, aber am Ende ist doch alles asphaltschwarz. Nach „Bone Tomahawk“ und „Brawl In Cell Block 99“ rückt Zahler auch in seiner dritten Regiearbeit keinen Deut von seiner nihilistischen Linie ab und liefert einen rohen, zynischen, mit krassen Gewaltspitzen gewürzten Thriller ab, dessen Welt ebenso gnadenlos ist wie die Figuren. In der fiktiven Stadt Bulwark (übersetzt: Bollwerk), in der jeder arm ist, aber der Mammon regiert, präsentiert Zahler einen Machismo getränkten Heist-Plot, der zu gleichen Teilen als ethische Versuchsanordnung, intensives Charakter-Drama, grandios-geduldig inszeniertes Spannungskino, politische Korrektheit mit Füßen tretende Provokation und vor allem in den Gewaltszenen absurd überhöhter Exploitation-Trash funktioniert.

    Vince Vaughn und Mel Gibson als knallharte Cops in "Dragged Across Concrete".

    Die Cops Brett Ridgeman und Anthony Lurasetti (Vince Vaughn) haben das mit der „Staatsgewalt“ schon immer etwas zu wörtlich genommen, wenn sie in den Ghettos von Bulwark Jagd auf Drogendealer und Waffenschieber machen. Ihre wenig zimperlichen Methoden werden ihnen jedoch zum Verhängnis, als ein Nachbar mit seinem Handy ein Video aufnimmt, in dem die beiden einen Kriminellen auf brutale Art schikanieren und dabei auch mit rassistischen Beschimpfungen nicht hinter den Berg halten. Die Aufnahme landet bei der Presse und das Duo wird vorübergehend suspendiert. Frustriert beschließt Ridgeman, zumindest für einen Coup die Seiten zu wechseln. Von seinem Unterwelt-Kontakt Friedrich (Udo Kier) bekommt er den Tipp, dass der Brutalo-Gangster Vogelmann (Thomas Kretschmann) und seine Crew kurz davorstehen, ein großes Ding durchzuziehen. Ridgeman will die Ganoven anschließend um ihre Beute erleichtern. Er holt seinen Partner mit ins Boot und legt sich mit reichlich Stullen bewaffnet auf die Lauer. Aber dann läuft der vermeintlich simple Plan völlig aus dem Ruder...

    Mad Mel voll in seinem Element

    Mit Mel Gibson und Vince Vaughn hat sich S. Craig Zahler zwei Hollywoodstars als Brutalo-Cops vor die Kamera geholt, die einem liberalen Publikum auch schon ohne die Verfehlungen ihrer Figuren einen Schauer über den Rücken jagen. Gibson ist mittlerweile ja fast schon bekannter für seine rassistischen und antisemitischen Ausfälle als für seine großen Rollen in Klassikern von „Mad Max“ bis „Braveheart“. Und Vaughn hat sich sicher auch nicht nur Freunde gemacht, als er Donald Trump in seinem Präsidentschaftswahlkampf unterstützt hat. In „Dragged Across Concrete“ verkörpern sie zugleich (nur leicht) überhöhte Versionen ihrer öffentlichen Persona, unterlaufen diese aber zugleich auch. Ihr ständiges Ringen um die eigenen ethischen Grenzen ist stellenweise richtig berührend, bis hin zum knallhart-konsequenten, dabei zugleich aber auch mit einer unverkennbaren, an der Grenze zur Karikatur kratzenden Macho-Western-Romantik durchtränkten Showdown. Man kann das Porträt des Duos genauso gut grausam ehrlich wie absolut verachtungswürdig finden – und deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass die Kritiken nach der Weltpremiere auf dem Filmfestival in Venedig von Machwerk bis Meisterwerk reichten.

    Stellenweise wirkt das von Zahler inszenierte Bulwark wie ein Abbild jenes Amerikas, das Trump & Co. ständig heraufbeschwören, um unter ihren Wählern permanente Panik zu stiften. Ein urbanes Höllenloch, in dem jeder Passant mit einem Smartphone scheinbar mehr Macht hat als die Vertreter der Ordnungsgewalt, während das Verbrechen nach Belieben grassiert, weil die linksgrünversiffte Gesellschaft nicht Manns genug ist, um angemessen hart durchzugreifen. Ein rechtsnationalistisches Onlinemagazin hat Zahler trotz seiner im Artikel breitgetretenen jüdischen Herkunft sogar ausdrücklich dafür abgefeiert, dass endlich mal jemand „rassistische Cops als die Helden der Geschichte“ zeige. Und ein Stück weit steckt das in „Dragged Across Concrete“ auch drin. Aber der Film von Zahler, der sich selbst konsequent jeder politischen Einordnung verweigert, ist viel komplexer als das. „Dragged Across Concrete“ ist schließlich weniger Zelebration als Provokation – und die geht tatsächlich so weit, dass man den Film nach dem Rollen des Abspanns eine ganze Zeit lang kaum mehr loswird.

    Praktikanten von Hannibal Lecter? Nein, die Cops Brett Ridgeman (Mel Gibson) und Anthony Lurasetti (Vince Vaughn) auf Beutezug.

    Beutet Zahler die Persona seiner Stars radikal für seine eigene Kunst aus? Oder bereitet er ihnen einfach nur eine Bühne? Ist die dramaturgisch überraschende, auf eine gnadenlos-sadistische Schlusspointe zugeschnittene Gastepisode um eine gerade Mutter gewordene Bankangestellte (Jennifer Carpenter) nur zelluloidgewordene Frauenverachtung? Oder macht er einen schmerzhaft-treffenden Punkt? „Dragged Across Concrete“ entlässt einen mit einer Menge offen-ambivalenter Fragen. Das ist ultimativ faszinierend.

    Keine offene Frage ist hingegen die nach dem inszenatorischen Talent des Regisseurs, der sich auch diesmal wieder extrem viel Zeit lässt, um seine Geschichte ins Rollen zu bringen. So verbringen wir in „Dragged Across Concrete“ sehr viel mehr Zeit damit, Mel Gibson beim Mampfen seiner mitgebrachten Stake-Out-Stulle zuzusehen, als mit den auf ihre Essenz heruntergebrochenen Action-Einschüben, die so aber allesamt unglaublich intensiv wirken (zumal man sich hier dankt Zahlers rücksichtsloser Konsequenz bei wirklich niemandem sicher sein kann, ob er die nächste Szene überlebt). Zu dieser angespannten Reduktion passt dann auch die Entscheidung, komplett auf einen (vermeintlich) spannungsfördernden Score zu verzichten. Wobei Zahler dafür aber alle im Film zu hörenden Songs selbst geschrieben hat. Ein Multitalent und der wahrscheinlich aufregendste, wenn sicher auch nicht allseits beliebteste Genreregisseur, den wir zurzeit haben.

    Fazit: Ein gnadenlos nihilistischer, grandios inszenierter, bis über die Schmerzgrenze hinaus provokanter Schlag in die Magengrube. Ein typischer Film von S. Craig Zahler eben.

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