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    Long Shot - Unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Long Shot - Unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich

    Sex, Drugs & Politics

    Von Björn Becher

    Im Genre der romantischen Komödien gibt es eine lange Tradition, dass sich Paare bilden, die im wahren Leben wohl kaum zueinanderfinden würden – von der Prinzessin und dem Reporter in „Ein Herz und eine Krone“, über den Geschäftsmann und die Prostituierte in „Pretty Woman“ bis hin zum Hollywood-Mega-Star und dem Buchladenbesitzer in „Notting Hill“. Ähnlich weit hergeholt (also ein Long Shot) ist nun auch die Beziehung zwischen einer fürs Präsidentenamt kandidierenden Power-Frau und einem übergewichtigen Stoner-Nerd in der neuen RomCom von Jonathan Levine: In „Long Shot“ spickt der „Warm Bodies“-Regisseur seine unwahrscheinliche Liebesgeschichte mit reichlich Seitenhieben auf das aktuelle politische Klima und reichlich anzüglichem Humor – eben ganz so, wie man es von den Filmen des Produzentenduos Seth Rogen und Evan Goldberg („Superbad“, „Das ist das Ende“) gewöhnt ist. Dabei machen viel (böser) Witz, ein bisschen Romantik und ein exzellent harmonierendes Hauptdarstellerduo „Long Shot – Unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich“ aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz unbedingt sehenswert.

    Der idealistische Journalist Fred Flarsky (Seth Rogen) hat gerade seinen Job hingeworfen, nachdem seine Redaktion von dem zwielichtigen Medienmogul Parker Wembley (Andy Serkis) übernommen wurde. Um ihn auf andere Gedanken zu bringen, schleppt ihn sein Kumpel Lance (O'Shea Jackson Jr.) auf eine Spendengala mit. Dort läuft Fred der Außenministerin Charlotte Field (Charlize Theron) über den Weg, die früher mal seine Babysitterin war. Weil sie gerade die Präsidentschaft anstrebt, aber in Umfragen als zu wenig witzig gilt, sucht Charlotte jemanden, der ihre Reden ein wenig aufpeppt. Gegen den Rat ihres Teams fragt sie Fred, der den Job annimmt, weil sie mit einer Umweltinitiative scheinbar wirklich die Welt verändern will. Auf den Reisen um den Globus kommen sich die Politikerin und ihr Redenschreiber näher. Aber der übergewichtige, unrasierte, schlecht gekleidete und Drogen konsumierende Fred ist kein Mann, mit dem sich eine angehende US-Präsidentin einfach so in der Öffentlichkeit zeigen kann…

    Ein Wiedersehen mit der Babysitterin.

    „Long Shot“ verheimlicht das Märchenhafte einer jeden romantischen Komödie nicht, sondern stellt es regelrecht heraus: Das wird gleich zu Beginn deutlich, wenn der undercover recherchierende Fred vor Nazis flieht und einen Absturz aus großer Höhe überlebt. Zudem hat jeder Artikel von ihm mindestens ein „Fuck“ in der Überschrift und zwischen den beiden Protagonisten funkt es ausgerechnet bei einem Sternenschauer erstmals ein klein wenig. Regisseur Levine und seine Autoren Dan Sterling („The Interview“) und Liz Hannah („Die Verlegerin“) spielen betonet damit, ihre Geschichte ein wenig aus der Realität zu entheben. Das ein oder andere Klischee bauen sie dabei ganz bewusst ein, nur um es durch seine Offensichtlichkeit im selben Moment ironisch zu brechen: Da bildet ausgerechnet ein Live-Auftritt der 90er-A-Capella-R’n’B-Kultband Boyz II Men die Kulisse für das erste Treffen und wenn sie später einen seltenen Augenblick der Zweisamkeit haben, wird der Roxette-Klassiker „It Must Have Been Love“ aus „Pretty Woman“ aufgelegt. Der passende Soundtrack für jede Szene, das gibt es halt nur in einer Hollywood-Fantasie …

    Dass „Long Shot“ offensichtlich in seiner ganz eigenen Welt spielt, mutet zwar an wie ein Taschenspielertrick, um die Beziehung zwischen den Protagonisten irgendwie rechtfertigen zu können, aber nötig haben die beiden das gar nicht – ganz im Gegenteil: Charlize Theron („Atomic Blonde“) und Seth Rogen („Ananas Express“) haben eine so sensationelle Chemie zusammen, dass sie sich vor Julia Roberts und Richard Gere oder selbst Audrey Hepburn und Gregory Peck nicht verstecken müssen. Und sie bekommen auch die nötigen Momente, um das unter zu Beweis stellen, weil Levine zwar oft auf lautes Getöse setzt, aber auch immer wieder Raum für intime Momente zwischen seinen Protagonisten findet. Fans klassischer Hollywood-Märchen seien allerdings gewarnt, denn „Long Shot“ ist definitiv nicht so brav wie die Vorbilder, die hier zitiert werden – zumindest können wir uns nicht daran erinnern, dass in Richard Geres Bart plötzlich Sperma hing oder Julia Roberts unvermittelt darum bat, „hart von hinten gefickt zu werden“.

    Nah am politischen Klima: Ein Dummbeutel als US-Präsident

    „Long Shot“ ist deutlich im aktuellen politischen Klima Amerikas verankert. Der Präsident („Better Call Saul“-Star Bob Odenkirk) ist ein unbeliebter Dummbeutel, den eine TV-Karriere irgendwie ins Amt gespült hat und der fremde Staatsoberhäupter gern auf Instagram beleidigt. Im Gegensatz zum realen Vorbild will er den Job allerdings schnellstmöglich wieder loswerden, weil noch größerer Ruhm winkt: als Filmstar. Ohnehin ist er nur eine Marionette, die Fäden zieht ein mächtiger Mann hinter ihm: „Herr der Ringe“-Star Andy Serkis spielt mit grotesker (und nicht immer ganz gelungener) Maske eine Mischung aus FOX-Boss Rupert Murdoch und dem rechten Meinungsmacher Stephen Bannon. Gerade hier hätte „Long Shot“ ruhig noch etwas böser sein können, doch wie auch beim gutausschauenden, aber Charlotte wenig charmant umgarnenden kanadischen Premierminister („True Blood“-Schönling Alexander Skarsgård) setzt man lieber voll auf Überzeichnung. Damit bleibt „Long Shot“ aber auch in dieser Hinsicht ein Märchen. Denn „Long Shot“ schlägt sich nicht auf eine politische Seite der geteilten Bevölkerung, sondern gipfelt in einer aktuell wohl undenkbaren, harmonischen Aussage über die Gemeinsamkeiten von Demokraten und Republikanern.

    Gleich zwei schmierige Männer wollen etwas von Charlotte.

    Karikiert und damit entblößt werden aber sehr wohl die Personen an der Spitze, zum Beispiel der Sexismus beim rechtskonservativen Nachrichtensender FOX News. Wie in der Realität hauen auch im Film-Gegenstück Wembley News zwei männliche Moderatoren ihre geschmacklosen Sprüche raus, während zwischen ihnen eine Frau sitzt, die das Ganze direkt relativiert, weil man ja schließlich nur Spaß mache. Das ist natürlich überzeichnet, etwa wenn eine Talkrunde aus Chris Brown, Brett Ratner und Jeremy Piven angekündigt wird, die darüber diskutieren soll, ob Frauen überhaupt mental fit genug sind, um Präsident zu werden. Aber ein wahrer Kern steckt immer drin. Viele der Pointen sind nicht gerade subtil, aber glaubwürdig von einem märchenhaften Wunsch nach einer besseren Welt getragen, in der ein paar (wenn auch im Drogenrausch geäußerte) ehrliche Worte statt politisch-korrektem Herumlavieren einen Konflikt beenden und für Frieden sorgen können. Wobei es dazwischen auch einige einfach nur wunderbar staubtrockene Oneliner gibt, etwa wenn Seth Rogen als jüdischer Redenschreiber bei einem Staatsempfang in Argentinien beiläufig bemerkt, dass „die Typen, die meine Großeltern ermordet haben, sich hier irgendwo verstecken“.

    Fazit: Die nicht jugendfreie Version von „Pretty Woman“ - mit mehr Sex, Drugs & Politics.

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