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    She Came To Me
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,5
    enttäuschend
    She Came To Me

    Die weibliche Antwort auf Sweeney Todd – und noch viel zu viel mehr

    Von Christoph Petersen

    Es ist kein Wunder, dass „She Came To Me“ als Eröffnungsfilm der Berlinale 2023 ausgewählt wurde. Schließlich sollte man ein Festival, auf dem traditionell eher schwere Kost gezeigt wird, ruhig erst einmal mit etwas leichterer Unterhaltung beginnen. Dazu wartet der sechste Spielfilm der nebenher auch als Bildhauerin und Malerin tätigen Universalkünstlerin Rebecca Miller („Pippa Lee“, „Maggies Plan“) mit einem beachtlichen Ensemble von Stars wie Peter Dinklage („Game Of Thrones“) oder der auch als Produzentin beteiligten Oscargewinnerin Anne Hathaway („Les Misérable“) auf. Damit ist auch direkt der Glamourfaktor auf dem Roten Teppich gesichert.

    Aber im Gegensatz zu etwa Wes Anderson, der in Filmen wie „Moonrise Kingdom“ oder „The French Dispatch“ regelmäßig ausufernde Tableaus von skurrilen Figuren in einer einheitlichen Vision zusammenbringt, bekommt Miller ihre ineinander verwobenen Absurditäten nie so recht in den Griff – und zwar weder erzählerisch noch tonal. „She Came To Me“ fühlt sich oft an, als sei das Drehbuch mehr schlecht als recht aus den liegengebliebenen Ideen von einem Dutzend anderer Indie-Komödien zusammengeschustert worden. Das Ergebnis ist eine betont kauzige Tragikomödie, in der es trotz gut aufgelegter Stars kaum einmal Anlass zum Lachen oder Weinen, aber dafür jede Menge Leerlauf gibt.

    Steven (Peter Dinklage) hat schon alles versucht – aber unter Druck kann er einfach keine Opern mehr schreiben!

    Der Opernschöpfer Steven (Peter Dinklage) leidet zwar seit fünf Jahren unter einer Kompositionsblockade, hat in dieser Zeit aber zumindest seine Psychotherapeutin Patricia (Anne Hathaway) geheiratet. Allerdings führt diese ein strenges Regiment: Wenn sie einen Befehl erteilt, dann weiß man mitunter nicht, ob sie damit nun den Hund oder Steven gemeint hat. So muss sich der Künstler seine kreative Inspiration eben woanders suchen – und wird ausgerechnet bei der Schlepperkapitänin Katrina (Marisa Tomei) fündig: Nach einem One-Night-Stand muss er zwar Angst haben, von der romantiksüchtigen Seefrau gestalkt zu werden …

    … aber dafür avanciert seine neue Oper, eine Art feministischer „Sweeney Todd“, in der er aus Katrina eine männermordende Axtmörderin macht, zum Superhit! Parallel dazu bekommen auch Patricias Sohn Julian (Evan Ellison) und seine 16-jährige Freundin Tereza (Harlow Jane) Probleme: Terezas Stiefvater Trey (Brian d'Arcy James) spielt als Hobby nicht nur Bürgerkriegsschlachten möglichst historisch akkurat nach, sondern hat sich auch selbst zum Rechtshüter ernannt, der nur den zwei Jahre älteren Freund seiner Tochter unbedingt wegen Vergewaltigung einer Minderjährigen ins Gefängnis bringen will…

    Viel Skurriles, wenig Lustiges

    Wenn es etwas gibt, das in (Indie-)Komödien bereits ausgiebig genug behandelt wurde, dann sind es spleenige Zwänge. Da müsste man sich 26 Jahre nach „Besser geht’s nicht“ schon etwas einfallen lassen, um die x-te Zwangsneurose noch einmal erfrischend lustig erscheinen zu lassen. Aber wenn sich die Pointen darauf beschränken, dass die ordnungswütige Patricia laut losbrüllt, weil Steven im Bett die Schuhe angelassen hat, dann ist das einfach zu wenig. Peter Dinklage und speziell Anne Hathaway, die beim Erzählen einer wahrhaft verstörenden Hamantaschen-Parabel buchstäblich alle Hüllen fallenlässt, legen sich zwar spürbar ins Zeug, ...

    … aber selbst das reicht nicht, um die Schwächen des ziellos mäandernden und speziell bei den skurrilen Elementen auf Masse statt Klasse setzenden Drehbuchs wettzumachen. Marisa Tomei („Spider-Man: No Way Home“) hat unterdessen zwar den originellsten Part, aber die stalkende Schlepperbetreiberin nimmt man ihr trotz strähniger Haare und orangener Kapitäninnenjacke nicht eine Sekunde ab. Zumindest gehört der Umstand, dass ihr einst gar gerichtlich verboten wurde, sich weiterhin romantische Filme anzusehen, noch zu den wenig wirklich zündenden Einfällen von „She Came To Me“.

    Die kontrollsüchtige und ordnungswütige Patricia (Anne Hathaway) braucht auch selbst eine Psychotherapeutin.

    Was für Zwangsneurosen gilt, gilt übrigens erst recht für historische Bürgerkrieg-Reenactments, die natürlich immer etwas Absurdes an sich haben und deshalb speziell im Komödiengenre auch längst überrepräsentiert sind. Rebecca Miller fällt dazu allerdings nicht ein guter Gag ein. Stattdessen nutzt sie das Hobby lediglich für die arg kurz gegriffene Gleichsetzung Reenactor = Rassist. Sowieso wirkt der Handlungsstrang um den Möchtegern-Gesetzeshüter Trey, der den Schwarzen Freund seiner Stieftochter hinter Gitter bringen will und sich dabei zunehmend als totaler Psycho entpuppt, wahnsinnig konstruiert – als ginge es nur darum, irgendwie einen Weg zu finden, um Katrinas Schlepper im Finale noch mal eine wichtige Rolle zukommen zu lassen. Auch tonal passt das alles nicht zusammen. Als würde der Film sich in solchen Szenen an das Publikum wenden: „Stopp, jetzt mal kurz ernst!

    Eine ähnliche Unfokussiertheit findet sich auch bei der Regie: In den meisten Szenen eher unauffällig inszeniert, punktet „She Came To Me“ zwar mit zwei Operneinschüben, in der wir die bereits erlebte Handlung noch mal in Form einer von Steven geschriebenen Arie auf der Bühne erleben. Aber die Entscheidung, ständig zwischen dem superbreiten Scope-Format sowie einem einengenden 4:3-Format hin und herzuspringen, wirkt bis zum Schluss beliebig. Selbst wenn man sich noch irgendwie zusammenreimen könnte, dass so offenbar der Seelenzustand der Protagonist*innen gespiegelt werden soll, sind solche Formatwechsel in den vergangenen paar Jahren so sehr zur Mode gekommen, dass sie längst den Status eines hohlen Klischees erreicht haben.

    Fazit: „She Came To Me“ ist dermaßen vollgestopft mit skurrilen Figuren sowie ihren noch skurrileren Spleens und Zwängen, dass am Ende keine davon richtig zur Geltung kommt. Kaum mal berührend oder lustig, dafür aber überfrachtet, langwierig und unfokussiert.

    Wir haben „She Came To Me“ im Rahmen der Berlinale 2023 gesehen, wo er als Berlinale Special als Eröffnungsfilm gezeigt wurde.

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