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    Flucht aus Pretoria
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Flucht aus Pretoria

    Daniel Radcliffe bricht aus

    Von Oliver Kube

    1994 endete – nach fast 60 Jahren – die staatlich organisierte Rassentrennung in Südafrika. Mit dem Widerstand gegen das Apartheidsystem wird dabei vor allem ein Mann in Verbindung gebracht: Nelson Mandela, der nach dem demokratischen Regierungswechsel zum ersten schwarzen Präsidenten des Landes gewählt wurde. Aber es gab auch weiße Südafrikaner, die für die Gleichstellung aller Bevölkerungsgruppen eintraten. Einer von ihnen war der 1948 in Kapstadt geborene Tim Jenkin. In seiner Autobiografie „Inside Out: Escape From Pretoria Prison“ schildert er seinen abenteuerlichen Ausbruch aus einem Staatsgefängnis, in dem er als politischer Gefangener festgehalten wurde. Das Buch diente als Vorlage für den britischen Regisseur Francis Annan, der sein moderat budgetiertes, aber dennoch sehr spannendes Thriller-Drama „Escape From Pretoria“ allerdings nicht in Südafrika, sondern in und um Adelaide in Australien drehte.

    Im Südafrika der 1970er regt sich der Widerstand gegen das Apartheid-Regime. Auch Teile der privilegierten weißen Minderheit protestierten gegen den staatlich verordneten Rassismus. Nicht ohne Folgen: Tim Jenkin (Daniel Radcliffe) und Stephen Lee (Daniel Webber) werden etwa zu zwölf beziehungsweise acht Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie Flugblätter produziert und in Umlauf gebracht hatten. Die Freunde werden in das berüchtigte Gefängnis von Pretoria verfrachtet. Zu den Mitgefangenen zählen etwa Denis Goldberg (Ian Hart), der einst mit Mandela persönlich marschiert ist, sowie der Franzose Leonard (Mark Leonard Winter). Aber während sich Denis mit seinem Schicksal abgefunden zu haben scheint, ist Leonard sofort dabei, als die Neuankömmlinge den Plan schmieden, in der Gefängniswerkstatt hölzerne Nachschlüssel für alle Türen anzufertigen, um schnellstmöglich den aktiven politischen Kampf draußen auf den Straßen weiterzuführen…

    Der Anti-Apartheid-Aktivist Tim Jenkin (Daniel Radcliffe) muss für seine politische Überzeugung in den Knast ...

    In vielen Belangen ist „Escape From Pretoria“ ein typischer Vertreter des Gefängnisausbruch-Genres. Sämtliche Story-Zutaten, die Klassiker wie „Papillon“, „Flucht von Alcatraz“ oder „Die Verurteilten“ ausmachen, finden sich auch hier wieder: die miesen Haftbedingungen, unter denen die Gefangenen leiden, ein zynischer Direktor (Grant Piro) sowie ein sadistischer Wärter (Nathan Page), der die Insassen besonders unablässig schikaniert. Der Knast scheint zudem ausbruchsicher – alle früheren Versuche scheiterten zumindest katastrophal. Und zu guter Letzt befindet sich der Protagonist natürlich zu Unrecht hinter Gittern.

    Das Besondere an „Escape From Pretoria“ ist, wie detailliert und authentisch er die originelle Fluchtmethode nacherzählt: Stephen Lee und Denis Goldberg arbeiteten als Berater am Skript mit, während Tim Jenkin zusätzlich auch am Set in Australien mit vor Ort war (er absolvierte sogar einen kurzen Cameo-Auftritt als einer der Gefangenen). Sicherlich erscheint es trotzdem fraglich, ob es wirklich dermaßen viele, haarsträubend knappe Momente gab, in denen die von Anfang an gewaltfrei geplante und durchgeführte Aktion schon im Frühstadium zu scheitern drohte. Aber auch wenn es sich hier um einzelne dramaturgische Zuspitzungen handeln sollte, wirkt die Gesamterzählung dennoch verdammt authentisch.

    Radcliffe & Co. in Bestform

    Die eindrucksvollste schauspielerische Leistung liefert dabei Mark Leonard Winter („Lost Girl“) ab. Seine Figur hat kein direktes Pendant in der Realität, sondern wurde aus persönlichen Geschichten und Taten diverser Mitgefangener von Jenkin und Lee zusammengesetzt. Der Australier vermittelt die Verzweiflung Leonards so unmittelbar, dass man beinahe körperlich mitleidet, wenn der nur einmal im Jahr erlaubte Besuch seines kleinen Sohnes in einem Desaster endet. Winters intensives Spiel macht schnell verständlich, weshalb es gerade für ihn keine Alternative zur Flucht mehr gibt. Wir wollen nicht zu hoch greifen, aber es gibt Augenblicke, in denen erinnert der Mime mit seinen halblangen, dunklen Haaren nicht nur optisch an einen jungen Daniel Day Lewis.

    Daneben überzeugen auch Daniel Webber („The Dirt“) als der eher lockere Sonnyboy und Daniel Radcliffe („Guns Akimbo“) als Mastermind hinter dem ungewöhnlichen Fluchtplan. Man nimmt dem einstigen „Harry Potter“-Star jederzeit ab, dass er weiß, was er tut, wenn er an den hölzernen Schlüsseln herumfeilt. Das wirkt selbst dann noch glaubhaft und nicht wie Kino-Magie, wenn er eine aus Alltagsgegenständen zusammengestöpselte, krude Apparatur bastelt, mit der er seine Zellentür aus dem Inneren von außen öffnen kann. Leider verrät uns das Drehbuch kaum etwas über die Motivation der Charaktere, sich dem politischen Status Quo im Lande entgegenzustellen. Aber die engagierten Darsteller machen es dem Publikum trotzdem leicht, mit ihnen mitzufiebern …

    ... aber zum Glück ist er dort nicht allein, sondern trifft auf gleichgesinnte Mit-Ausbrecher.

    … und dafür gibt es reichlich Gelegenheiten in Form der eng gesäten Suspense-Szenen: Mehrfach steht das Helden-Trio kurz davor, endgültig zu scheitern. Selbst wenn man schon im Vorhinein weiß, wie die Sache ausgeht, lassen diese Sequenzen einem den Atem stocken. Der noch recht unerfahrene Regisseur und Drehbuchautor Francis Annan hat – in Kooperation mit seinem erstklassig abliefernden Chef-Kameramann Geoffrey Hall („Ingenious“) und „Submarine“-Cutter Nick Fenton – gerade hier ganze Arbeit geleistet. Die Spannung ist greifbar. Ein gutes Beispiel dafür ist einer der frühen Testläufe, als den Männern ihr behelfsmäßiger Schlüssel in einer Stahltür abbricht und wir bereits die Schritte des Wärters hören, der jede Sekunde um die Ecke kommen kann. Wirklich klasse gemacht.

    Nicht so überzeugend ist hingegen die Opposition der älteren Mitgefangenen um den von Ian Hart („The Last Kingdom“) verkörperten Goldberg. Wenn das Ausbrecher-Trio am entscheidenden Tag all seinen Leidensgenossen anbietet, sie könnten sich ihnen anschließen, lehnen diese unisono ab – und zwar mit der Begründung, ihr passiver Kampf als Märtyrer hinter Gittern, der das System von innen aushöhlt, wäre effektiver als direkte Taten draußen. Die vom Drehbuch in den Dialogen präsentierten Argumente sind hier aber schwach und gehen schnell unter. Es entsteht ein wenig der Eindruck, Goldberg hätte lediglich Bammel gehabt, erwischt zu werden. Das wird dem integren Idealisten und Menschenrechtkämpfer nicht gerecht. So wird nicht nur an dieser Stelle mehr Wert auf die physischen Abläufe des Ausbruchsversuchs gelegt als auf die Gründe, die ihn überhaupt erst nötig werden ließen. Aber das ist okay: Denn so funktioniert „Escape From Pretoria“ als moderner, spannender B-Film, selbst wenn die politischen Motive dabei nur vage im Hintergrund mitschwingen.

    Fazit: Ein erzählerisch nicht viel Neues bietender, aber einfach spannend gemachter und stark gespielter Ausbruchs-Thriller nach einer realen Geschichte.

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