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    The Ballad of Buster Scruggs
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    The Ballad of Buster Scruggs

    Netflix' Superstar-Western!

    Von Björn Becher

    In einem Zeitraum von 25 Jahren schrieben die Brüder Ethan und Joel Coen die Geschichten für ihre Western-Anthologie „The Ballad Of Buster Scruggs“ und lange Zeit war dabei unklar, was daraus werden würde. Wohl im Schnittprozess wurde dann final entschieden, die noch als Mini-Serie von Netflix angekündigten, sechs kurzen bis mittellangen Erzählungen, die neben einem gewissen Hang zum Morbiden eigentlich nur ihren Schauplatz im Wilden Westen gemein haben, zu einem Film zusammen zu fügen. Herausgekommen ist dabei eine manchmal schwarzhumorige, manchmal schwelgerische, manchmal auch ein bisschen langweile Kurzfilmsammlung, die als Ganzes nicht unbedingt stärker ist als ihre sechs einzelnen, qualitativ sehr uneinheitlichen Einzelstücke. Am Ende bleiben deshalb vor allem einige starke Momente von dem mehr als 130 Minuten Spielzeit positiv im Gedächtnis hängen, aber an die großen Werke der Coen-Brüder wie „Blood Simple“ oder „No Country For Old Men“ reicht dennoch keine der Episoden heran.

    Ein Liedchen trällernd reitet Buster Scruggs (Tim Blake Nelson) durch die Prärie. In seinem weißen Outfit sieht er mehr als lächerlich aus. Und diesen Eindruck kann  er auch mit einem Eindruck schindenden Monolog über seine vielen Spitznamen mitsamt in die Kamera gehaltenen Steckbrief nicht zerstreuen. Trotzdem säumen schon bald Leichen links und rechts seinen Weg. In den anderen Geschichten treffen wir zudem auf einen Bankräuber (James Franco) in misslicher Lage, einen durch die Lande ziehenden Theatermann (Liam Neeson), dessen Geschäfte immer schlechter laufen, sowie einen Goldgräber (Tom Waits), der in einem vermeintlichen Paradies nach seinem Glück sucht. Eine junge Frau (Zoe Kazan) findet sich unterdessen (fast) allein in einem Treck gen Westen wieder und eine nächtliche Postkutschenfahrt mit fünf sehr unterschiedlichen Insassen nimmt eine überraschende Wendung...

    Die Rahmenhandlung zu den sechs vollständig unabhängigen Wild-West-Abenteuern besteht lediglich aus einem Buch voller Kurzgeschichten, dessen Seiten von einer körperlosen Hand weitergeblättert werden. So können aufmerksame Zuschauer schon zu Beginn jeder Story die einleitenden Worte lesen (vor allem, wenn man bei Netflix auf Pause drückt). Und am Ende einer Episode, wenn der Film zu den Buchseiten zurückkehrt, kann man dort unter anderem auch einmal die letzten Gedanken des Protagonisten mitlesen, die den meist tragischen Ausgang der Geschichte noch einmal unterstreichen. Mehr als diese sehr lose Verbindung gibt es wie gesagt nicht, die einzelnen Kurzfilme sind im Gegenteil auch tonal sehr unterschiedlich. Es verwundert daher nicht, wenn die Coen-Brüder in Interviews selbst erzählen, dass sich die Geschichten in einem Zeitraum von mehr als 25 (!) Jahren zu ganz unterschiedlichen Phasen ihrer Karriere und während sehr verschiedener Stimmungen nach und nach angesammelt haben.

    Wer den schwarzhumorig-bösen Humor der „Fargo“-Regisseure schätzt, kommt am ehesten bei den ersten beiden Geschichten auf seine Kosten. Hier darf laut gelacht werden, während auf teilweise sehr brutale und grafische Art gestorben wird. Wenn sich hier eine Person quasi selbst drei Mal in den Kopf schießt, offenbart das einen ausgefeilten Slapstick-Humor, der in seinen besten Momenten an eine FSK-18-Version des klassischen Stummfilmkinos von Laurel & Hardy erinnert. Und in James Francos Episode jagt gerade zu Beginn ein absurder Einfall den nächsten. Am Ende sind beide Episoden nicht mehr als angenehm kurzweilige Witze, die zumindest ganz klar die Handschrift der Coens tragen. Einen sonderlich großen Nachklang haben sie dennoch nicht.

    Der dritte Film ist da schon eine komplett andere Angelegenheit. Ohne große Worte spielt Liam Neeson („Schindlers Liste“) einen fahrenden Theatermann, dessen steter Verfall allein im Gesicht des Schauspielers abzulesen ist – begleitet von düsteren Bilder verschneiter Landschaften, erneut wunderbar eingefangen von dem für die Kamera aller Episoden verantwortlichen Bruno Delbonnel („Die fabelhafte Welt der Amélie“). Wenn Neesons Impresario am Ende entscheidet, sein Programm zu ändern, ist das zwar auch bitterböse, aber ganz und gar nicht lustig. Es ist vielmehr ein Schlag in die Magengrube. Hier beweisen die Coens, dass sie ganz großes Drama können. Trotzdem wirkt die abgründig-tragische Episode wie ein Fremdkörper nach den sehr viel leichteren Kurzfilmen zuvor. Da bleibt einem das Lachen definitiv im Halse stecken.

    Ein eindringliches Drama ist anschließend zumindest zum Teil auch das, was in den Geschichten um Tom Waits‘ Goldgräber oder Zoe Kazans Gal Who Got Rattled, so der Titel der fünften Folge, geschieht. In beiden Fällen zeigt sich einmal mehr die starke Kamera von Bruno Delbonnel, der die unwirtliche staubige Prärie genauso gekonnt einfängt wie die paradiesische Enklave, in der Singer-Songwriter Tom Waits als monoton sein Tagewerk verrichtender Goldgräber platziert wird. Hier grünt plötzlich mitten im Wilden Westen alles und es ist ein genialer Einfall, dass man diesen von Hügeln umgebenen Ort wie durch einen grünen Vorhang hindurch betreten muss.

    Sowohl „The Gal Who Got Rattled“ als auch die Goldgräber-Geschichte „All Gold Canyon“ schöpfen aber nicht ihr volles Potential aus, weil beide Episoden darunter leiden, dass die Coens sie zu lange laufen lassen, obwohl es – wie in so vielen Kurzfilmen – dann eben doch nur die eine Pointe hinausläuft. So ist zum Beispiel die langsame Annäherung von Kazans Figur (die einzige Frau im Zentrum einer der sechs Geschichten) an einen Cowboy (Bill Heck) voll starker Momente, die jedoch ein Stück weit von all dem überflüssigen Zeugs drumherum begraben werden. (Wobei man sowieso immer sehr schnell sehr skeptisch werden sollte, wenn bei den Coens so etwas wie Romantik aufkommt.)

    Die Abschlussepisode fällt dann sogar noch einmal deutlich gegenüber dem Rest ab, so dass viele Netflix-Nutzer auch tun könnten, was eigentlich schon die Coens hätten tun sollen: sie einfach weglassen. In „The Mortal Remains“ sitzen fünf Personen eng gedrängt in einer Kutsche, wo selbst Delbonnel und sein Team (bis auf zwei Ausnahmen) keine eindrucksvollen Bilder mehr finden (anders als etwa Quentin Tarantino in den ersten Minuten von „The Hateful Eight“). Im Rahmen dieser redseligen Kutschfahrt wird nicht nur ein Schauspieler wie Brendan Gleeson („Brügge sehen… und sterben?“) weitestgehend verschenkt, stattdessen erweist sich das gesamte Gespräch als ziemlich enervierende Angelegenheit. Die finale Pointe läuft zudem komplett ins Leere, weil man sie nicht nur eh schon die ganze Zeit erahnt, sondern während der Kutschfahrt auch einfach nicht die nötige grollend-mythische Atmosphäre entsteht, die zum Gelingen dieser Wendung eigentlich zwingend nötig gewesen wäre.

    Fazit: „The Ballad Of Buster Scruggs“ besteht aus sechs Wild-West-Kurzfilmen, die sich sowohl tonal als auch qualitativ stark unterscheiden und auch nicht wirklich dadurch gewinnen, dass man sie sich in einem Anthologie-Film am Stück ansieht.

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