Ein würdiges Finale – allerdings erst in der zweiten Hälfte
Von Christoph PetersenSeit Jahren freut man sich auf die neue Videospielkonsole. In der Nacht vor Heiligabend kann man kaum schlafen vor Aufregung – und dann liegt sie tatsächlich unter dem Weihnachtsbaum. Aber statt sie direkt einstöpseln und loslegen zu können, bestehen die Eltern darauf, vorher erst noch die – ganz besonders umfangreiche – Anleitung (inklusive einer kurzen Historie aller vorherigen Videospielkonsolen) vorzulesen. So etwa fühlt es sich an, das kolportiert 300 bis 400 Millionen Dollar teure Franchise-Finale „Mission: Impossible - The Final Reckoning“ zu schauen. Es sollte der alles überragende Abschluss von 30 Jahren „Mission: Impossible“ werden, aber das krönende Feuerwerk hat erst mal Ladehemmungen.
Nachdem der grandiose „Mission: Impossible - Dead Reckoning“ (5 Sterne von FILMSTARTS) noch atemlose 160 Minuten Gänsehaut-Kino pur abgeliefert hat, nutzt der seit „Rogue Nation“ am Regiesteuer sitzende Christopher McQuarrie die erste Hälfte des großen Finales nun nämlich vor allem für zwei Dinge: Erklärungen zum technischen KI-Schnickschnack sowie den nachträglichen Umbau der vorherigen „Mission: Impossible“-Filme, um den Anschein zu erwecken, alles habe von Anfang an unausweichlich auf diese entscheidende Konfrontation zwischen Ethan Hunt (Tom Cruise) und der „Entität“ genannten Super-KI zugesteuert. Das Ergebnis: ein langgezogener Stotterstart, bis zwei wahrhaft grandiose Actionsequenzen das Ruder doch noch herumreißen.
Inzwischen hat die Entität fast den kompletten Cyberspace übernommen. Keine online gespeicherte Information, kein Foto und kein Video, ist mehr vor Manipulationen sicher. Ihr letztes Ziel: die Atomarsenale der acht globalen Nuklearnationen. Weil die Atomraketen der USA am besten gesichert sind, bleiben noch etwa 72 Stunden, bis sich die Entität auch diese unter den Nagel reißen wird. Allerdings wollen es die US-Präsidentin Erika Sloane (Angela Bassett) und ihr engster Stab dazu nicht kommen lassen: Sobald die Entität alle anderen Arsenale übernommen hat, will die USA präventiv ihre eigenen Atomwaffen auf die Schaltzentralen der Nuklearmächte abfeuern (u. a. Paris, London und Moskau), um so zu verhindern, dass die KI die ganze Welt auslöscht.
Sogar eine eigene unbeteiligte US-Metropole soll mit ausgelöscht werden, nur weil es die einzige Möglichkeit wäre, den anderen Nationen zu beweisen, dass die Atomschläge nicht ihnen, sondern allein der Entität gelten. Trotzdem würde der Plan mindestens 100 Millionen Menschenleben fordern. Die einzige Chance, eine solche Katastrophe noch zu verhindern: Die Präsidentin müsste ihrem in Ungnade gefallenen Agenten Ethan Hunt noch ein letztes Mal vertrauen. Sie muss ihm völlig freie Hand und alle Ressourcen der US-Armee gewähren, damit er die Entität gemeinsam mit der Taschendiebin Grace (Hayley Atwell), der Profikillerin Paris (Pom Klementieff) sowie seinen Hacker-Kumpels Luther (Ving Rhames) und Benji (Simon Pegg) doch noch rechtzeitig in eine Falle locken kann…
Die Idee, bereits bestehende Teile einer Filmreihe nachträglich noch stärker miteinander zu verknüpfen, hat ja schon bei der 007-Konkurrenz mit „James Bond – Spectre“ nur mehr schlecht als recht hingehauen – und auch in „The Final Reckoning“ wirkt das alles eher halbgar hingebogen als tatsächlich clever durchdacht. Dieser eine McGuffin, bei dem nie endgültig aufgelöst wurde, was eigentlich dahintersteckt? Der ist jetzt plötzlich doch noch mal wichtig (wenn auch nicht besonders). Dieser eine Typ, der seit dem Vorgänger eine mittelgroße, aber austauschbare Rolle spielt? Der ist jetzt plötzlich der Sohn von einem der zentralen Strippenzieher der Reihe. Und diese Nebenfigur, die man ohne Probleme mit einem völlig neuen Darsteller hätte besetzen können? Das ist jetzt plötzlich ein Typ, der schon im ersten „Mission: Impossible“ ein paar Mal durchs Bild gelaufen ist.
Für sich genommen sind das alles Easter Eggs, die man den Fans als kleine Nostalgie-Happen zwischendrin gerne servieren darf. Aber es kann eigentlich nicht sein, dass „The Final Reckoning“ dafür erst mal 90 Minuten lang auf Sparflamme vor sich hin köchelt. Zumal darüber hinaus ja auch noch so unglaublich viel erklärt werden muss: Die erste Hälfte des Films ist voller Rückblenden auf vorherige Filme und teilweise sogar auf Geschehnisse, die gerade mal eine halbe Stunde her sind. Der Plan, wie man die vermeintlich allmächtige Entität womöglich doch noch stoppen könnte, ist so kompliziert (nicht zu verwechseln mit clever), dass es nicht nur eineinhalb Stunden, sondern auch jede Menge neuer Nebenfiguren braucht, um Ethan Hunt endlich für die erste von nur zwei großen Actionsequenzen in das pazifische Eismeer zu manövrieren.
Aber wenn er dort erst einmal angekommen ist, dann liefert er auch ab – und wie! Bei der Unterwassersequenz kommt man aus dem Staunen gar nicht mehr raus: Wenn Tom Cruise einem auf ihn zurasenden U-Boot und vor allem dessen Propeller ausweicht, stockt einem mehr als nur einmal der Atem. Speziell bei den Szenen im Inneren des auf dem Meeresboden herumrollenden (!) U-Boots spürt man einfach, dass hier erneut mehr Wert auf reale Sets als bei allen anderen Action-Franchises dieser Größenordnung gelegt wurde: Wenn die tonnenschweren Torpedos im Lagerraum auf Ethan Hunt zustürzen, dann haben sie tatsächlich Gewicht und sind nicht nur Pixel wie in einem Videospiel, bei dem man es nach dem Scheitern eh einfach noch mal versuchen kann. Am Ende der Sequenz wächst Ethan Hunt dann noch mal auf eine solch absurd-heldenhafte Weise über sich hinaus, dass man bei jedem anderen Darsteller auf diesem Planeten wohl sofort in ironisches Gelächter ausgebrochen wäre. Nur Tom Cruise nimmt man es ab.
Der absolute Actionhöhepunkt ist dann aber – und so sollte es ja eigentlich auch sein – tatsächlich das Finale: Nachdem Tom Cruise sich bereits in „Rogue Nation“ draußen an einen startenden Airbus A400M geklammert und in „Fallout“ mit Henry Cavill ein Helikopter-Duell geliefert hat, führt „The Final Reckoning“ diese beiden unvergessenen Action-Highlights in einer unglaublichen Stunt-Kaskade zusammen: Wie schon im Trailer zu sehen, hängt er diesmal in luftiger Höhe an einem Doppeldecker-Flugzeug – und was er dort so alles anstellt, hat mit Sicherheit das Zeug zu einer der besten Actionsequenzen (wenn nicht gar zu der besten) des Kinojahres! So können Tom Cruise und Ethan Hunt am Schluss erhobenen Hauptes in der Masse verschwinden – nur den besten „Mission: Impossible“-Film, den muss man eher weiter vorne in der Reihe suchen.
Fazit: „Mission: Impossible - The Final Reckoning“ beginnt mit holprigem Anlauf und viel erklärender Rückschau auf den Pfaden einer großen Enttäuschung. Vor allem mit den Sequenzen unter Wasser und in der Luft bekommt das Action-Spektakel aber dann doch noch rechtzeitig die Kurve, um Tom Cruise nach 30 Jahren als Ethan Hunt einen zwar nicht überwältigenden, aber doch würdigen Abschied zu bescheren.
Wir haben „Mission: Impossible - The Final Reckoning“ beim Cannes Filmfestival 2025 gesehen, wo er außer Konkurrenz seine Weltpremiere gefeiert hat.